Erstellt am: 13. 3. 2015 - 14:32 Uhr
Wort, Bild, Gefühl
Wir bestehen aus der Summe der Erinnerungen, die wir haben, und aus Wörtern, die diese kommunizieren können. Still Alice, der Film des Regie-/Drehbuch-Ehepaars Richard Glatzer und Wash Westmoreland, behandelt zärtlich das Auflösen dieser Sammlung via Early-Onset Alzheimer. (Tragischerweise erlag Co-Autor/Regisseur Glatzer am Dienstag seiner Amyotrophen Lateralsklerose).
Sony Pictures
Studio Canal
Weil ich nicht anders kann, muss ich hier den Fassbinderfilm "Angst vor der Angst" (1975) empfehlen, mit dem "Still Alice" eine gewisse, furchterregende Ähnlichkeit teilt.
Der Film spielt im bilderbuchhaften WASP-(White-Anglo-Saxon-Protestant)-Milieu der erfolgreichen nordamerikanischen Elite: Alice (Julianne Moore) ist Linguistik-Professorin an der Columbia University in New York, ihr Mann (Alec Baldwin) ebenso erfolgreicher Forscher, die drei Kinder (Kate Bosworth, Hunter Parrish, und Meisterin-des-Understatements Kristen Stewart) sind hübsch und mehr oder minder perfekt.
Langsam und schleichend beginnt sich für Alice, deren Forschungsfeld die Aneignung der Sprache im Kleinkind-Alter ist, die Welt aufzulösen: Anfangs sind es einfache Wörter, die ihr nicht einfallen, und ihren Sprachfluss ins Stocken bringen. Das erste Problem ist eher die Peinlichkeit, die solch ein Kommunikationsproblem begleitet, und Alice kann dank ihrer Intelligenz den Gedächtnisverlust kaschieren. Dann setzt Verwirrung ein, Schlaflosigkeit, und ein dumpfes Grauen manifestiert sich: hier handelt es sich um eine Krankheit, die nicht Blut, Knochen oder Fleisch zerstört, sondern die menschliche Kommunikation und das Gedächtnis.
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Die Kunst des Verlierens
Das riecht nach jener Art Problemfilm, der sich seinen Wert anhand des Gewichts seines Sujets ermisst. Still Alice verzichtet jedoch auf herkömmlichen filmischen Realismus. Vorsichtig, und mit wachsendem, traurigem Unbehagen nähert sich der Film dem Zersetzen des Geists und des Verstands; dem Verlust von, sagen wir, allem.
Die Kamera fokussiert auf Alice, grenzt die Außenwelt ab und gibt uns ein Gefühl für Alices Befinden, betont weniger die Verwirrung als eher die Verwunderung über all das, was uns als Wesen eigentlich ausmacht. Auf eine bescheidene Art stellt er die philosophisch-poetische Frage danach, was Sprache, Verständnis, und Kommunikation eigentlich bedeuten und wer wir überhaupt sind. Der Titel Still Alice ist also fast zynisch - so lange der Film läuft, gibt es Alice noch. Alice's Leben nach dem Film ist nicht wirklich etwas, an dem wir Teil haben wollen.
Woraus ein Mensch besteht
Für eine Geschichte, in der Zeit und Voranschreiten von Alzheimer die zentralen Punkte sind, ist Kino vielleicht das geeignetste Medium. Wenn Alice z.B. in luzider Panik ihr Handy sucht, auf dem sie die fünf Fragen aufgelistet hat, deren Antwort sie auf keinen Fall vergessen möchte, und es dann in der nächsten Szene findet, befinden wir uns in Alices Welt: "Ich hab’ die ganze Nacht danach gesucht!" flüstert sie erleichtert. "Das war vor einem Monat", murmelt unterdessen ihr Ehemann, und wir empfinden Alices hilflose Frustration.
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Am Ende spielen zentrale Dinge wie einzelne Wörter und anekdotische Bilder die Hauptrolle im Film - die Urmaterie des Kinos (zeigte uns schon Godard) und unseres Selbst.
Still Alice mag vielleicht ein wenig banal, für den Lauf der Filmgeschichte trivial, wirken - er ist jedoch ein feinerer und ergreifenderer Film, als man vom Trailer ausgehend vermuten würde.
"Still Alice" läuft ab 13.März im Kino
Allerdings macht es - so großartig ihr Auftritt auch ist - schon irgendwie traurig, dass Still Alice Julianne Moores Oscar-Entschädigung gewesen ist, und dass diese Entschädigung nun auch mit der Diskussion um den Film verbunden ist. Unlängst hat Julianne Moore selbst (viel zu demütig) zugegeben, ihre Oscar-Rolle wäre eigentlich Far From Heaven (2002) gewesen. Ich persönlich werde einfach so tun, als hätte sie ihren Oscar heuer für ihren Wahnsinnsauftritt in Maps to the Stars erhalten, sowie (und ihr müsst mir verzeihen, dass Vulture uns schon wieder voraus war) einen weiteren für Safe (1995), dann noch einen für Boogie Nights (1997), und vielleicht noch einen für Short Cuts (1993).
Lang lebe die Königin.