Erstellt am: 20. 3. 2015 - 16:13 Uhr
Griechenlands neue Migrationspolitik
Die neue Regierung in Griechenland hat außer der Schuldenfrage auch ein anderes wichtiges Thema zu verwalten: Die große Anzahl von Flüchtlingen und Migranten aus Asien und Afrika und die unwürdige Situation in den Haftlagern und den Zellen in den Polizeistationen in denen Einwanderer ohne Papiere festgehalten werden.
In den letzten Wochen haben vier Menschen ihr Leben in solchen Orten verloren, zwei von ihnen begingen Selbstmord, andere reagierten mit Hungerstreik. Asylsuchende mussten monatelang bis zur Bearbeitung ihres Antrags im Gefängnis sitzen, unter Bedingungen, die mehrmals von internationalen Menschenrechtsorganisationen verurteilt wurden. Die neue Regierung will diese Haftpolitik nun so rasch wie möglich beenden und offene Lager schaffen. Dabei wird sie von Aktivisten und Einwandererorganisationen unter Druck gesetzt. Seit die linksgerichtete Regierung von Alexis Tsipras die Macht übernommen hat, haben sie mehrmals vor Haftlagern und Polizeistationen demonstriert mit der Forderung die Insassen sofort freizulassen.
So auch an diesem frühen Nachmittag vor dem Haftlager in Amydaleza in der Nähe von Athen. Dutzende Aktivisten, aber auch Mitglieder von Einwanderer-Communities, demonstrieren gegen die Inhaftierung von Papierlosen. Mit Bannern in den Händen versuchen sie, das Tor zum Haftlager zu durchschreiten. Polizeikräfte versuchen, sie daran zu hindern, doch es gelingt ihnen nicht. Ein paar Meter weiter, hinter dichtem Stacheldraht, befinden sich die Insassen und die weißen Container, in denen sie festgehalten werden.
Chrissi Wilkens
Sie begrüßen die Demonstranten und skandieren den Namen der linken Regierungspartei. "Syriza ! Syriza!", hört man, zusammen mit Applaus. Die Demonstranten versuchen, noch näher heran zu kommen. Die Polizei setzt Tränengas ein und drängt sie zum Ausgang. Auch der Präsident der pakistanischen Gemeinschaft Griechenlands und Präsident der Union der Einwanderarbeitnehmer, Javed Aslam, nehmen an der Demo teil.
In den letzten Wochen haben Menschen in diesem Lager ihr Leben verloren. Andere haben schwere gesundheitliche Probleme bekommen - wegen der Haftbedingungen, sagt Aslam wütend. "Wir können nicht mehr warten, aus einem einzigen Grund: Es sterben Leute da drinnen, die schwere Krankheiten haben, wie z.B Tuberkulose. Hunderte von Insassen rufen uns täglich an und schildern uns ihre Probleme. Die Situation ist sehr schlimm, die Lager müssen sofort schließen!" Nassim Lomani aus dem Netzwerk für soziale Unterstützung von Migranten und Flüchtlingen, erklärt, dass der Sieg einer linken Partei bei den jüngsten Wahlen viele Erwartungen geweckt hat, sowohl bei den Gefangenen als auch bei den Organisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Chrissi Wilkens
Dass - seit die Linke nun an der Macht ist - bereits eine beträchtliche Anzahl von Insaßen freigelassen wurde, darunter viele minderjährige Flüchtlinge, aber auch Papierlose die mehr als 18 Monate lang festgehalten wurden, sieht er positiv. Aber wie Javed Aslam verlangt auch Lomani, dass die Haftlager sofort zu schließen sind: "Linke und solche Lager können nicht nebeneinander existieren. Sie müssen geschlossen werden! Für die Würde der Insassen, für die Linke, für die Menschen, die für die Rechte der Einwanderer kämpfen, für unsere eigene Würde!"
