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Paul Pant

Politik und Wirtschaft

18. 3. 2015 - 15:24

Vienna Cop Stories

Mehrere Vorfälle kratzen am Image der Wiener Polizei. Das Bild des Freund und Helfers wird in den Medien zuletzt von prügelnden JungpolizistInnen und Misshandlungsvorwürfen verdrängt. Eine 2012 geschaffene Einheit sticht dabei besonders heraus: die Wiener Bereitschaftspolizei.

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"Es wird besser, aber langsam": Interview mit dem Kriminalsoziologen Reinhard Kreissl nach den Misshandlungsvorwürfen einer Wiener Unternehmerin gegen die Polizei.

In den vergangenen Wochen haben mehrere Vorfälle bei der Wiener Polizei für enorme Kritik gesorgt. Die Vorwürfe: Übergriffe von BeamtInnen, falsche Anschuldigungen, Misshandlungen und Anzeigen von Betroffenen, die von der Staatsanwaltschaft nicht sorgsam untersucht werden. Ein vom Falter veröffentlichtes Video zeigt, wie eine Wiener Unternehmerin in der Silvesternacht "beamtshandelt" wurde, nachdem sie als Fußgängerin einen Alkoholtest verweigerte. In einem anderen Fall erhoben ein Wiener und eine Wienerin schwere Vorwürfe gegen PolizistInnen, dass sie in Polizei-Gewahrsam gequält wurden. Weitere Fälle hat Nationalratsabgeordneter Peter Pilz auf seinem Blog zusammengetragen und in der ORF-Sendung Thema gab es in den vergangenen zwei Sendungen weitere Berichte über "Polizeigewalt" und Behörden-Willkür in Wien. Der vielleicht skurrilste daraus: Ein Fußball-Fan soll 400 Euro zahlen, weil er Polizisten geduzt haben soll. Ein öffentliches Ärgernis.

Wiener Bereitschaftspolizei

APA / Georg Hochmuth

BereitschaftspolizistInnen vor Ort

Auffallend bei diesen Vorfällen ist, dass sich viele der Ereignisse räumlich mit einem Polizeikommissariat im ersten Wiener Gemeindebezirk (Deutschmeisterplatz) in Verbindung bringen lassen bzw. auf die ums Eck liegende Polizeikaserne auf der Rossauer Lände. Dort, gleich neben der Wiener Nachtclub-Institution Flex, ist die Wiener Bereitschaftspolizei stationiert. Der Menschenrechtsaktivist Philipp Sonderegger, der auch im Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft sitzt, hat einen bemerkenswerten Artikel über die Hintergründe dieser Einheit veröffentlicht. Er hat beim Sichten der Videos, die von drei Vorfällen gemacht wurden, festgestellt, dass jedes Mal sogenannte Bereitschaftseinheiten involviert waren. Das seien "junge PolizistInnen, die ziemlich kurz nach ihrer Ausbildung in einer Kaserne stationiert werden und dann im Pulk durch die Stadt gehen und im Wesentlichen an Hotspots, also dort, wo DrogendealerInnen und BettlerInnen sind, Identitätsfeststellungen machen und Leute verhaften."

Neue Schlagkraft durch Bereitschaftseinheit

Die Bereitschaftseinheit ist das "Liebkind" des Wiener Landes-Vize-Polizeipräsidenten Karl Mahrer. Sie wurde am 1. November 2012 offiziell gegründet. Einen Tag später wurden in Wien-Alsergrund die ersten 100 PolizistInnen der Öffentlichkeit vorgestellt. "Die Powerplayer gegen mobile Straftäter" war Mahrers Botschaft, mit dem Auftrag, das "subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken". Mit einer stehenden Truppe könne man auf Straßenkriminalität und soziale Hotspots reagieren, argumentierte er.

Der positive Nebeneffekt: Mit einer Bereitschaftseinheit sind großangelegte Personenkontrollen, Schwerpunktaktionen, Razzien und auch U-Bahn-Streifzüge von Polizei-Kolonnen leichter realisierbar, inklusive dankbarer Bilder für den Wiener Zeitungs-Boulevard, der jede Woche mit Statistiken gefüttert werden kann. Polizeisprecher Oberst Johann Golob erklärt, dass die Bereitschaftseinheit aus "Generalisten" bestünde, die man deswegen brauche, weil die Polizeidienststellen zu wenig Personal für Schwerpunktaktionen hätten und man müsse sie dort abziehen. Gleichzeitig seien die Sondereinheiten wie die Wega für solche Aufgaben noch nicht notwendig. Diese werde erst bei erhöhten Gefahrensituationen zugezogen, so Golob.

