Erstellt am: 18. 3. 2015 - 10:35 Uhr
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Diagonale
Festival des österreichischen Films.
Graz, 17.-22. März 2014
Tägliche Berichterstattung aus Graz im Diagonale Tagebuch auf fm4.orf.at und auf orf.at/diagonale
Sondersendung zum Filmfestival: Donnerstag, 19. März, ab 19 Uhr in einer FM4 Homebase Spezial.
Scharfsinnig, wie es das Eröffnungspublikum schon traditionell gewohnt ist, bringt Barbara Pichler auf den Punkt, worum es ihr beim Festival des österreichischen Films geht: "Eine Art von temporären öffentlichen Raum zu schaffen, in dem nicht nur das Publikum den Filmen, sondern auch die Gesellschaft sich selbst begegnen kann". Das Festival könne und solle zur Überprüfung der eigenen Position dienen.
Beunruhigend, ja geradezu destruktiv wäre die Ansicht, dass Kunst und Kultur grundsätzlich zu teuer wären. Die Schlussfolgerung daraus wäre fatal: wieviel und welche Kunst man sich leisten solle?
Ruth Ehrmann
Die zunehmende Prekarisierung für Filmschaffende und VermittlerInnen von Kunst und Kultur müsse Teil eines öffentlichen und eines politischen Diskurses sein, fordert Barbara Pichler. Schlimmer noch sei die Gefahr, aus der finanziellen Unsicherheit und diesem Druck heraus den Schritt in die ideale Anpassung zu machen: in vorauseilender Erfüllung der Erwartungen und in schweigender Zustimmung der Einschränkung von Ausdrucksformen. Dagegen müssten sich alle und zwar gemeinsam verwehren.
Mit Senf
Die Kombination Eierspeise mit Currysenf am Teller vom Eröffnungsbuffet bringt einen genauso schnell ins Gespräch mit Unbekannten wie der diesjährige Eröffnungsfilm. "Superwelt" war insofern ein super Eröffnungsfilm: Jede und jeder hatte eine Meinung.
Und eine Haltung zu haben, das wäre doch was, das sagt auch Tobias Moretti, der mit dem Großen Schauspielpreis der Diagonale gewürdigt wurde. Der kurze Video-Zuspieler zeigte den vielseitigen Schauspieler als Vampir, Piraten und Westernhelden. Szenen aus der heute noch sehenswerten "Piefke-Saga" oder "Kommissar Rex" waren ausgespart, dafür gab es eine Kussszene mit Veronica Ferres zu sehen. Zurück zu Haltungen: Wir hätten kaum noch Haltungen oder würden kaum noch Bekenntnisse zu etwas formulieren, so Moretti. Vielleicht sei das auch ein Grund, warum "wir der Radikalisierung von allen Seiten irgendwie so apathisch ausgeliefert sind und ihr kaum mehr was entgegenzusetzen" hätten, führt er aus.
Bei Radikalisierung assoziiert man ungewollt Religion und grausame Bilderwelten. Kurzum: Seltsame Projektionen. Es ist an der Zeit für den diesjährigen Eröffnungsfilm der Diagonale: "Superwelt".
"Superwelt" – oder eine Versuchsanordnung
"Superwelt" läuft ab 20. März in den heimischen Kinos
Der Barscanner piepst, von den meisten Menschen sieht die österreichische Supermarkt-Kassiererin Gabi Kovanda nur Bäuche und Oberkörper. In ihrem routinierten Alltag gibt es wenige Freuden. Das wöchentliche Damenturnen ist ein Highlight. Willkommen in „Superwelt“, dem zweiten Spielfilm von Karl Markovics. Sein Filmregie-Debüt "Atmen" war mit 96.041 Zuschauern hierzulande ein Kinohit.
"Superwelt" hatte gestern Abend Österreich-Premiere - und "Superwelt" ist ein Film, der Fragen auftut. Schließlich spricht darin die weibliche Hauptfigur plötzlich permanent mit Gott. Es lohnt sich, beim Filmemacher selbst nachzufragen.
Till Brönner
Das Bild, das Regisseur und Drehbuchautor Markovics von der Angestellten und ihrer Familie zeichnet, ist ein tristes. Relativ. Es geschieht dieser Frau nichts Schlimmes, doch ihr Leben scheint auch keine großen Glücksgefühle zu kennen. Denkt Karl Markovics, dass es Menschen gibt, die so leben?