Ein paar Kilometer entfernt, im Zentrum Athens, im Büro der stellvertretenden Ministerin für Einwanderungspolitik Tasia Christodoulopoulou. Ziel der Regierung ist nicht nur das Haftlager von Amygdaleza zu schließen, sondern die Haftlager in ganz Griechenland. Offene Aufnahmezentren sollen sie ersetzen. Haft müsse eine Ausnahme und nicht die Regel sein, betont Christodoulopoulou. Die Haft kann durch alternative Maßnahmen, wie zum Beispiel eine regelmäßige Meldepflicht bei der Polizei, finanzielle Garantien oder die Einbehaltung von Reisedokumenten ersetzt werden. Christodoulopoulou ist Anwältin und seit Jahren Menschenrechtsaktivistin. Sie ist sicher, dass die EU diese Politik unterstützen wird. "Wir werden sie auf unserer Seite haben, im Gegensatz zu dem, wie es gerade bei der Wirtschaftspolitik der Fall ist. Denn Europa hat unser Land für die Verletzung von Rechten der Einwanderer verurteilt und glaubt, dass die vorherrschenden Bedingungen in den Haftlagern unmenschlich und erniedrigend sind." Das Regionalbüro für Europa des UN-Büros für Menschenrechte, hat die von der Regierung geplanten Änderungen tatsächlich bereits begrüßt.
Die neue Regierung plant unter anderem, die geschätzt 200.000 Kinder von Migranten, die in Griechenland geboren wurden und dort in der Schule gegangen sind, einzubürgern. Bis jetzt hatten diese Kinder keinen Anspruch auf die griechische Staatsbürgerschaft. Heftige Kritik kam aus Brüssel wegen den Aussagen von anderen Regierungsmitgliedern: Der griechische Vize-Innenminister Giannis Panousis forderte Ende Februar mehr Unterstützung für Griechenland bei der Versorgung von Flüchtlingen. Ansonsten werde Athen 300.000 bis 500.000 illegal eingereisten Immigranten Reisepapiere ausstellen und in andere europäischen Ländern weiterschicken, sagt er. Ein paar Tage danach sorgte Verteidigungsminister Panos Kammenos für Unmut in Berlin als er gedroht hat, Flüchtlinge nach Berlin weiterzuleiten, falls Griechenland nicht ausreichend von den Euro-Partnern unterstützt wird. Falls sich unter den Flüchtlingen auch Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat befinden, sei Europa durch seine Haltung zu Griechenland in der Schuldenfrage selbst dafür verantwortlich, so Kammenos.
Chrissi Wilkens
Aus EU-Kreisen wurde bekannt, dass Christodoulopoulou bei dem EU-Innenministerrat in Brüssel vor ein paar Tagen erklärt hat, dass diese Aussagen nicht der Haltung der griechischen Regierung entsprechen würden. Griechenland wolle unter keinen Umständen irgendwelche einseitigen Aktionen ergreifen, hieß es weiter.
Diejenigen die jetzt aus den Haftlagern freigelassen werden, bekommen ein Dokument, das ihnen erlaubt, sich für sechs Monate legal in Griechenland aufzuhalten, eine 6-monatige Aussetzung der Abschiebeorder. Immer wieder wird jedoch darüber debattiert, ob die Freilassung von Papierlosen zu einen Anstieg der Kriminalität in Athen und anderen Großstädten führen wird, da viele weder eine Einnahmequelle noch einen Aufenthaltsort haben, da die Unterkünfte für Asylsuchende völlig unzureichend sind.
Christodoulopou meint, dass es hier keinen Grund zur Sorge gibt. Es handle sich nicht um Kriminelle, sondern um Menschen, die wegen ihrer illegalen Einreise festgehalten wurden. „Ich denke, alle werden versuchen, das beste Verhalten zu zeigen“, sagt sie. Es handelt sich weitgehend Flüchtlinge, die - auch statistische betrachtet - kein besonders delinquentes Verhalten zeigen. Mache von den verhafteten Einwanderern hatten vorher sogar Papiere, konnten sie aber nicht erneuern. Andere haben durchaus Familien und Freude, bei denen sie jetzt Unterkunft finden können. "Aber natürlich lauert der Rassismus, immer bereit so eine Situation zu nutzen", sagt Christodoulopou.