Erstellt am: 13. 3. 2015 - 18:45 Uhr
Let No Man Put Us Under
In "Unbreakable Kimmy Schmidt" wird das verlässliche und gut abgegraste Plot-Device des Fish-Out-Of-Water auf einer noch einmal besonders verstiegenen Prämisse errichtet. Dann aber auch noch einmal neu abgeklopft und aus neuen Perspektiven angeschaut. Was muss der Fisch tun, wenn er in neue, ihm seltsam und fremd erscheinende Zusammenhänge, Zeiten, Bedingungen und Systeme verpflanzt wird?
Letzten Freitag hat Netflix alle dreizehn Episoden der ersten Staffel von "Unbreakable Kimmy Schmidt" in einem Rutsch in die Welt entlassen, die von Tina Fey und Robert Carlock - neben Fey ebenfalls federführend bei "30 Rock" - ersonnene Show war in der vergangenen Woche im Serien-Sektor erwartungsgemäß und zu Recht Top-Thema. Und wird auch am Ende des Jahres diverse Listen schmücken.
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"Unbreakable Kimmy Schmidt" ist die lustigste Show seit langem, albern, man fällt beinahe vom Pferd, dabei verhandelt sie die Frage, was Anpassung und Assimilation bedeuten können oder müssen. Wie sehr wollen wir uns die Identität verbiegen, Rollen spielen, um durchzuflutschen oder es zu schaffen, in einer Gesellschaft, die im Falle von "Unbreakable Kimmy Schmidt" übermächtig von einem vermeintlichen "American Dream" - er kommt in den unterschiedlichsten Kostümierungen - durchsetzt ist?
Das Ausgangsszenario der Show ist so schon sehr weit an den Haaren herbeigeholt und macht schnell klar, dass man sich die Antwort auf die Frage, worüber eigentlich gerade noch so gelacht werden darf, hier schnell abschminken kann.
In der Hauptrolle der Endzwanzigerin Kimmy Schmidt glüht und sprüht die aus der US-Version von "The Office" oder auch einer Nebenrolle in "Bridesmaids" bekannte Ellie Kemper. Nachdem Kimmy fünfzehn Jahre mit drei anderen Frauen in einem unterirdischen Bunker, gefangen in den Händen eines Doomsday-Predigers, verbracht hat, will sie nach ihrer Befreiung mit offenen Armen und Augen die Welt neu kennenlernen. Und zwar in New York City. Kimmy Schmidt stammt aus Indiana, so ist die Außenseiterrolle gleich eine doppelte: Ein halbes Leben weggesperrt gewesen zu sein, das genügt nicht, Kimmy ist noch dazu Landei in der großen, großen Stadt, die so bunt funkelt und viel verspricht.
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Hauptquell des Humors von "Unbreakable Kimmy Schmidt" ist so klarerweise der Zeitsprung, die Diskrepanz zwischen Heute und Gestern. Fünfzehn Jahre war Kimmy von den Vorgängen da draußen abgeschottet, hat technologischen Fortschritt und Wandel der Moden versäumt. Neue Sprechweisen und Jargons lernt sie nur nach und nach zu entschlüsseln, ihre eigene Coolness modelliert sie nach alten "Yo! MTV Raps"-Shows oder einem Film wie "Dangerous Minds", in dem, so Kimmy, Lehrer verkehrt herum auf Stühlen sitzen und desinteressierten Schulklassen Shakespeare durch gerappten Vortrag näherbringen: "Poetry is Dope!".
Kimmy weiß, dass sie in der neuen Umgebung weird erscheinen muss, kann nach eigener Auskunft Telefone und Kameras nicht so recht auseinanderhalten und wundert sich angesichts der Gebräuchlichkeiten: "Even Policemen have Tattoos!". Dabei will sie bloß als "normaler" Mensch durchs Leben gleiten, Sensationen nachholen und "kiss a boy". Mit Teenager-Begeisterung und adäquat schrill-bunter Kleidung, pinker Hose, gelber Weste und brandneuen Sneakern, die beim Auftreten blinken, wandelt sie auf Erkundungstour durch New York. Passender Freund und Mitstreiter gegen die Widrigkeiten des Lebens ist Wohnungskollege Titus: afroamerikanischer Flamboyanz-Pfau mit großem Herzen, homosexueller Möchtegern-Broadway-Star, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt.
Zwar verlässt sich "Unbreakable Kimmy Schmidt" bislang stärker als ihre ästhetische Mutter auf klassische Sitcom-Mechanismen, driftet jedoch wie "30 Rock" - vor allem gegen Ende der Staffel - vom sogenannten Skurrilen immer mehr ins Surreale, bringt Oneliner und Wortwitze ins Spiel, die mit Dingen wie Plot oder möglicher Realität nur mehr am Rande zu tun haben müssen. Dabei überdehnt, dreht und bricht die Show Muster, Erzählweisen und Klischees, die nach wie vor so oft von Sitcoms transportiert werden.
Neben nahezu flächendeckendem Jubel für die Show wird "Unbreakable Kimmy Schmidt" – wenn auch nur da und dort und ganz leise – aufgrund ihres Umgangs mit Rassismus und schematischer Typologisierung kritisiert. Dabei geht es in "Unbreakable Kimmy Schmidt" auch genau darum. Freund Titus wird als hochemotionale Dramaqueen in pinken und purpurnen Hemden gezeichnet, mit exaltierten Gesten, die in jedem passenden und nicht so passenden Moment in ein Showtune einstimmen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte.
