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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

8. 3. 2015 - 16:06

Ein Bett im Kornfeld

Der Song zum Sonntag: Tasseomancy - "The Grass Harp"

Wir ziehen uns wieder zurück ins Grün, zurück ins Gemüse. Weg vom Beton und der Buchhaltung, hinein in Wiesen und Wälder, wo wir mit bloßen Händen Feuer entfachen wollen und in weiten Gewändern rituelle Beschwörungen vornehmen werden. Die Zeit ist wieder reif für verspukten Weirdo-Folk, den Eskapismus, die Koketterie mit Naturmagie, Esoterik und außerweltlichen Hokuspokus.

Das kanadische Schwesternpaar Sari und Romy Lightman widmet sich mit seiner Band Tasseomancy bewusst altertümlich und folkloristisch tönenden Musiken, die wohl in baufälligen Kathedralen, in morschen Waldhütten oder einsamsten Turmzimmern erdacht werden. Draußen steht der Nebel verschwörerisch, komische Dämpfe umwehen Tasseomancy.

Tasseomancy

Tasseomancy

Dabei sind diese seltsamen Lieder, die Tasseomancy so veranstalten, keineswegs in irgendeinem Vorgestern stecken geblieben, naiv oder ahnungslos bezüglich einer modernen Welt. In den paar Stücken, die Tasseomancy bislang veröffentlicht haben, vor allem im Song "The Grass Harp", ihrem besten bisher, schwingt immer auch das Wissen um die unzähligen Folkrevivals und Folkneudeutungen, die bislang ins Land gezogen sind, mit.

Der Begriff "Tasseomancy", oder auch "Tasseography", das muss man in diesem Falle vielleicht auch wissen, beschreibt die Kunst, aus Teeblättern die Zukunft zu lesen. Angeblich soll die Ururgroßmutter der Lightman-Schwestern Meisterin des Fachs gewesen sein. Es gibt da draußen Dinge, die wir nicht verstehen können, pure Vernunft darf uns niemals das Leben versalzen.

Das Stück "The Grass Harp" singt nun von der Flucht und der Sehnsucht, von nicht genauer definierten Hochzeitszeremonien auf dem Lande, von Glöckchenklängen und Trommeln: "Come My Darling, It's Very Late And I'm Gone", heißt es da wiederholt, und auch "Come Bring Your Bells, I'll Bring My Drum".

Lautmalerische, sich überlagernde, vom Wind verblasene Chorgesänge, die oft nicht mehr sagen wollen als "Oooh" und "Aaah". Eine gezupfte Gitarre scheint "Scarborough Fair" zu zitieren, einen der ikonischsten Folksongs ever, die Hirtenflöte bläst zu Tänzen mit bunten Bändern im Haar, später schieben sich behutsam elektronisches Kistern und Knacksen und Synthesizer in den Song. Die Tage scheinen schön, aber auch merkwürdig entrückt und leise bedrohlich, "when we hide out in the fields". Simpel, jedoch effektiv ist auch der Moment, in dem just bei der zweiten Erwähnung des Wortes "Drum" im Song die Trommel tatsächlich einsetzt.

"The Grass Harp" ist ein Roman von Truman Capote, der sich vornehmlich mit dem Leben in einem Baumhaus und Naturbeobachtungen befasst, die titelspendende Grasharfe meint das wunderliche Summen und Singen, das beim Wehen durch hohe Halmfelder entsteht. Im übertragenen Sinne gleichzeitig auch verwaschene, schwer zu entschlüsselnde Stimmgewirre, die in der Luft herumgeistern.

Wir lassen uns von diesem Lied in Trance lullen, die Sonne des zu Ende gehenden Nachmittags zaubert uns Schweißperlen der glücklichen Erschöpfung auf die Stirn. Später dann werden wir riesige geflochtene Strohskulpturen entflammen und Opfer darbringen. Wir wollen daran glauben.