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9. 3. 2015 - 12:09

"Unser eigentliches Ziel war ein großer Anschlag"

"Weisse Wölfe" heißt die Graphic Novel, die die Karriere eines Neonazis nachzeichnet und tiefe Einblicke in die ideologischen Strukturen der terroristischen rechten Szene und des NSU liefert.

von Florian Fricke

"Im Winter trafen wir uns an einem zugefrorenen Teich. Ich schlug mit dem Bajonett ein Hakenkreuz in das Eis. Die Skinheads sagten: Du kannst zu uns gehören... Du musst nur endlich deinen Irokesen rasieren."

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Seit Mai 2013 wird in München gegen Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche Unterstützer der rechtsextremen Terrorzelle NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) verhandelt. Zschäpe schweigt, die zahlreichen Zeugen aus der rechten Szene verschanzen sich hinter Gedächtnislücken. Waren die drei vom NSU wirklich Einzeltäter? Dieses Szenario erscheint fragwürdig - und jetzt mehr denn je, dank der grafischen Reportage "Weisse Wölfe", erschienen im Correctiv-Verlag, geschrieben von David Schraven, gezeichnet von Jan Feindt.

Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos

dpa/Frank Doebert

Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos

Warum bloß fuhren Jan Böhnhardt und Uwe Mundlos quer durch die Republik in die schäbige Dortmunder Nordstadt, um dort den Kioskbesitzer und dreifachen Familienvater Mehmet Kubaşık zu ermorden, das vorletzte Opfer ihrer zehnfachen Mordserie? Diese Frage lässt David Schraven keine Ruhe, er beginnt zu recherchieren. Schnell findet er heraus, dass der Tatort zwischen zwei bekannten Nazi-Treffpunkten liegt. Er hört sich um in Dortmund, befragt Polizei und Antifa-Aktivisten. Aber die Antworten befriedigen ihn nicht. Wenn er wirklich erfahren will, wie der terroristische Untergrund tickt, dann muss er mit Leuten aus der Szene reden. Nach vielen vergeblichen Kontaktversuchen findet er schließlich einen, der auspackt.

Punk rasiert sich den Irokesen ab, Ausschnitt aus dem Comic "Weisse Wölfe"

CORRECT!V

Der Protagonist von "Weisse Wölfe" bleibt namenlos und seine Gesichtszüge sind nicht die wirklichen. Wir erfahren von seiner Jugend als Punk irgendwo in der Dortmunder Umgebung. Er prügelt sich mit Türken, entwickelt Rachefantasien, rebelliert gegen den Vater, bastelt Rohrbomben, greift ein Flüchtlingsheim an. Die Skinheads werden auf ihn aufmerksam und werben ihn an. Nun ist er einer von ihnen - ein "Rassenkrieger". Aber er will nicht nur saufen und den Maulhelden spielen.

"Ich war einer der großen Jungs. Während alle anderen quatschten, war ich bereit zu handeln. Ich und meine Kumpel beschlossen unsere eigene Gruppe aufzuziehen. Taten statt Worte. Anschläge und Terror."

Cover vom Comic "Weisse Wölfe"

CORRECT!V

"Weisse Wölfe" von Correctiv - Comics für die Gesellschaft ist bei PULS erschienen

Es ist das große Verdienst von David Schraven, dass er uns Zutritt verschafft in diese Gedankenwelt von Neonazis, die jegliche Skrupel verlieren. Ob sie in den USA sitzen, in Skandinavien, in Russland, Belgien oder Deutschland - sie alle berufen sich auf ein gemeinsames theoretisches Manifest: die Turner-Tagebücher, ein amerikanischer Roman in Tagebuchform, verfasst von einem führenden Neonazi-Ideologen. Der fiktive Ich-Erzähler beschreibt darin, wie er mit Guerillamethoden den globalen Rassenkrieg entfacht. Überall bilden sich kleine Terrorzellen, die autark agieren und über Anschläge miteinander kommunizieren. Wenn irgendwo ein Flüchtlingsheim brennt, erkennt die benachbarte Zelle das und schreitet ebenfalls zur Tat.

"Doch unser eigentliches Ziel war ein großer Anschlag. Wir wollten eine Art Putsch durchziehen - und den Premierminister töten."

Der Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh, der 168 Menschenleben auf dem Gewissen hat, hat sich auf die Turner-Tagebücher bezogen, ebenso der norwegische Massenmörder Anders Breivik. Auch im Umfeld vom NSU waren die Turner-Tagebücher bekannt. Sie wurden laut Wikipedia allein bis 2001 rund 300.000 mal verkauft.

"Weisse Wölfe" liefert einen beklemmenden Blick in die Strukturen dieser Szene. Wenn das alles so stimmt, dann ist der NSU nur die Spitze des Eisbergs. Zeit, dass das auch die Behörden einsehen.