Erstellt am: 19. 3. 2015 - 17:19 Uhr
Start Together
Eine Band muss mehr anbieten als bloß die Musik. Sie muss Angebote zu Fragen von Identität und Ideologie machen, mögliche Zugehörigkeitsmodelle darlegen, vielleicht politische Anliegen repräsentieren. Die 1994 in Olympia, Washington gegründete Band Sleater-Kinney ist immer so eine Band gewesen: Ein Lebensentwurf, in dem man es sich als außenstehende Person – als Fan! – recht gut einrichten kann.
Neben ihrer Haltung, ihrem Vorleben von Rebellion und Feminismus, der agilen Verkörperung der Idee Riot Grrrl, ihrer Coolness und ihrem Punk machen Sleater-Kinney, wie nebenbei, die most kickass Rock'n'Roll-Musik des Planeten. Oft zitiert hat der altehrwürdige Popkritik-Doyen Greil Marcus das Trio 2001 in einem Artikel im Time Magazine als die beste Rockband der USA bezeichnet. Er hat Recht – auch wenn er ein wenig untertreibt.
Ute Hölzl / FM4
Nach ihrer Auflösung 2006 sind Sleater-Kinney 2014 wieder zurückgekehrt und betouren aktuell mit ihrer "No Cities"-Tour ihr Anfang 2015 erschienenes achtes Album "No Cities To Love". Am Mittwoch führte die Tour Gitarristin und Sängerin Corin Tucker, Gitarristin und Sängerin Carrie Brownstein und Schlagzeugerin Janet Weiss, allesamt wie eh und je vor Elan und Verve sprühend, in das ausverkaufte Huxley's Neue Welt in Berlin.
Bass gibt es bei Sleater-Kinney nach wie vor keinen, auf dieser Tour erhält die Band jedoch erstmals Unterstützung von einer vierten Musikerin: Die Engländerin Katie Harkin, selbst üblicherweise in der Band Sky Larkin tätig, bedient für gut zwei Drittel des Sets wahlweise Synthie, Gitarre, Stand-Toms oder Tamburin.
Das Album "No Cities To Love" bespiegelt zu weiten Teilen, wenn auch meist verklausuliert, das eigene Banddasein, die lange Auszeit, das Hadern mit Ruhm und dem Verblassen des Fames, den brennenden Wunsch nach abermaligem Zusammenspiel, dem Wiedererleben einer magischen Energie. "We Win, We Lose, Only Together We Break The Rules", heißt es beispielsweise im Stück "Surface Envy", ausdrücklich auf die bandinterne Chemie Bezug nehmend, gleichzeitig klarerweise auch auf andere Gangs, Bündnisse und Lebensgemeinschaften anspielend.
Ute Hölzl
Stolz auf das neue, sehr gute Material stützten sich Sleater-Kinney auf das Album "No Cities To Love" und gaben es nahezu zur Gänze, freilich gut durchmischt mit alten Evergreens aus dem reichen Fundus. Sleater-Kinney öffneten mit dem neuen Stück "Price Tag", einem explizit politischen Song, der die Mühlen und Mühen des Kapitalismus verhandelt, das ebenfalls neue "Fangless" beleuchtete danach den Starkult und das Fallen einstiger Idole.
Der vor Optimismus und Engagement und Willen nur so bebende Song "Start Together" vom ewig unterschätzten, vierten "Pop-Album" "The Hot Rock" brachte den ohnehin mit Liebe und Wonne bestens beheizten Saal zum Glühen: "If you want me it's changing / If you want everything's changing / If you want the sky would open up / If you want your eyes could open up". Mit dem Stück "Oh!" machten Sleater-Kinney, falls es jemand vergessen haben sollte, klar, dass die Liebe, das Begehren, unsere Sexualität, gekränkte Eitelkeiten, Herzschmerz zentrale Komponenten ihres Werks, des Lebens sind.
Ute Hölzl
Ute Hölzl / FM4
Corin Tucker, wie gehabt eher statisch, im schlichten schwarzen Kleid, und Carrie Brownstein, im weißen Kleid, erblondet, ihre Trademark-Karate-Kicks und die Windmühlenhand an der Gitarre vollführend, gaben die nach wie vor unerschütterliche, ja, perfekte Symbiose. Viel geredet wurde zwischen den Songs nicht, bloß durch reine Ausstrahlung und Laune groß in den Saal gefunkelt. Wie Drummerin Janet Weiss das alles, mal schlank, muskulös im Punk-Modus, dann wieder vielarmig und ausladend an opulentem Classic Rock orientiert zusammenhält, akzentuiert und leitet, sucht Vergleichbares. Punk muss nicht heißen, dass man da nicht spielen kann. Gleichzeitig kommen Sleater-Kinney bei aller Präzision nie streberhaft oder musiker-macker-mäßig daher.
Auf der aktuellen Tour widmen sich Sleater-Kinney neben dem Schwerpunkt "No Cities To Love" ihren drei Meisterwerken "The Woods", "Dig Me Out" und "One Beat" mit jeweils drei, vier, fünf Songs in etwa zu gleichen Teilen, die anderen Platte des Katalogs – abgesehen vom schon recht feinen, aber doch noch recht unfertigen und rohen Debüt aus dem Jahr 1995 – sind mit ein bis zwei Stücken pro Album vertreten.
Ein Höhepunkt unter Höhepunkten: Die ewige Kraft des Songs "Words And Guitar" vom Album "Dig Me Out" aus dem Jahr 1997. "Words And Guitar" – wieder so ein Song über das Bandsein und den merkwürdigen Zauber, die Macht der Musik. Am Ende des regulären Sets standen zwei der hittigsten Songs der Band, beide von Sleater-Kinneys einstiegem Abschiedsalbum "The Woods": "Entertain" und der seltsam erhebende Selbstmord-Song "Jumpers".
Ute Hölzl
Ute Hölzl / FM4
Den Zugabenblock leitete Corin Tucker ein, indem sie die Wahrheit ins Mikrofon sprach: "People always ask us: 'Are you still angry?' The answer is YES!" Es folgten unter anderem das Stück "One More Hour", bittersüßer Break-Up-Song und möglicherweise das beste Lied der Band, und die Mundharmonika-Miniatur "Modern Girl", die in einem Dreisprung ("Happy Makes Me A Modern Girl / Hunger Makes Me A Modern Girl / Anger Makes Me A Modern Girl") Klischeerollenbilder der Frau mit Witz, aber eben doch Nachdruck abklopft.
Den Abschluss machte, erwartungsgemäß, muss man wohl sagen, der unkaputtbare Dauerbrenner "Dig Me Out", der Song für den Ausbruch, den Durchbruch, den Kampf – und legte noch einmal alles in Flammen. Hol mich hier raus, wir wollen Banden gründen, wir sind ein Team.