Erstellt am: 10. 3. 2015 - 15:51 Uhr
Das Kino Gehört Uns
Irgendwann trifft ein jeder junge Mensch, der das Kino liebt, auf Jean-Luc Godard. Vielleicht erschafft Godard sogar diesen jungen kinosüchtigen Menschen, vielleicht kreiert Godard die menschliche Kinosucht. Tatsächlich hat die Kinolust mit Godard ihre Worte und ihre Bilder - genauer gesagt: ihre Filme - gefunden.
Ab 12. März zeigt das Wiener Filmmuseum nun "Jean-Luc Godard. Die erste Welle".
Janus Films
Vor fünfzig Jahren sind jene wilden Werke entstanden, die noch immer als das jugendlichste und frischeste gelten, was das Kino seither zu sehen bekommen hat. Das österreichische Filmmuseum zeigt ab 12. März die Epoche aus Godards Filmschaffen, die als Teil der französischen Neuen Welle zu seiner beliebtesten gehört.
Nicht nur wegen der atemlosen Kino-Erfahrung sollten diese Filme rezipiert werden, sondern als Gelegenheit: Wir können von ihnen lernen, wie viel wir heutzutage falsch machen (denn es gab ja seither nicht wirklich etwas, was ähnlich revolutionär wie Godard ist), aber wir können auch dorthin zurückkehren, um neue Perspektiven zu entwickeln und unseren alten Knochen (denn 2015 sind alle, und damit anscheinend auch junge Menschen, alt) ein wenig neues Leben einzuhauchen. Das betrifft (und das ist eines der schönen Dinge an Godard) nicht nur die Filmwelt und auch nicht nur die Kunstwelt, sondern das grenzenloseste und gemeinste aller Medien - das Leben selbst.
Das schwierigste an der Godard-Rezeption ist vermutlich, dass die Welt dabei vermittelt, man würde gerade etwas besonders Schwieriges, etwas “Prädikat-wertvolles” unternehmen. Godard ist das größte Opfer von Wichtigtuern und anstrengenden WG-Party-Gesprächen.
Aber Godard-Filme schauen heißt vor allem: in eine peinlich-passive körperliche Situation gedrängt sein (weil ja im Kino sitzen, ein bequemes Unterfangen, gleich einem Kind im Mutterbauch), aber dabei sehr aktives Verehren, Begeistern, Revolte-Gelüste hegen; sich zugleich mit der materiellen und der geistigen Welt auseinandersetzen.
Die schönsten Sachen an Godards frühen Filmen sind eigentlich sehr einfach - die Üppigkeit ihrer Farben, der scharfe Humor ihrer Dialoge, und vor allem die Schönheit ihrer (teils Urberühmten, teils damals sehr unbekannten) Hauptdarsteller. Besonders wichtig sind die großen Augen Anna Karinas, die hübsche Nase Jean Sebergs, sowie das goldene Haar Brigitte Bardots.
Criterion
Und, durch die Kinolust zu Godard getrieben, entwickeln wir dank Godard einen weiteren Trieb: weiter zu forschen, weiter zu leben, weiter zu schauen, zu träumen, zu verehren. Das Kino ist für uns da, so wie das Leben und die Götter, und es ist okay, dass es irgendwie auch nicht alles sein kann, obwohl es so sein sollte. Einer der schönsten Momente in einem Godardfilm, in dem so oft die Figuren im Kino sitzen, kommt, als das blutjunge Pärchen Jean-Pierre Léaud und yé-yé-Sängerin Chantal Goya im Kino sitzen und irgendwie doch enttäuscht sind -
“Les images dataient et sautaient, et Marilyn Monroe avait terriblement vieilli. On était triste. Ce n’était pas le film dont nous avions rêvé, ce n’était pas ce film total que chacun parmi nous portait en soi, ce film qu’on aurait voulu faire, ou plus secrètement sans doute, que nous aurions voulu vivre.”
