Erstellt am: 9. 3. 2015 - 14:43 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 09-03-15.
#demokratiepolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Die Unterstützung der Demokratie wächst, das sagt diese umfassende Studie mit der Anzahl der Jahre, die jemand in einer solchen lebt.
Normalerweise.
Österreich ist im Ranking weit vorn, eine der " am besten funktionierenden Demokratien der Welt".
An sich.
Die subjektive Sicht der User wurde ebenso wie die gefühlte Abnutzung der österreichischen Demokratie nicht erhoben.
Wie auch.
Hochprofessionelles österreichisches Sudern, Nörgeln und Miesmachen geht zwar gut von der Hand aus dem Mund, lässt sich aber schwer in Fakten gießen; sich in seinen Gefühligkeiten zu suhlen, schafft noch keine neue Realität.
Die Diskrepanz zwischen der virtuellen Realität des Abgrunds, in der ein immer größer werdender Anteil der österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis-BesitzerInnen sich zu befinden glaubt und dem Versuch sich am empirisch Messbaren oder an Vergleichsdaten zu orientierten, ist enorm.
Die Lager driften auseinander wie Kontinentalschollen auf Speed. Und es sind Lager, die man auch von anderswo zu kennen glaubt: die Fundamentalisten auf ihrem heiligen Kriegspfad gegen die Welterklärer auf wissenschaftlicher Basis: Religion vs. Aufklärung.
Zwischen diesen Schollen existieren aber noch Brücken. Eine ganz wesentliche, in den letzten Jahren vielfach ge/benutzte fördert Begriffe aus dem Fundamentalismus so lange und so nachhaltig in die Mitte der aufgeklärten Gesellschaft, bis sie sich damit auseinandersetzt und schon allein durch die Verwendung von bestimmten Begrifflichkeiten die Diskurs-Herrschaft abgibt. Mit teilweise verheerenden Folgen, was den Drift der unentschlossenen, wankelmütigen, dem Populismus zugeneigten Massen betrifft.
Gerade eben hat sich wieder ein Begriff aufgemacht, über diese Brücke. Er heißt "Beweislastumkehr". Und es geht um die Rechtsordnung.
In der Samstags-Presse hat ein junges Mitglied des Gudenus-Clans, das die FPÖ Wien vertritt, folgendes geäußert: "Wir sollten uns überlegen, ob wir diese übertriebene Toleranz beim Jihadismus nicht ablegen sollten. Wir fordern eine Beweislastumkehr. Die Person soll beweisen, dass sie nicht im Jihad war. ... Angesichts der elementaren Gefahr sollten wir unsere Rechtsordnung umstellen, um zu zeigen, dass wir uns wehren. Wir verstecken uns viel zu sehr hinter unserer Rechtstradition."
Soll heißen: um dem wahrhaft Bösen effektiver begegnen zu können, ist es angebracht, die Grundprinzipien der österreichischen Gerichtsbarkeit außer Kraft zu setzen. Nicht der Staat/die Justiz/der Staatsanwalt muss die Schuld des Beklagten belegen - der muss seine Unschuld beweisen.
Klingt auf den ersten Hören nicht so dramatisch. Auch weil diese Denke - durch die große, übergroße Schuld der sicherheitsversessenen Abhör-Demokratien westlicher Prägung - ja bereits im Grundsatz "Wer nichts zu verbergen hat, wird ja nichts gegen eine Durchsuchung einwenden können", im Prinzip der neuen digitalen fehlverstandenen Transparenz daherkommt. Weshalb dieser nächste Schritt nicht weiter auffällt.
Ist die "Wer nix zu verbergen hat..."-Doktrin nur der (juristisch nicht haltbare) Versuch sich bei den Treudoofen unkompliziert Einlass zu verschaffen, wäre die Beweisumkehr als Neujustierung der juristischen Grundprinzipien ein Türöffner für eine zumindest kleine pandorische Box.
