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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

12. 3. 2015 - 22:34

This machine finds its way home

Wie meine Gitarre auch ganz ohne eingebauten Chip wieder zu mir zurück fand. Letzte Erfahrungen mit dem Anachronismus des zwischenmenschlichen Vertrauens kurz vor der Machtübernahme des Internets der Dinge.

„Lost Property“, das Fundbüro, war dann ja nicht ganz so spektakulär, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Was hatte ich mir überhaupt vorgestellt? Einen Schatz Londoner Lokalkolorits, ein labyrinthisches Archiv, zwei Stockwerk hohe Regale samt fahrbaren Leitern, aus denen die Griffe abertausender schwarzer Regenschirme hervorragen, schräg von oben durch verstaubte Fenster einfallendes Sonnenlicht, durch welches viktorianische Staubflocken tanzen?

Einen gebückten alten Mann mit Ärmelschonern, dicken Brillen, geplatzten Adern auf der furchigen Nase und mit fettigen, weißen Strähnen notdürftig überkämmter Glatze, der gestützt auf einen quietschenden rostigen Handwagen gemächlich die endlosen Gänge navigiert, nach mehrmaligem Zuruf meine Anfrage mit einer hölzernen Hörtrompete entgegennimmt und mir dann ein verschmitztes, zahnloses Lächeln schenkt, das sagt: Ich hab hier den besten, weil meistbedankten Job der Welt, gleich nach dem Weihnachtsmann.

Der lange Gang zum Lost Property Office

Robert Rotifer

Was ich stattdessen vorfand, war bloß ein schmaler, Kiosk-artiger Schalter am Ende eines unauffälligen Gangs entlang des äußersten Bahnsteigs des Bahnhofs Cannon Street in der Londoner City. Der Mann hinterm Pult war schon umgänglich, zeigte aber wenig Tendenzen, sich mit der schicksalsschweren Tragweite meiner Wiedervereinigung mit meiner verschollenen Gitarre zu beschäftigen. Alles, was er wollte, war ein zugegebenermaßen recht poetisch bemessener, symbolischer Unkostenbeitrag von drei Pfundmünzen im Tausch gegen eine handgeschriebene Rechnung und den verlorenen Gegenstand.

Beamter mit Gitarre

Robert Rotifer

Und dann hatte ich sie wieder, die Gitarre, die ich Sonntagnacht in der Gepäckablage des letzten Zugs nach Canterbury vergessen hatte. Ich hatte in einem Studio in Crouch End mit einer der Bands, bei denen ich spiele, eine Session für ein Podcast aufgenommen, und ja, es hatte dort auch was zu trinken gegeben, aber vor allem war ich auf der Heimfahrt völlig in mein Buch vertieft gewesen (Luke Hardings „Snowden Files“, am Tag darauf sollte ich den Autor für Ö1 Diagonal interviewen, dazu hier aber am Samstag noch mehr).

Und kaum war ich aus dem Zug, die Stufen runter, durch den Fußgängertunnel und auf der anderen Seite wieder die Stufen zum um diese Zeit menschenleeren Bahnhofsgebäude raufgestiegen und hatte das Piepen der sich schließenden Türen und das Surren des anfahrenden Zuges vernommen, wusste ich auch schon, was los war.

In Zeiten des Smartphones findet man gleich die zuständige Nummer, wo selbst nach Mitternacht noch eine hilfsbereite Frau abhebt, Namen, Telefonnummer und Beschreibung des verlorenen Gegenstands aufnimmt und einem dann erst recht erklärt, dass da eigentlich nichts zu machen sei und man frühestens in drei Arbeitstagen bescheid kriegen werde.

Drei Tage sind genug Zeit, um sich erst einmal bewusst zu werden, dass diese Gitarre jetzt aber wirklich weg ist und warum sie eigentlich so unersetzlich speziell war.

Woody Guthrie, seine Martin und Pete Seeger

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Woody Guthrie, seine Martin und Pete Seeger

Diese Gitarre nämlich, eine Linkshand-Version der Martin aus Mahagony in handlicher Parlour-Größe wie Woody Guthrie sie einst spielte, also, um es in dessen Worten zu sagen, eine Maschine zum metaphorischen Killen von Faschisten, handlich und gut geeignet zum Spielen im Stehen, nicht zu laut zum bequem drüber Singen, wunderschön aufzunehmen und besonders freundlich zum Fingerpicking. Erst vor drei Wochen hatte Gitarrenmeister Stootsie mir in seinem Salzburger Riverside-Geschäft auf der Durchreise vom Winterurlaub zurück nach England den Hals neu eingestellt, und seitdem ging alles ganz butterweich von der Hand.

