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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 3. 2015 - 13:45

The daily Blumenau. Thursday Edition, 12-03-15.

Historische Schuld und traumatische Symbolpolitik.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Es muss einmal eine Ruh' sein mit dem Tragen einer historischen Schuld. Warum sollte Menschen mit späten Geburts-Jahrgängen abverlangt werden, die Verbrechen, die lange davor, von der Eltern und Großeltern-Generation begangen wurden, zu tilgen, die Schuld, die ihre Ahnen auf sich geladen hatten, abzutragen? Das wird man schon einmal sagen dürfen.

Eh.
Alles soll man sagen dürfen in einer gesunden Demokratie; auch den allergrößten Blödsinn. Und die anderen, die Mitdemokraten, sollen, nein müssen sich dafür einsetzen, dass sie das dürfen. Und dann dürfen sie auch mit aller Wortgewalt dagegen reden.

Nein, es gibt gerade keine österreichische Debatte zum Thema. Es taucht zwar immer wieder auf - zuletzt anlässlich der Diskussion rund um den gesteuerten und instrumentalisierten Gegenwind, der den europäischen Juden in ihren Heimatländern aus ganz vielen Ecken entgegenbläst, der wiederum die Frage nach dem Versagen von Österreich/Deutschland, was die Rückhol-Aktivitäten nach '45 betraf, aufwarf - wirklich sichtbar wird es aber aktuell in Deutschland.

Das zeigt es seine hässliche Fratze in der Anti-Griechenland-Hysterie, die von Wirtschaft, Politik und Medien ganz bewusst mitgeschürt wird. Groß war das kollektive deutsche Aufstöhnen, als von griechischer Seite (also dem als Schuldner wahrgenommenen) die Forderung nach (seit Kriegsende ausstehenden) Reparationszahlungen, die die Schäden der Nazi-Raubzüge ausgleichen sollte, aufkam. Bei allem Schuldbekenntnis: damit müsse jetzt aber wirklich Schluss sein. Und überhaupt wäre das nur eine gemeine Retourkutsche und Merkel bei Demos dauernd in Nazi-Uniform abzubilden und Hemd aus der Hose und überhaupt.

Dass es sich bei der Milliarden-Forderung um eine ganz reale und belegbare, sowie ganz bewusst verschleppte Schuld handelt, kommt in der Öffentlichkeit nicht vor. Außer hier. Zu blöd, dass die Penibilität der NS-Verwaltung die Plünderungen bis auf die letzte Reichsmark dokumentierte, zu blöd auch, dass die deutsche Regierung nach '45 die Rechtmäßigkeit der Reparation anerkannte und wegen der schlechtern ökonomischen Lage um Aufschub bis nach dem Aufschwung ersuchte. Dass man es danach mit allen legalen und illegalen Tricks, politischer und wirtschaftlicher Erpressungen und Einbeziehung der nicht gerade nichtkorrupten griechischen Regierungen bis dato geschafft hat, sich vor der Zahlung zu drücken: ein Meisterstück deutscher Sparmeisterschule. Aber schlichter Vertragsbruch.

Dass die aktuelle griechische, noch nicht korrupte Regierung jetzt drauf besteht, ist nicht wirklich zu blöd, sondern war zu erwarten. Deshalb auch die scharfen Geschütze aus der "Schluss mit Schuld!"-Ecke. Die durch den realpolitischen Hintergrund, durch die Tatsache, dass es um echt viel Geld geht, noch zynischer daherkommen als sonst, wenn der Alltags-Holocaust-Leugner seine Stammtischreden schwingt.

Immerhin: rein deutsch-österreichisches Phänomen ist das keines. In Australien schwelt gerade ein vergleichbarer Buschbrand, den der dortige Regierungschef entfacht hat. Den Spargedanken vor Augen dachte Toby Abbott laut darüber nach, dass die Regierung nicht ewig den Lebensstil der Aborigines finanzieren könne. Knackpunkt: die Regierung will Umsiedlungen durchführen, um günstiger davonzukommen und setzt dabei auf die nämliche Stimmungsmache.

Klar: zwischen der (gezielten) Ausrottung einer indigenen Bevölkerung zum Zwecke einer Komplettübernahme eines Kontinents und dem (gezielten) Abschlachten und finanziellen Ausbluten einer als minderwertig eingestuften modernen Zivilgesellschaft mögen graduelle Unterschiede bestehen: es bleiben kapitale Verbrechen, die im kollektiven Gedächtnis der Betroffenen noch über Jahrzehnte und länger weiterwirken und - sofern die beiden Parteien an einem gedeihlichen Miteinander interessiert sind - nur dann überwunden werden können, wenn der Umgang damit den Zynismus und die Widerwärtigkeit des Geschehenen nicht durch symbolpolitische Gesten wiederholt.

Sich mit dem Gestus des Ja-noch-sagen-Dürfers drüber hinwegzusetzen und in den Traumata jener, die die Ahnen einst als Untermenschen vernichten wollten, herumzutreten, wird kein Ende dieser Geschichten nach sich ziehen, sondern diese noch deutlich verlängern. Vielleicht lässt sich anhand von deutlich einzusehenden Fehlleistungen anderer die eigene, die nächste, rituell anstehende österreichische ja verhindern.