Erstellt am: 18. 3. 2015 - 12:22 Uhr
Gang Of Four
In seinem langen Herrenmantel, dem darunter lauernden Nadelstreif und offenem Hemd wirkt Andy Gill wie ein etwas verwegener Gentleman. Tatsächlich kann man Mr. Gill mittlerweile ruhig als einen Elder Statesman der britischen Popmusik bezeichnen. Mit seiner Truppe Gang Of Four schob er - gemeinsam mit Bands wie Wire, Scritti Politti, PIL, Mekons, Delta 5 u.a. - Ende der 70er-Jahre ein konzeptuelles "Post" vor den "Punk", der soeben unter der Regie von Malcom McClaren implodiert war.
Christian Lehner
Statt in Nietenlederjacken rotzaufziehend die Straßen unsicher zu machen, sah man nun Typen wie Andy Gill mit schweren Theoriewälzern unterm Arm durch die Pubs und Proberäume der englischen Statt Leeds ziehen. "So wie man heute Menschen zu einer klaren politischen Meinung förmlich nötigen muss, so inflationär war sie in dieser Zeit unter den Szenemenschen verteilt. Das war schwer in Mode damals und zwar durchaus auch im Sinn von Fashion."
Spätestens seit Simon Reynolds Buch Rip It Up And Start Again. Post-Punk 1978-1984 sind die Verdienste dieser Cliquen um die Erneuerung von Popmusik der Nachwelt erhalten. Rock’n’Roll wurde gegen seine eigenen niedrigen Instinkte gerichtet, der Chauvinismus des Punks entsorgt. Man engagierte sich im sozial erkaltendem England der aufziehenden Thatcher-Ära gegen Xenophobie, Sexismus und den Konsumrausch. Das Private wurde zur politischen Keimzone erklärt; der Love Song - die heilige Kuh des Pop - als Seditativ des Kapitalismus dekonstruiert, wie es damals so schön hieß.
Gang Of Four schufen dazu eine Ästhetik, die ihre politische Konnotation lange überdauern sollte. Der Sound war kalt, trocken, schrill und rastlos. Schlagzeug und Bass ächzten zwar im Funk und Disco-Rhythmus, doch fehlte aufgrund der bewusst dünn gehaltenen Produktion die Funkiness und der sexy Groove der transatlantischen Stichwortgeber.
Das war natürlich schwerstens gewollt und also Konzept. Ebenso verhielt es sich mit der E-Gitarre. Andy Gills zackig gespielte Riffs schlugen Schneisen in die Harmonien und gemahnten eher an sonische Zwangskastrationen als an phallische Formvollendung durch einen Gitarrengott. "Die Riffs schienen Mühe zu haben, aus den Boxen zu kommen. Es war das Gegenteil der Smoothness von so Typen wie Eric Clapton. Der Sound sollte wachrütteln, nicht einlullen". Was heute schwerstens nach Renitenzklischee klingt, war Ende der 70er-Jahre Poprevolution.
Die ersten drei Gang-Of-Four-Alben "Entertainment", "Solid Gold" und "Songs Of The Free" gelten als Meilensteine des Genres mit der strengen Selbstreglementierung. 1982, es tobt der einseitige Falklandkrieg zwischen Großbritannien und Argentinien, boykottiert die BBC den spöttischen Antimilitarismussong "I Love A Man In A Uniform" - das einzige Stück der Gang mit kommerziellem Hitpotential.
Die vier aus Leeds waren immer zu unbequem und subversiv für den breiten Erfolg. 1983 löst sich die Band auf. 2004 dann die obligatorische Reunion im Zeichen des rein ästhetischen Postpunk-Revivals von Franz Ferdinand, Bloc Party oder den frühen DFA-Acts aus New York. Bereits in den 90er-Jahren nahmen Amirocker wie Rage Against The Machine und die Red Hot Chili Peppers stilistische Anleihen am Sound von Gang Of Four. Letztere wurden sogar von Andy Gill produziert.
2008 konnte die Gang mit dem furiousen Album "Content" noch einmal so richtig dazwischenfahren. Nur drei Jahre später stand Andy Gill als letztes verbliebenes Gründungsmitglied auf der Bühne. Jon King, Stimme und kongenialer Texter, verließ die Band, um sich voll und ganz seiner Karriere als "Werbefachmann und Medienberater zu widmen", wie Andy Gill nur scheinbar gelassen erzählt.
Wie nun das erste Gang-Of-Four-Album ohne Jon King geworden ist, welche Rolle darin ein gewisser Herbert Grönemeyer spielt, warum hartgesottene Fans eher weniger Gefallen am neuen Sound finden werden und wieso es auf "What Happens Next" ein bisschen gefühliger zugehen darf, könnt ihr am Mittwoch, den 18. März, in der FM4 Homebase (19 bis 22 Uhr) hören und im Anschluss für 7 Tage on Demand.