„Ich bin überzeugt davon, dass eine Menge Menschen so leben. Ich glaube, dass viele von uns eine so große Angst vor Veränderungen, vor dem Unbekannten, dem Neuen haben, dass ihnen die Möglichkeiten abhandenkommen, Glück zu empfinden“, antwortet Markovics im Interview mit FM4.
Es werde Licht, wünscht man sich, so gedämpft wie die Einrichtung des Eigenheims präsentiert sich das Eheleben der Kovandas (hervorragend gespielt von Ulrike Beimpold und Rainer Wöss). Es ist ein derart liebloses Nebeneinander, sodass der Familie Gabis zunehmende geistige Abwesenheit erst gar nicht groß auffällt. Bald wird sie laut mit einem imaginären neuem Freund sprechen, wie es zuweilen untersiebenjährige Kinder tun. „Was wollen Sie von mir?“, ist Gabi selbst erst irritiert und spricht weiter mit „Gott“.
Was hat Karl Markovics daran gereizt, eine Frau an der Grenze, vielleicht gar zu religiösen Wahnvorstellungen, zu porträtieren? Markovics verneint. Er zeige keine Frau an der Grenze zum religiösen Wahn. „Ich wollte einen Film über die Beziehung zweier Wesen machen – eines menschlichen und eines göttlichen Wesens. Ich beschreibe hier keinen klinischen Fall. Viele Menschen sehen das offenbar so. Das haben schon die Publikumsgespräche bei der Berlinale gezeigt“, antwortet Markovics. Er fände es sehr bezeichnend für unsere Zeit, dass man eher an eine Krankheit oder an einen Wahn glaube als an Gott.
Thimfilm / Petro Domenigg
Bloß: gut geht es dieser Gabi nicht. Sie läuft barfuß querfeldein und reagiert kaum noch auf Mitmenschen. In einer Szene findet sie sich wie Jesus bei seinen Jüngern an einem Tisch in einem Baucontainer wieder, um sie sitzen verdutzte Arbeiter. Das Unverständnis ihrer Umgebung evoziert den einen und anderen komischen Dialog.
Religion ist ein immerwährendes Thema, momentan ist es jedoch angesichts fanatischer Pervertierungen von Glaubenssätzen besonders in den Schlagzeilen. Die Gabi in „Superwelt“ kennt allerdings nur einen Satz der katholischen Eucharistiefeier auswendig. „Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“. Dasselbe könnte für eine Abhängigkeit in einer Beziehung gelten. „‚Sprich mit mir’ bedeutet, ‚beweise mir, dass ich da bin, dass es mich gibt’. Am Anfang war das Wort. Das kommt nicht von ungefähr“, so Markovics. „Der Gedanke, der Wille, die Vorstellung – warum sollten das zwangsläufig postmaterielle Erscheinungen sein? Woher wissen wir, dass der Wille nicht vor dem Werk da war?“
Thimfilm / Petro Domenigg
Bis um elf im Kino!
Am Eröffnungsabend der Diagonale räumt Karl Markovics mit zwei Vorurteilen auf: SchauspielerInnen denken nur an sich und FilmemacherInnen nur an ihre Filme. Markovics zumindest denkt aktuell ans Radio, konkret an dessen Standort in der Argentinierstraße. Er nützt seine Redezeit, um sich gegen den ORF-Standort Küniglberg mit einem multimedialen Newsroom für TV, Radio und Online auszusprechen: "Ich kann nur alle aufrufen: Erhebt eure Stimme! Wir zahlen genug Gebühren. Das Geld wird an anderer Seite vielleicht falsch ausgegeben. Lassen wir uns dieses Funkhaus nicht nehmen! Es ist unsere Identität, so wie der österreichische Film".
Um genau diesen österreichischen Film geht es in den kommenden fünf Tagen in Graz. Um elf beginnen die ersten Kurzfilmprogramme. Exakt zwölf Kinostunden später laufen in der Spätabendvorstellung die ersten Folgen der Siebziger Jahre Jugendporträtserie "Draußen in der Stadt". Dazwischen: folgt Premiere auf Premiere.