Polizeiauto

APA / Georg Hochmuth

Powerplayer vs. Kindersoldaten

Polizeiintern gehen die Meinungen und auch die Beurteilung der neuen Straßen-Cops allerdings ein wenig auseinander. Amnesty International Österreich-Chef Heinz Patzelt weiß davon zu berichten, dass im internen Polizei-Slang der Begriff "Kindersoldaten" die Runde mache. Denn diese Bereitschaftseinheiten werden vor allem mit Jung-PolizistInnen aufgefüllt, sagt er. Das heißt, dass frischgebackene BeamtInnen nach der zweijährigen Grundausbildung, die fünf Monate Praxis beinhaltet, der Bereitschaftspolizei zugeteilt werden. Und genau hier liege der Kern des Problems, warum Routineeinsätze an Hotspots schnell aus dem Ruder laufen können. Es fehlt also die Erfahrung und das Augenmaß, Konflikte auch ohne Gewaltanwendung lösen zu können.

Dieser Darstellung widerspricht die Wiener Polizei und Oberst Golob vehement. Er sagt: Diese KollegInnen werden nicht direkt von der Polizeischule zugeteilt. "Der Hauptteil der KollegInnen hat nach der zweijährigen Ausbildung in der Polizeischule mindestens eineinhalb Jahre Dienst auf Polizeiinspektionen gemacht". Erst danach werde man zur Bereitschaftseinheit in der Rossauer Kaserne zugeteilt.

Widersprüche in der Polizeiführung

Sieht man sich allerdings die offiziellen Berichte und Presseaussendungen der Wiener Polizei und des Innenministeriums an, ergibt sich ein anderes Bild. Nur 20 PolizistInnen der rund 170 BeamtInnen sind Stammpersonal der Bereitschaftseinheit, heißt es zum Beispiel im Polizei-Magazin des Innenministeriums "Öffentliche Sicherheit". Die Stammmannschaft bestünde im Wesentlichen aus Freiwilligen, die einem besonderen Hearing unterzogen wurden. Der Rest der 150 BeamtInnen seien mehrheitlich junge PolizistInnen, die nach Absolvierung der Grundausbildung für 6 Monate in der Rossauer Kaserne Dienst machen müssen. In der letzten Ausgabe des Jahres 2012 wird über den ersten Jahrgang der zugeteilten JungpolizistInnen geschrieben:

"Sie haben ihre Grundausbildung mit 31. Mai 2012 abgeschlossen und sind seit 1. Juni 2012 ausgebildete Inspektoren und Inspektorinnen. Sie haben bereits seit fünf Monaten in ihren Stammdienststellen Dienst versehen - und sie werden nach einem halben Jahr von der Bereitschaftseinheit wieder dorthin zurückkehren. Eine Verlängerung ist möglich. 'Grundsätzlich sollen die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber nach einem halben Jahr wieder in ihre Stammdienststellen zurückkehren', sagt Major Manfred Ihle, Leiter der neuen Bereitschaftseinheit."

Da zwischen Anfang Juni und Anfang November 2012 nur fünf Monate liegen, können zumindest diese BeamtInnen des ersten Jahrgangs nicht eineinhalb Jahre Dienst versehen haben. Aus gut informierten Kreisen der Polizei heißt es, dass seit den späteren Rotationswechseln auch ganz junge PolizistInnen frisch von der Polizeischule Dienst versehen.

Bereitschaftseinheit der Wiener Polizei

APA / Helmut Fohringer

Exzellente Ausbildung und dann?

Heinz Patzelt von Amnesty International Österreich bescheinigt dem Ausbildungssystem in der Polizei prinzipiell eine exzellente Qualität. Dort habe man in den letzten Jahren wahnsinnig viel investiert. Warum kommt es aber nun zur Häufung von Vorfällen mit BereitschaftspolizistInnen, bei denen auch unbescholtene BürgerInnen bei Routineeinsätzen mit scheinbaren Bagatell-Delikten ins Visier genommen werden? Heinz Patzelt erklärt das mit der fehlenden Erfahrung der BeamtInnen und der militärischen Aufstellung dieser Einheit. "Die Polizisten werden dort wirklich versaut", sagte er gegenüber der APA.

