Erstellt am: 9. 3. 2015 - 17:55 Uhr
Sich selbst fremd
A Young Person's Guide to Modest Mouse:
Dramamine
Edit the Sad Parts
The Fruit that ate itself
Heart Cooks Brain
Convenient Parking
Cowboy Dan
Trailer Trash
The Whale Song
Never ending Math Equation
3rd Planet
Gravity Rides Everything
Dark Center oft he Universe
Paper Thin Walls
I Came as a Rat
Float On
The World at Large
Bukowski
The Good Times are killing me
People as Places as People
Dashboard
Missed the Boat
King Rat
Satellite Skin
Perpetual Motion Machine
Endlich und Hurra, tönt es aus der Ecke der Indie-Sehnenden: Sieben Jahre nachdem das so unergründliche wie hochenergetische Projekt Modest Mouse mit einer Platin-Veröffentlichung wundersamerweise an der Spitze des US Gitarrenrock-Götterhimmels angekommen war, bequemte sich deren ebenso unergründlicher wie hochernergetischer Chef Isaac Brock, sich zu einer Veröffentlichung herabzulassen. Selten ist eine Band so von Gerüchten umwölkt gewesen, selten wurde ein Songwriter, der so voller Abgründe und Verstiegenheiten steckt, so mit Liebe und Sehnsucht überladen, gerade wegen seiner Abgründe und Verstiegenheiten so geliebt wie Isaac Brock, selten wurde ein Platte so lange erwartet wie "Strangers To Ourselves", das nun endlich am Freitag erscheint.
Dazu kommt , dass die zeitnahe Veröffentlichungspolitik der neuen Modest Mouse aus der Zeit gefallen scheint und an die Goldgräberperiode der Musikindustrie gemahnt, in der die Band begonnen hatte. Lauter Sperrfristen, Gerüchte, Geheimnisse. So wurde das Veröffentlichungsdatum (13. 3.) erst relativ spät bekannt gegeben und schwankte zwischen 27. 2. und 17. 3. Es gab vorab wenig Informationen über Besetzung, Producer, Gastmusiker. Und das nach sieben Jahren. Verschwiegene Boten mit an Handschellen befestigten Aktenkoffern, hundertseitige Disclaimerverträge für Journalisten, Klagsdrohungen gegen Whistleblower – sowas gab es diesmal zwar nicht, aber immer noch ist es FM4 vor Freitag nicht erlaubt, mehr als fünf Songs aus dem Album zu spielen. (Unlängst erzählte ja ein Kollege, dass er sich eine neue Platte einer großen Band zwar in einem Büro der Plattenfirma anhören dürfe, aber nur einmal und nicht nur darüber Stillschweigen bewahren müsse, wie die Platte sei, sondern auch, dass er sie überhaupt gehört hätte). Aber ganz als ob Isaac Brock für derartige Volten nur sein berühmtes skeptisch-schräges Lächeln übrig hätte, sind bereits fünf Songs aus "Strangers To Ourselves" vorher veröffentlicht worden. Gestern ist dann auch das gesamte Werk geleaket.
Modest Mouse
Modest Mouse haben sich also Zeit gelassen, was aber nicht heißt, dass sie nicht wenige der neuen Songs in den letzten Jahren ausführlichen Live-Tests unterzogen hätten. So war die erste Vorabsingle "Lampshades On Fire" eingefleischten MM-Fans schon lange von Konzerten bekannt: Eine typische Single, schriller und hektischer Gesang von metaphernreichem Text, mit einem entspannten Funk-Groove unterlegt und von einem Doo Wop Chor begleitet – hier hörte man alles, was die Band schon seit nunmehr fast 18 Jahren immer wieder begleitet: Tom Waits, David Byrne, Pere Ubu, Captain Beefheart, Folk, Punk, Verzweiflung und der Witz darüber – und über allem das Schlieren ziehende, leicht neben der Spur schlingernde Gitarrenspiel von Isaac Brock.