Martin zurück daheim

Robert Rotifer

Als Linkshänder wie ich findet man so ein Ding ja nicht gerade häufig. Ich hatte sie vor viereinhalb Jahren in New York erspäht, bei Matt Umanov, einem kleinen, unauffällig glamourösen Geschäft im Greenwich Village, das sich in schwereren Zeiten allein mit dem Verkauf der an den Wänden hängenden Kundenautogramme für alle Zukunft sanieren könnte. Der Verkäufer redete mir erfolgreich den teuersten aller Pick-Up ein, das war nicht der Zeitpunkt zum Knausern.

Und als ich dann bei der Rückkehr nach Heathrow erhobenen Hauptes durch den roten Kanal aus der Gepäckshalle ins Freie schritt, fand sich niemand, der mir den Zoll abnehmen wollte. Die Gitarre besaß also von Anfang an gewisse Glücksbringerqualitäten.

Und deswegen glaubte ich auch den vielen Leuten, die mir versicherten, dass sie zu mir zurückkommen würde.

Der Zyniker in mir schaute zwar sicherheitshalber zwischendurch, was sich auf Ebay tat, für den Fall, dass die Gitarre Beine gekriegt hatte, so wie zum Beispiel die Epiphone Sheraton Sunburst von Norb Payr (mit Kratzer über dem F-loch, falls sie wer sieht) oder die Gretsch von Chris Eckman (vor ein paar Jahren in der Garderobe des Porgy & Bess in Wien gestohlen, eine Schande).

Aber irgendwie überwog in mir das starke Gefühl, das in diesem Koffer ein Ding lag, das in Finder oder Finderin die Empathie, den sozialen Instinkt ansprechen würde.

Wie es sich gerade ergab, hatte ich auf dem Weg zum Fundbüro im Guardian Marc Goodmans höchst interessante Geschichte zu den drohenden Gefahren eines systematisch denunziatorischen Internets der Dinge gelesen (eigentlich eine Kurzzusammenfassung seines Buchs Future Crimes).

Die von miteinander kommunizierenden Gegenständen umgebenen Bewohner_innen der von ihm beschriebenen, hyperkonnektiv vernetzten Welt unser aller naher Zukunft zahlen für den Komfort des sich selbst suchenden Schlüsselbunds, des automatisch frisch befüllten Kühlschranks und des selbstfahrenden Autos mit einem Alptraum aus totaler Kontrolle durch Versicherungen, Regierungen und Großkonzerne, sowie ständiger Paranoia vor der Bedrohung durch Hacker in jeder Lebenssituation; Goodman denkt dabei bloß ein paar Schritte über die bereits bestehende Realität hinaus, von der berührungslosen Bankomat-Karte, die eigentlich keiner will, bis hin zum Spion im Samsung-Fernseher.

In jener nahen Zukunft hätte mir mein Gitarrenkoffer seinen Standort selbsttätig kundgetan, und ich hätte nicht auf die Ehrlichkeit des anonymen Menschen zählen müssen, der/die in Ramsgate (so stand's in den Notizen des Fundbüros) dem Bahnhofspersonal meine Gitarre zur Aufbewahrung gab.

Andererseits hätte jene_r den Koffer aber von vornherein nicht angerührt, um nicht in falschen Verdacht zu geraten. Ganz allgemein gesagt: Wenn alles unter Kontrolle steht, dann wird menschliches Eingreifen sehr schnell zur Systemstörung.

Das Fundbüro ist ein Anachronismus aus einer Welt vor dem ferngelenkten Kill Switch.

Einer Welt, in der Fremde einander helfen, einfach weil sie keine Schweine sind.

Mag sein, dass in dieser Welt Regenschirme und Gitarren verloren gehen und gestohlen werden. Aber am Ende mag ich doch lieber in einer Gesellschaft leben, in der es einen Platz für sowas wie Vertrauen gibt.

Danke, Mensch in Ramsgate.