Um jedoch künftig eben nicht bloß als der lustige Vorzeige-Sitcom-Schwule gecastet zu werden, unterzieht sich Titus einem Tough-Guy-Training, das ihm alle vermeintlich schwulen Manierismen abgewöhnen soll. Echte Männer trinken nicht durch den Strohhalm, sie gehen in Sportbars und trinken Bier aus der Flasche. In jeder Sekunde ist hier klar, dass sich die Show gegen Normierungsgewäsch und für ein offenes, glanzvolles, selbstbestimmtes Leben ausspricht.
Völlig in ihre Traumexistenz hineingemorpht jedoch ist in "Unbreakable Kimmy Schmidt" die Figur Jaqueline Vorhees. Die sehr blonde und sehr weiße Schauspielerin Jane Krakowski gibt hier eine Art Weiterführung ihrer Rolle der glam-süchtigen Jenna Maroney aus "30 Rock". Jaqueline Vorhees' Eltern - wie ein kleiner Nebenplot verrät - sind in der Show Native Americans, sie verleugnet jedoch ihren familiären Background und die in finanzieller Hinsicht eher bescheidene Herkunft; sie hat sich die Haare gebleicht, sich komplett ihren Wünschen und den Anforderungen eines weißen US-Amerikas entsprechend zurechtgeformt und superreich nach Manhattan eingeheiratet.
Ihren Ehemann, ständig auf Dienstreise, verdächtigt sie der Untreue, hinter all dem Glitzer und dem Geld hadert sie mit dem Verblassen von Jugend und Schönheit – möglicherweise ihrem einzigen Kapital. Kimmy Schmidt findet im Hause Vorhees einen Job: Als Nanny, als Jaquelines Assistentin, Beraterin und bezahlte Vertraute - echte Freunde hat Jaqueline selbstredend nicht: "All my friends are people I pay - trainers and stylists and beauticians and I doubt they say: 'Wow your anus really responds to the lazer' because they want to." In einem Anflug besonderer Rage beklagt Jaqueline die Gräuel, die Native Americans durch das Land USA erfahren mussten - hierbei ihrer Meinung nach am Brenzligsten: Der Umstand, dass ihr Volk im Fernsehen so oft von Mexikanern dargestellt werde.
Ein Love Interest von Kimmy wird der gestelzte, ebenfalls schwerreiche Daddy's Boy Logan – in Wahrheit bodenständiger Amerikaner, der jedoch stets mit ostentativ britischem Akzent spricht, unter anderem, weil mit derlei Zungenschlag eine schlechte Nachricht doch deutlich weicher und geschmeidiger zu übermitteln sei: "The dolphin died on the sidewalk." Weiterer Verehrer Kimmys ist der Vietnamese Dong, der, ganz Stereotyp, großes mathematisches Talent besitzt. "That's racist", meint Titus dazu. Kimmy darauf: "But... he is good at maths!". Titus: "I don't make the rules."
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Jaquelines verzogene Stieftochter Xan, mit der sich Nanny Kimmy muntere Wortgefechte liefert ("Hey, Kimmy! 1996 called. It wants its clothes back." – "Hey Xan, 2090 called: You're dead! And wasted all your time on earth.") und die sich vor ihren Freundinnen als typisch gelangweilter Nervteenie mit Lust an Alkohol und Drogen inszeniert, wird sich schließlich auch als Musterschülerin und Geheim-Nerd entpuppen.
Das alles ist oft und gerne und ausdrücklich too much. Der Grund, warum "Unbreakable Kimmy Schmidt" dabei so prächtig funktioniert, ist die alles so voller Saft und Liebe und Leuchten zusammenhaltende, so deutlich vielschichtiger als in anderen, altbekannten Akklimatisierungs-Szenarios entworfene, gebaute und mit Verve zum Leben erweckte Titelfigur. Sofern nicht alles komplett falsch läuft in dieser Welt, wird Ellie Kemper mit dieser Rolle zum Star werden. Sie gibt Kimmy Schmidt, die freilich - schon im Wesen der Show verankert - cartoonhaft und topüberzogen, als Scherenschnittpappkameradin angelegt ist, eine seltsame Glaubwürdigkeit, eine Person hinter dem Gag, lässt sie nicht zur bloßen Karikatur verkommen.
Kimmy ist von der neuen Welt immer ein wenig überfordert, aber nicht erschlagen, sie lässt sich nicht unterkriegen, sie ist leichtgläubig, nicht idiotisch, ein bisschen kindisch, dabei selbstsicher, smart und mit Witz und Durchsetzungsvermögen in Schaufeln ausgestattet. Sie ist kein verschüchtertes Dummchen, sie ist tough, unkaputtbar, das Schlimmste liegt hinter ihr, und voller Glauben an das Gute. Sich Kimmys Euphorie zu widersetzen ist schwer möglich: "Let's hear it for breakfast!", weiß Kimmy die wichtigste Mahlzeit des Tages anzufeuern. Ein Loblied auf den Optimismus, never surrender.