Anstatt der vom Innenministerium angestrebten Modell des Community-PolizistInnen, auf Wienerisch GrätzelpolizistInnen, wolle man die jungen, nachkommenden PolizistInnen in der Bundeshauptstadt anders, nämlich militärisch sozialisieren, erklärt Patzelt. Denn: "Wenn man ganz junge Polizisten unmittelbar nach der Ausbildung nicht in die Wachzimmer bringt, sondern militärisch kaserniert und in der Großgruppe zuschlagen lässt, immer nur dort, wo es hart auf hart geht, bekommen sie eine ganz andere Sozialisierung." Es sei das Bild der klassischen "Königspolizei", das von der Führungsriege der Wiener Polizei gefördert werde. Eine Polizei, die als Fremdkörper in der Gesellschaft agiert und sich nicht mit den Menschen vernetzt, die sie betreut. Eine militärische Gruppe mit Korpsgeist und Kadavergehorsam. Law and Order also mit jungen BeamtInnen, denen das "Gehirn gewaschen wird", wie es Patzelt sagt.

Auflösung oder Reform

Patzelt fordert die sofortige Auflösung der Bereitschaftseinheiten oder nur mehr erfahrene, viele Jahre im Dienst befindliche PolizistInnen einzusetzen. Diese hätten nicht nur mehr Augenmaß, sondern auch das Selbstbewusstsein "Nein" und "Stopp" zu sagen, wenn etwas schief laufe. Den pauschalen Vorwurf, dass in Wien eine "Prügelpolizei" unterwegs sei, lässt Patzelt übrigens nicht gelten: "In 95 Prozent der Amtshandlungen wird in Wien exzellente Arbeit geleistet, in ein paar Prozent der Fälle weniger exzellente Arbeit. Was aber so besorgniserregend ist, ist wenn was schief geht, wenn schon falsch begonnen worden ist", sagt er. Dann gebe es, wie man am Beispiel der Bereitschaftseinheit sieht, niemanden, der Stopp sagt. "Sondern dann wird getarnt, getäuscht, Protokolle mit Lügen gefüllt und ähnlichem mehr, denn eines ist klar: die Polizei hat niemals unrecht."

Wenig beruhigend war auch die Erklärung vom Wiener Polizei-Vizepräsident Karl Mahrer nach den Vorwürfen vergangene Woche in Wien Heute. Er sieht in dem Überwachungsvideo des Vorfalls mit der Unternehmerin, der Steißbeinbruch, Prellungen, Blutergüsse und einen Prozess auf Grund Widerstand gegen die Staatsgewalt zur Folge hatte, "keinen Hinweis auf eine Misshandlung". Dazu verwies er darauf, dass nur wenige Misshandlungsvorwürfe gegen die Polizei zu Anklagen oder Verurteilungen führen würden. In den letzten Jahren habe es durchschnittlich 230 bis 260 Vorwürfe pro Jahr gegeben, sagt Mahrer.

Doch Handlungsbedarf?

Dass man nicht zur Tagesordnung übergegen könne, wurde jedenfalls auf Justizebene durchaus erkannt. Nach dem Auftauchen des Überwachungsvideos zog die Staatsanwaltschaft die Notbremse, der Prozessstart gegen die Unternehmerin wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

Update, 19.3.2015: Ermittlungen gegen 14 Personen

Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt (StA) ermittelt nun gegen 14 Personen im Fall der 47-jährigen Unternehmerin, die zu Silvester in Wien festgenommen wurde. "Die meisten von ihnen sind im Polizeidienst", sagte der StA-Sprecher Roland Koch. "Seitens der Staatsanwaltschaft Eisenstadt und des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung wird der gesamte Vorfall - also vom Treffen der Frau auf die Polizei bis zu ihrer Freilassung - einer strafrechtlichen Überprüfung unterzogen". Der Abschlussbericht des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung soll in etwa acht Wochen vorliegen.

Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt hat den Fall übernommen, nachdem die Oberstaatsanwaltschaft der Staatsanwaltschaft Wien die Ermittlungen gegen die Polizisten entzogen und diese nach Eisenstadt delegiert hat.