Erstellt am: 8. 3. 2015 - 11:20 Uhr
Weder Zufall noch Unfall
Sechs Menschen, einige Sommertage und am Ende weiß man, was sie getan haben werden. Und man will es wissen. "Astronauten" ist der erste Roman der gebürtigen Wienerin Sandra Gugić. Keine Zufälle, keine Unfälle, zitiert die Autorin William S. Burroughs, der überzeugt war, dass nichts passiert, ohne dass ein Wille dahintersteckt.
- Mehr Buchempfehlungen auf fm4.orf.at/buch
Zuallererst einmal aber driften drei Jugendliche an der Grenze zur Volljährigkeit durch die Ferien. Der Taxifahrer Alen, der Polizist Niko, der vor kurzem Vater geworden ist, und ein Junkie namens Alex sind auch nicht gerade zielstrebiger unterwegs in dieser Stadt, die nicht näher benannt wird. "Die Hitze liegt wie Sirup über der Stadt", und in diesen Alltagen ist die Stimmung beständig auf höchster Warnstufe.
Dirk Skiba
Hier begegnen einem Charaktere mit einem Bruch in ihren Biografien, die an der nächsten Straßenkreuzung und in jedem unbedachten Moment kippen könnten. Wie ein Astronaut. "Er schwebt, in voller Montur, hat den Kopf nach unten geneigt, als wäre ihm sein Helm zu schwer geworden", kann man Gugić nur unzureichend zitieren.
Denn ein Satz erstreckt sich meist über eine dreiviertel Seite. Viele Sätze sind Erzählminiaturen. Bittersüß ist das Leben und knallhart komisch. Etwa, wenn der Jugendliche Zeno an all die Tiere denkt, die Raumfahrtsprogramme bislang ins All schossen. Mit den Tieren des Romans nimmt es übrigens selten ein gutes Ende.
"Ich hab meine Theorien, und ich bin mir sicher, dass mittlerweile ein Haufen Affen im Weltall sitzt, dass diese Weltraumaffen zusammensitzen und uns zusehen und sich kaputtlachen über uns, wie nur Pflanzen, Eichhörnchen und Weltraumaffen lachen können und sich dabei abwechselnd Mund, Augen und Ohren zuhalten müssen (...)"
Verlag C.H.Beck
Und apropos Astronauten: Das Goetheinstitut lädt zum Graffiti-Spaziergang in Berlin
Beschreibungen der Szenerie und des Innenlebens laufen parallel. Dabei wirken die „Astronauten“ an keiner Stelle kapriziös. Hier wird man nicht mit schön klingenden Phrasen genervt. Erzählerisch dicht ist die Sprache, sie treibt die Neugier voran. Blut rauscht in den Ohren. "Verfickt eingeschädelte Klischees" ist eine Wortkombination, die das Konzept Leiharbeiter und Bewerbungsgespräch bestens erfasst. "Es sind die Details", will man wieder Gugić zitieren, man achte auf die Details.
Konzentration ist vor allem zu Beginn angesagt, denn man braucht ein, zwei Kapitel, um sich zu orientieren. Die Geschichte des Romans hat weder einen richtigen Anfang noch ein klassisches Ende. Sie setzt sich wie ein Puzzle aus Ich-Erzählungen zusammen, die man durchaus als Kurzgeschichten lesen könnte. Wenn ein Gewehr in einem Seesack steckt, stellt sich die Schuldfrage sehr bald.
Der Klappendeckel verrät wieder einmal zu viel. Schade. Und auch ein aufregenderes Cover hätte man diesem Buch gewünscht. Drei Jahre hat Sandra Gugić an „Astronauten“ geschrieben. Das wäre nun nicht sonderlich erwähnenswert, aber es zeugt davon, dass Literatur nicht zuletzt Arbeit und Auseinandersetzung ist. Gugić studierte Sprachkunst in Wien an der Universität für Angewandte Kunst und hat in Leipzig das Literaturinstitut absolviert. Schließlich sollte man nicht alles dem Zufall überlassen: "Astronauten" hat sie „wieder und wieder zerlegt, Teile verworfen oder umstrukturiert, analog und digital gearbeitet, assoziativ Fragmente und Fotografien zum Text gesammelt“. Es hat sich ausgezahlt.