Hier nun fünf persönliche Lieblinge aus der Liste von 15 Spielfilmen und vieler weiterer kürzeren Arbeiten, die im Filmmuseum in der "ersten Welle" der Godard-Retrospektive gezeigt werden:
Janus Films
Pierrot le fou (1965) - C’est la mer allée / Avec le soleil
Wenn man in seinem Leben nur einen Godard-Film sehen möchte, dann diesen.
“A film is like a battleground”, sagt Samuel Fuller in einem oft zitierten Gastauftritt, “It’s love, hate, action, violence, death. In one word: emotion.”
Danach explodieren Feuerwerke, wie bei Hitchcock, wenn er uns signalisiert, dass die Figuren Sex haben. Torten begegnen Gesichtern, Tankstellen werden überfallen, Anna Karina flüchtet vor Gangstern. Die glücklosen Liebhaber versuchen, singend und tanzend, in den Süden zu gelangen, um dann - was? einfach “zu sein”.
Österreichisches Filmmuseum
Vivre Sa Vie (1962)
Wieder sitzt die Hauptdarstellerin im Zuschauerraum, wieder betrachtet sie das Kino. Hier sehen wir Anna Karina, die mit Carl Theodor Dreyers Passion Jeanne d’Arcs mitleidet, während der Zuschauer an Anna Karinas Leidensweg, der an Martyrium grenzt, teilnimmt. Vivre Sa Vie ist der Brecht-hafteste und feministischste Film Godards, eine Ode an jene, die vom System unterdrückt werden.
Österreichisches Filmmuseum
Le Mépris (1963)
Wir sind alle Huren, besonders wenn wir das Kino lieben, noch mehr, wenn wir dazu beitragen wollen (Fassbinder antwortet auf Le Mépris später mit seinem großartigen Warnung vor einer heiligen Nutte, 1971). Neben dem Gangster erscheint kaum eine Figur bei Godard öfter als die Hure, ob männlich oder weiblich (und ein Gangster ist auch irgendwie eine Prostituierte); in diesem Fall ist es Michel Piccoli, der seine Frau zur Hure machen will, sowie das Kino, die Götter, und die Sprachen an sich. Dazwischen verfilmt Fritz Lang die Odyssee. Der heurige Oscar-Preisträger Birdman war sehr, sehr bemüht, an Le Mépris heranzukommen.
Österreichisches Filmmuseum
À bout de souffle (1960)
Einer der ikonischen Filme der Filmgeschichte ist gleichzeitig dafür verantwortlich, dass aus anderen Filmen Ikonen gemacht werden: Jean-Paul Belmondo gibt Humphrey Bogart, Jean Seberg eine Figur aus Robert Aldrichs Kiss Me Deadly (1955). Godard bringt unsere Liebe zum Hollywoodfilm zum Ausdruck - sogar Paris, merken wir, als wir mit Belmondos und Sebergs amour fou durch Paris hüpfen, ist nichts als eine Erfindung Hollywoods.
Österreichisches Filmmuseum
Made in U.S.A. (1966)
Die Godard-Retrospektive - der erste Teil einer Reihe, die in mehreren Teilen bis 2017 reichen soll und das bisherige Werk umfasst - startet am 12.März im Österreichischen Filmmuseum. Allez-y!
Mag sein, dass dieser Film am ehesten an Godards spätere Werke erinnert; in der Tat ist er verwirrender als ein Thomas Pynchon. Hier haben wir es erstmals mit einer weiblichen Philip Marlowe (Anna Karina gen Ende ihrer Zusammenarbeit mit Godard) zu tun, wie wir ihm sonst immer nur dort begegnen, wo Raymond Chandler weitergesponnen wird. Made in U.S.A. macht aus anderen Filmen seine Huren und wirkt in seinem freundlichen Nihilismus doch ein bisschen wie ein Abschiedsfilm an das, was unsere Träume einmal waren (und zwar das Hollywoodkino; nicht nur The Big Sleep wird hier referenziert, auch so manch anderer Howard Hawks- und Otto Preminger-Film). Marianne Faithfulls bebende Stimme lässt uns vor Melancholie erzittern.