Dann wieder Gerüchte: Wird es – wie bei Modest Mouse üblich – einen langen Satz als Titel geben? Ist der Bassist rausgeflogen? Ist Krist Novoselic von Nirvana dabei? Stimmt es, dass Isaac Brock absichtlich eine langweilige Platte machen wollte? Wer ist der ominöse Wunderproduzent?
Relativ entspannt gibt sich Isaac Brock: Ja, er wollte eine langweilige Platte machen, aber es war ihm dabei langweilig geworden, also nein. Ja, Eric Judy ist nicht mehr dabei, Kern-Modest-Mouse seien nur mehr er und Drummer Jeremiah Green, verstärkt um die schon jahrelangen Mitstreiter Tom Peloso und Jim Fairchild und zahlreichen mehr. Nein, Krist Novoselic ist nicht dabei, dafür James Mercer von den Shins, der das ganze Album über mitsingt. Ja, es hat lange gedauert, aber immerhin haben sie ein Studio gebaut und außerdem ist das kein Wettbewerb, er warte eben lieber bis die Platten kommen, anstatt sie zu "machen". Hauptproduzent war er selbst, allerdings mit Hilfe von seinem alten Kumpel Clay Jones sowie den Grunge/Indie-Rock-Monolithen Tucker Martine (Decemberists, Mudhoney, John Zorn, 1000 mehr) und Andrew Weiss (Rollins, Ween, Butthole Surfers, 1000 mehr). Vorher hatte er von seinen Wunschproduzenten ablehnende Aussagen bekommen, von George Martin ("Er ist 80 Jahre alt und mehr am Wein trinken interessiert") und Brian Eno ("Er produziert nur Bands, in denen er auch Mitglied ist") – und die Aufnahmen mit Big Boi von Outkast hätten es nicht auf die Platte geschafft, überhaupt habe man zwei Platten gemacht, soviel Material ist verworfen worden, nun ist er aber "fucking happy“" mit dem Endprodukt. Ja, er raucht noch immer Kette ("the most stupid thing I do").
Isaac Brock ist ein interessanter Typ der an an vielen verschiedenen Dingen interessiert ist: Wälder, Berge, Schiffe, Autos, Verkehr überhaupt, Landschaften, Und vor allem Tiere: Auf "Strangers To Ourselves" kommen Haie, Schafe, Kojoten, Tiger und Schildkröten vor, auf früheren Platten waren es vor allem Ratten und Fische. Dazu kommen nicht gerade kleine Themen wie Einsamkeit, Wissenschaft, Menschheit, Welt, Planeten, Universum, Tod. Isaac Brock sammelt Messer und alte ausgestopfte Tiere ("none of them died because of me"), ist Holzschnitzer und Imker und hat als A&R für Sub Pop Wolf Parade entdeckt. Dazu kommt, dass er riesig und dicklich ist, lispelt ,nuschelt und blitzschnell die allerschärfsten Kommentare absondert – Intelligenzbestie und Gefühlsmensch, impulsiv und planend, expressiv und scheu. Nicht der uninteressanteste Rockstar, den uns die USA geschenkt haben.
Strangers To Ourselves hat Höhen und Tiefen. "Lampshades", "Wicked Campaign", "The Ground Walks" … und "The Best Room" sind endeutige Modest-Mouse-Klassiker, die sich neben "World At large" und "King Rat" behaupten können, die Funk-Parodie (!) "Pistol" scheitert weit unten, das Titellied ist seltsam glatt und durchscheinend, "Of Course We Know" schwer, würdig und breit und ein schöner Abschluss.
Modest Mouse sind mal ein schwerer Tanker, der von den eigenen Wellen wie eine Nussschale hin- und hergewirbelt wird, und dennoch nicht untergehen kann, mal eine schneidige Jolle, die nichts aufhalten oder überholen könnte. Ein virtuos navigiertes Schiff.