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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

11. 3. 2015 - 16:02

Restchancen auf halbes Glück

Schickes Vernunftleben im Weltraum: Leif Randts neuer Roman "Planet Magnon" entwirft aus der Sachlichkeit eine unangenehm funktionale Utopie.

Alles leuchtet. Kann es wahr sein? In seinem 2011 erschienenen Roman "Schimmernder Dunst über CobyCounty" hat der deutsche Autor Leif Randt ein schniekes Wellness-Idyll gezeichnet, eine fiktionale Community, in der alles Hochglanz und Lifestyle ist. In CobyCounty waren die Menschen im richtigen Maße durchtrainiert und bestens frisiert, man trug Feincordjackett, Wildlederboots und qualitativ hochwertige Hemden, man arbeitete als Web-Designer, Verleger, Literaturagent oder bei einer Filmfirma.

Dieses Prinzip eines einzigen vom Luxus verwahrlosten Faserlands hat Leif Randt in seinem kürzlich veröffentlichten, dritten Roman "Planet Magnon" von der erfundenen Kleinstadt auf gleich ein ganzes Sonnensystem ausgedehnt. "Planet Magnon" ist ein Science-Fiction-Roman: In den ewigen Tiefen des Universums liegt ein Sonnensystem, in dem endzeitlicher Frieden herrscht. Sechs Planeten, zwei Monde, totaler Wohlstand, gleichförmige Zufriedenheit.

Die Menschen haben sich zu Kollektiven zusammengeschlossen, nach ästhetischen Prinzipien organisierte Gemeinschaften, die um den erstrebenswertesten Lebensstil konkurrieren. Die Selbstdefinition des Kollektiv FUEL etwa lautet: "Wir bauen eine Zukunft für die Jüngsten." Stilprägende Praktiken: Safaris, Panoramaflüge, Kartenspiele. Gemein ist allen Kollektiven der Umstand, dass sie von Kollektiv-Außenstehenden der Verlogenheit bezichtigt werden.

Leif Randt

Leif Randt

Der abgeklärt auftretende Ich-Erzähler Marten Eliot wird als Vorzeige-Typus der als ideal erachteten "postpragmatischen" Lebensweise präsentiert. Gefühlsregungen, die die Funktionalität erschüttern könnten, hat man sich abgewöhnt, ohne Schmerz und Leid, jedoch auch ohne großes Glück gleitet man adrett durchs Leben. Marten Eliot ist Spitzenfellow, Musterschüler, intelligenter, mit akademischen Würden bekränzter Repräsentator des Dolfin-Kollektivs, beheimatet im ideologischen Zentrum, dem Planeten Blossom.

Elitär, in Form gebracht, poliert, von sich selbst überzeugt. Das hochangesehene – vor allem von seinen Mitgliedern selbst - Dolfin-Kollektiv gibt als eigene Kennzeichen an: "Aparte Attraktivität, hochwertige Fabrikate, Experimentierfreude, wortkarge Sachlichkeit." Affären, ungezwungenes, sportliches Ausleben der Sexualität sind die Norm, längerfristige Beziehungen, emotional tiefgehende Bindungen nicht vorgesehen.

Die Zukunft ist wunderbar, alles läuft nach Plan: Die Rollen von Regierung, gottähnlicher Allmacht, der sich die Menschheit, wie es scheint, in blindem Vertrauen in die Hände legt, und einer Art durchtechnologisierten Religionsersatzes kommen mittlerweile einem System namens ActualSanity zu: Ein Computersystem, das das Sonnensystem steuert und alle Abläufe besorgt, und zwar unter streng wissenschaftlicher Abwägung von Fakten, Daten und sogenannter psychologischer Chiffren: Ängste, Wünsche etc.