Die Agenda ist jetzt einmal - aus klug gewähltem Anlass, vor den IS-Schlächtern hat jeder Angst - gesetzt, der Gedanke dran sickert in den Mainstream ein und in ein paar Monaten, spätestens Jahren wird es eine seriöse Diskussion zum Thema geben (können), die argumentativ bis nach Guantanamo reichen kann. Denn die USA gelten ja trotzdem immer noch als demokratische Grundausstatter.
Ich denke, dass man den Kräften, die derlei vorschlagen am Allerbesten anhand eines Beispiels, das sie oder ihresgleichen Gesinnungsfreunde betreffen würde, konfrontiert. Jede öffentliche Person, die so etwas einfordert, müsste - quasi als diskursives Praxis-Pfand - einen aktuellen Fall nach den von ihr geforderten Regeln durchspielen. Denn vor dem Gesetz sind ja bekanntlich alle gleich: der österreichische Jihadisten-Arsch genauso wie, sagen wir als Beispiel einmal Peter Westenthaler.
Der Prozess gegen den einst zweitmächtigsten Akteur der Gesinnungsgemeinschaft, die den nämlichen Gudenus hervorgebracht hat, ging ja zeitgleich in sein Finale. Westenthaler wurde freigesprochen, weil seine persönliche Schuld bei den festgestellten strafbaren Handlungen seiner Partei nicht belegbar war. Das Gericht befand es jedoch für evident, dass die via Scheingutachten und überhöhter Rechnung geflossenen Gelder unrechtmäßig erfolgt seien.
Nur damit das klar ist: im vorliegenden Text geht es ums Strafrecht. Dass in anderen Bereichen (zb dem Konsumentenschutz) die Beweislast anders liegt, anders liegen muss, versteht sich. Danke an Robert Zikmund für den Hinweis!
Die österreichische Judikatur hat in diesem Fall keine andere Möglichkeit als den Freispruch. Die neue, von Gudenus geforderte Beweislastumkehr, hätte ein anderes Resultat gezeitigt: da Westenthaler mit jedem der eingeklagten Bereiche direkt befasst war, hätte er konkrete Belege für seine Nichtverwicklung benötigt, um seine Unschuld zu beweisen. Und wäre - weil die strafbare Handlung ja dezidiert festgestellt wurde - verknackt worden.
Das wäre alles ganz im Sinn Gudenus'.
Übertriebene Toleranz ist dann, wenn klar ist, dass eine Straftat vorliegt, wirklich viel verlangt. Die in politische Packelei verwickelten Geldverschieber sollten beweisen müssen, dass sie nicht involviert waren; und zwar eindeutig. Es geht um abschreckende Wirkung für die nächste Generation von Rechtspopulisten, die die Macht dann in die Korruptionsfalle locken könnte. Und da sollten wir uns eben nicht so sehr hinter unserer Rechtstradition verstecken. Sondern zeigen, dass wir uns wehren.
So weit, so Gudenus.
Wenn es nach ihm geht, dann wandert Westenthaler in den Bau. Und würde dort auf Dutzende andere Vertreter der Gesinnungsgemeinschaft, in der Gudenus politisch groß geworden ist, treffen. Die Beweislastumkehr würde nämlich all die Nehmer und Kofferträger per K.O.-Schlag treffen.
Das mag in den Ohren einiger (vielleicht sogar vieler) verlockend klingen.
Nicht täuschen lassen: ein Aushebeln solch elementarer juristischer Grundsätze ist der Anfang politischer Willkür-Herrschaft, unter der in weiterer Folge dann eigene Lager gestiftet werden, in die jene, die die Beweislastumkehr nicht schaffen (und das kann, geschickte Interpretation vorausgesetzt, jeder sein) gepfercht werden. Und es ist völlig egal, wen man sich da in kindlicher Tagträumerei hineinwünschen mag (Jihadist oder Weste) - eine solche Vorgangsweise führt diretissima in den Untergang.
Also, Achtung: sollte der Begriff der Beweislastumkehr in einem Mainstream in eurer Nähe auftauchen, nehmt ihn nicht hin, als wäre er diskutabel, sondern bezeichnet ihn als das, was er ist: als Türöffner zur Autokratie.