Erstellt am: 11. 3. 2015 - 18:02 Uhr
"Es wird besser, aber langsam"
Eine Wiener Unternehmerin, die in der Silvesternacht verhaftet wurde, wirft den beteiligten Polizisten vor, sie grundlos misshandelt und verletzt zu haben. Sie untermauert das mit einem Überwachungsvideo vom Ort der Verhaftung. Während gegen die beteiligten Polizisten noch nicht einmal ermittelt wurde, war die Anklage gegen die von der Polizei verletzte Frau (schwere Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt) bereits fertig - und wurde jetzt zurückgestellt, nachdem der Falter die Geschichte aufgegriffen hat.
Aus dem Justizministerium und von der Leiterin der Wiener Staatsanwaltschaft kommen Entschuldigungen - und die Zusicherung, dass jetzt endlich das passiert, was laut Gesetz unverzüglich geschehen hätte müssen: der zuständige Staatsanwalt ermittelt auch gegen die Polizei - und schaut sich nun auch das Überwachungsvideo an.
Ich habe mit dem Kriminalsoziologen Reinhard Kreissl vom Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung (VICESSE) darüber gesprochen.
Täuscht der Eindruck oder häufen sich solche Vorfälle in letzter Zeit?
Man sollte vorsichtig sein, wenn man solche Kalkulationen auf der Basis von Medienberichterstattung erstellt. Ich denke, die österreichische Polizei ist da nicht wesentlich anders als alle anderen zivilisierten europäischen Polizeien. Anders ist vielleicht, dass in Österreich die Berichterstattung, die Erregung etwas unterschiedlicher strukturiert ist als in anderen europäischen Ländern.
Nämlich?
Ich denke, es fehlt manchmal eine aufgeweckte Zivilgesellschaft, die der Polizei ein bisschen auf die Finger schaut. So etwas wie Bürger beobachten Polizisten oder das Bewusstsein, dass Bürger einen Anspruch auf eine demokratische Polizei haben. Das ist etwas, was nach meinem Gefühl in Österreich nicht in der Form ausgebaut ist, wie es sein sollte.
Das heißt also, die Polizei fühlt sich freier?
Nein, ich glaube nicht, dass die Polizei sich freier oder geschützter fühlt vor Anschuldigungen aus der Zivilgesellschaft, aber wenn es keine Gegenreaktion gibt, dann besteht die Gefahr, dass sich ein Stil einspielt, der so etwas hervorbringt.
Wobei man sagen muss, dass es innerhalb der Polizei durchaus Bestrebungen gibt, hier zu Verbesserungen zu kommen, die Fehlerkultur oder das Reportingsystem zu verbessern. Aber es ist eben wie in jeder großen Organisation: Wenn Sie versuchen, etwas zu verändern, dann braucht das seine Zeit, es hat einen langen Vorlauf, man stößt auf Widerstände, Trägheiten und natürlich auch auf Haltungen, die solches Verhalten richtig finden.
Man hört in solchen Zusammenhängen immer vom Korpsgeist, davon, dass PolizeibeamtInnen sich gegenseitig decken. Liegt da strukturell etwas im Argen?
Reinhard Kreissl
Die Cop Culture finden Sie in allen Polizeiorganisationen oder in allen Organisationen, sei es Militär oder Polizei. Das hat zum Einen damit zu tun, dass es männerbündlerische Organisationen sind - lauter Buben, die da zusammen sind. Und wenn Sie sich die Tätigkeit anschauen und die Art, wie es hierarchisch organisiert ist, dann kann man verstehen, wie sich sowas entwickelt. Man muss versuchen, das ein Stück weit aufzubrechen und eine etwas andere Organisationskultur hineinzubringen.
Oft hat man das Gefühl, man habe vor Gericht oder auch bei der Staatsanwaltschaft keine Chance gegen die Polizei. Sie sagen, hier muss die kritische Öffentlichkeit eingreifen. Aber ist das wirklich nur die Aufgabe der Öffentlichkeit, genauer hinzuschauen?
Nein, es ist natürlich auch die Aufgabe der Justiz und der Staatsanwaltschaft, da genauer hinzuschauen. Ich möchte mir jetzt kein Urteil anmaßen über eine interne Kultur der österreichischen Staatsanwaltschaft, aber aus der Vogelperspektive betrachtet denke ich mir oft, wenn zwei so zentrale Ministerien wie Innenpolitik und Justiz von der selben Partei geführt werden, dann macht das demokratiepolitisch keinen schlanken Fuß. Das ist nun ein sehr abstraktes Argument, aber ich glaube, auch die Staatsanwaltschaft könnte an manchen Stellen ihrer eigentlichen, in der Strafprozessordnung vorgeschriebenen Aufgabe, nämlich nach beiden Seiten zu ermitteln, etwas besser gerecht werden.
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Sie haben vorher davon gesprochen, dass innerhalb der Polizei durchaus an Verbesserungen gearbeitet wird, langsam, aber doch. Woran wird denn im Detail gearbeitet und warum ist eine Bewegung von außen kaum wahrnehmbar?
Ich bin da ja nicht unparteiisch, weil ich an einigen dieser Projekte beteiligt war, aber es gibt ein langfristiges, noch einige Jahre laufendes Projekt, Polizei macht Menschenrechte (PMMR), wo es darum geht, eine menschenrechtskonforme Polizeiarbeit zu stärken. Aus diesem Projekt habe ich eben die Erfahrung, dass man da sehr sehr sehr dicke Bretter bohrt.
Es wird lange dauern, aber es gibt durchaus schon Ansätze. Man sieht, dass sich zum Beispiel bei den jungen Kolleginnen und Kollegen ein bisschen mehr Widerspruchsgeist bildet, auch intern, und dass die sich nicht mehr alles gefallen lassen, zum Beispiel auch gewisse rassistische Sprüche. Das heißt, es hat etwas zu tun mit einer Organisationsveränderung, aber auch mit einem Generationenwechsel, es hat mit der Ausbildung zu tun und damit, dass sich die Polizei jetzt auch über Fachhochschulen fortbilden kann - der deutsche Politologe Wolf-Dieter Narr hat das einmal "die Mobilisierung der Ressource Intelligenz" genannt.
Gut Ding braucht Weile - natürlich nimmt man das von außen nicht wahr, aber schauen Sie: neunzig Prozent der Polizisten erledigen ihre Aufgabe gut, und zehn Prozent tun das nicht ganz so, wie sie sollten, und man überträgt das dann gleich auf die ganze Organisation. Also da ist bei allem Verständnis für mediale Skandalisierung einfach Differenzierung angesagt.<<