Erstellt am: 14. 3. 2015 - 15:33 Uhr
Vom Hochmut der Spezies
Nicht nur Menschen reagieren auf Problemstellungen und Situationen unterschiedlich. Auch Tiere haben verschiedene Verhaltensansätze, die genau wie beim Menschen als Mut, Solidarität, Aggressivität, Neugier und so weiter interpretiert werden können.
Forscher der Universität Brüssel arbeiten mit Kakerlaken und kommen zu dem Schluss, dass auch diese Tierchen Verhaltensdifferenzen zeigen, die man als Persönlichkeit bezeichnen kann. Es gibt tapfere, neugierige, schüchterne, aggressive, vorsichtige Kakerlaken und alles dazwischen. Es sind keine zufälligen Reaktionen sondern genetisch bedingte Verhaltensweisen. Scheue Kakerlaken halten sich zurück und erkunden das Terrain langsamer und dafür genauer, während mutige Tiere voranpreschen. Diese Persönlichkeitsunterschiede haben die Funktion, dass im Katastrophenfall die Spezies dank der Feiglinge überleben würde, auch wenn die Kakerlaken-Helden an vorderster Front gefallen sind.
Eine Tinder-App für Kakerlaken wäre also doch nicht sinnlos. Und die Evolutionstheorie ist übrigens auch falsch. Nicht, weil das große Wolkenwesen doch alles geschaffen hat, sondern weil kranke Mäuseriche von Mäusedamen genau so oft als Fortpflanzungspartner erwählt werden, wie gesunde.
Bei Stromausfällen steigt übrigens die Frequenz, mit der Menschen sich paaren, was wiederum ablesbar ist an der Geburtenrate neun Monate später. Diese Legende kursiert seit dem New Yorker Stromausfall von 1965. Beim Stromausfall 1977 soll die Geburtenrate sogar um 35 Prozent gestiegen sein. Das hat sich aber als Mythos herausgestellt. Ws aber wohl stimmt, ist, dass es nach dem Blackout von 1977 unzählige neue HipHop-Sound-Systeme gab. Grandmaster Caz und Disco Wiz erinnern sich an die Nacht
"The looting that occurred during the blackout enabled people who couldn’t afford turntables and mixers to become DJs. I went right to the place where I bought my first set of DJ equipment, and got me a mixer out of there. After the blackout, all this new wealth … was found by people and they just - opportunity sprang from that. And you could see the differences before the blackout and after." Und Disoc Wiz fügt hinzu: "Vor dem Blackout hattest du fünf Crews. Danach gab es mindestens einen DJ an jedem Block."
Ob eine versehentliche 48-stündige Legalisierung von MDMA, XTC und Ketamin in Irland im März 2015 genau so eine katalysatorische Kraft haben wird, wie ein Stromausfall im August 1977 in New York, bleibt abzuwarten. Leider war die Legalisierung kein soziales Experiment sondern eine Gesetzeslücke, die sofort und panikartig wieder geschlossen wurde. Ändert sich an Konsumverhalten oder Vertriebsstrukturen etwas, wenn eine Substanz für ein 48 Stunden legal ist? Bricht eine Revolution aus oder liegen nur alle mit breiten Grinsen herum und schmusen mit Menschen, mit denen sie ohne die Gesetzeslücke - anders als die Mäuseweibchen - niemals geschmust, geschweige denn sich gepaart hätten?
Ich habe Fotos von grinsenden Menschen gesehen, aber keine Anzeichen für eine soziale Revolution, einen dritten Summer of Love, ausgehend von Irland bemerkt. Außerdem: interessiert es jemanden, der bereit ist sich für fünf Euro Substanzen unbekannter Herkunft reinzuhauen, tatsächlich, ob das Zeug legal ist? Dass ich für einige Zeit ein sabberndes nur drei Sätze wiederholendes Wesen bin, dass alle antapscht, beschäftigt mich mehr, als die Frage, ob das Zeug jetzt in dieser Zusammensetzung legal ist oder nicht. (Ich mag XTC nicht).
Ich halte es für einen bedenklichen Indikator für das Scheitern der Prohibition, der Drogenpolitik, des Wirtschaftssystems und unserer Spezies, wenn illegale Drogen billiger sind als legale Drogen oder Grundnahrungsmittel. Dieser Umstand ist mir zum ersten Mal aufgefallen, als ich fassungslos im Unisex-Klo des 2001 geschlossenen New Yorker Nachtclubs Tunnel stand, ein Sieben-Dollar-Mineralwasser in der Hand und vor mir eine Elfe mit Sesamstraßen-Rucksack, der mit XTC zum Stückpreis à fünf Dollar gefüllt war. Seitdem habe ich eine gewisse Abneigung gegen Clubkid-Fashion und mich beschäftigt die Frage, ob die Gesellschaft zum Teufel geht, wenn XTC billiger ist als das Jugendgetränk an der Bar.
Ich habe habe Erkundungen, nennen wir es mal etnhographische Fallstudien, bei befreundeten, im Club arbeitenden und existierenden Geistern eingeholt, die meine Intention, Empörung und Frage missverstanden. (Nochmal: ich mag XTC nicht, Menschen reden nüchtern schon genug Müll). Hier ihre Antowrt: "Liebe Natalie, auch wenn du immer noch Fantasien vom Club als sozialer Utopie nachhängst, du bist alt genug, um zu erkennen, dass auch hier die Gesetze des Marktes gelten. Angebot regelt die Nachfrage, so auch in der so viel gerühmten Clubkultur, von der immer behauptet wird, dass sie zur Belustigung aller da ist, aber dennoch einen substanziell-leiwanden Mehrwert anbieten MUSS. Also, dass man gescheiter und freier rausgeht, als vorher rein. Weil es sich ja anscheinend in einer permanent an Selbstoptimierung arbeitenden Kultur so gehört. Es herrschen also Angebot und Nachfrage und keine das Rechtssystem suspendierenden Freiräume in Clubs."
Das Dionysische dürfte sich derzeit in heller Aufregung befinden, wenn sogar der Exzess der Selbstoptimierung unterliegt.