Vernunft über alles: "Wir Dolfins, aber auch die allermeisten anderen Kollektive, sehen in ActualSanity die magischste Errungenschaft unserer Zivilisation, dicht gefolgt von der Flüssigkeit Magnon vielleicht, aber das ist ein anderes Thema." Das titelspendende Magnon ist eine chemische Droge, ihr Konsum wird nicht kritisch beäugt. In der Neuen Zeit funktioniert auch die Berauschung durchoptimiert. Genau ausgemessen, maßvoll dosiert, bewusstseinserweiternd, sinnvoll.

In einem letzten Workshop zur Rauschkalkulation sagte ich: "Es ist auf jeden Fall ziemlich dolfin, sich in einem Moment der experimentellen Entrückung sachlich auf den Boden zurückzuargumentieren. Und ebendiese vermeintliche Sachlichkeit dann feierlich überzubewerten. Dieses Verfahren empfehle ich."

Palent Magnon

Kiepenheuer & Witsch

"Planet Magnon" von Leif Randt ist bei Kiepneheur & Witsch erschienen.

Marten Elliot und seine Kollegin Emma Glendale, ebenfalls Elite-Kader, werden ausgeschickt um von Planet zu Planet zu reisen und neue Mitglieder für das Dolfin-Kollektiv anzuwerben. Auch die Beziehung zwischen Marten und Emma glänzt durch Nüchternheit. Als Emma jedoch im Dienste der Mission sexuelle Kontakte zu knüpfen scheint, ertappt sich selbst der kühle Erfüller Marten Eliot, der unfehlbare Arroganzling, dabei, wie er leise Anflüge von Eifersucht aus seinem Kopf hinausrationalisieren muss.

Er gesteht es sich nicht ein, die Selbstbeschwichtigung arbeitet, Empfindsamkeit ist für die Schwachen. So ist die neue Welt freilich nicht gar so schön. Die prächtige Utopie, unter deren slicker Oberfläche nicht die Eitergeschwüre brennen, muss erst erfunden werden. "Planet Magnon" überhöht den Kult von Ästhetik, Vernunft und Körper in Richtung Übermenschfantasie.

Ein Regime, das Leistung, Selbstdisziplin, dabei aber eben auch Stil und Klasse zu den höchsten Fetischen erklärt – wir haben uns selbst hineinbegeben. Leif Randt benutzt eine adäquat schlanke, von Anglizismen und Neuschöpfungen durchsetzte Sprache, ein mit Wissenschafts-Lingo und Business-Hohlsprech gespickter Tonfall transportiert vermeintliche Klarheit und Ennui: Der Nachfolger des Mobiltelefons nennt sich nun – ostentativ wenig weit hergeholt – "Messenger", es gibt Klimatabletten, Mountainsticks, das MidAge-Komitee, EarlyAger und die biosoziale Revanche.

Ohne großen Aufruhr schraubt der Roman Thriller-Elemente in den Plot: Das aggressive Kollektiv der gebrochenen Herzen erschüttert das Sonnensystem durch terroristische Aktionen. Verlierer, Aussteiger, emotional Kaputte versuchen sich am Aufstand, ihr geheimer Stützpunkt ist der Planet Toadstool – der Müllplanet.

"Planet Magnon" spielt verstiegene Philosophien gegeneinander aus, die dann klarerweise gar nicht so weit von dem entfernt sind, was in unserem Sonnensystem auf dem Planeten Erde so an Ideologien, Systemen, Normierungsvorstellungen, Lebensmodellen mitunter als wertvoll gepredigt wird.

Als schlicht und billig zu lesende Allegorie auf dies und das oder jenes drängt sich "Planet Magnon" jedoch nicht auf - dafür bleibt der Roman zu nebulös, sind die präsentierten Haltungen zu mehrdeutig, die Figuren zu gebrochen. Ein großes Buch, kalt, gerne auch schwerfällig, so muss es sein, unaufgeregt, voller wie beiläufig dargelegter Ideen. Wir können davon lernen, wie wir leben wollen. Oder drüber nachdenken, immerhin.