Erstellt am: 4. 3. 2015 - 16:44 Uhr
Unterhaltung mit Haltung
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Filmkritiken, Interviews mit Regisseuren und Schauspielern und Serienrezensionen auf
"Alles ist politisch" lautete ein zentraler Schlachtruf der 68er-Bewegung, den viele Kulturkritiker auch heute noch unterschreiben würden. Dabei hat die Tendenz jeden Film, Song oder Roman, jedes klitzekleine öffentliche oder auch private Statement gleich auf den ideologischen Gehalt abzuklopfen, natürlich auch etwas Nerviges. Besonders fatal wird es allerdings, wenn Regisseure bereits selber im Vorfeld auf ein Kino abzielen, das sich wohlwollenden Utopien oder progressiven Idealen so verschreibt, dass Widersprüchlichkeiten und verlockende Abgründe ausgeklammert bleiben.
Die viel spannenderen Filme waren und sind für mich immer jene, die ihr gesellschaftskritisches Anliegen in einen vermeintlich gegensätzlichen Genre-Kontext verpacken. Also Streifen, in denen gelacht, geliebt, geballert und gestorben wird, die sich durchaus dem Eskapismus hingeben - und gleichzeitig und ohne predigenden Zeigefinger die erniedrigenden Bedingungen des Kapitalismus thematisieren.
Warner Bros
Christopher Nolan etwa bringt in "The Dark Knight" die Terrrorparanoia der Nullerjahre im Blockbuster-Kontext auf den Punkt. Das Thriller-Meisterwerk "Taxi Driver" von Martin Scorsese personifziert am Beispiel eines fragilen Soziopathen das traumatische US-Klima der Post-Vietnam-Ära. Vor allem George A. Romeros Horrorschocker "Dawn Of The Dead" ist diesbezüglich aber ein Musterbeispiel. Die Zombie-Apokalypse liefert in dem 1978 erschienenen Geniestreich die Ausgangsposition für bitterböse Attacken gegen den Konsumwahn und das Zerbröckeln zivilisatorischer Werte.
Moderne Komödien haben vielleicht am ehesten die Pflicht, gegen die sozialen Umstände zu polemisieren, mit denen ihre Figuren humoristisch hadern. Siehe die besten Werke des amerikanischen Produzenten und Regisseurs Judd Apatow, der diverse Gegenwartskrisen zu einem Gesamtbild verknüpft, das beklemmender wirkt als manche Viennale-Sozialdramen. Oder man denke an britische Comedygrößen wie Simon Pegg und Ricky Gervais, vom BBC-Brutalsatiriker Charlie Brooker ganz zu schweigen.
Senator Film
Mittelstands-Wohlfühlkino mit Kulturklischees
Die Neue Französische Komödie scheint auf den allerersten Blick an die genannten Ambitionen aus angloamerikanischen Ländern anzuschließen, gesellschaftliche Analyse und Entertainment unverkrampft kurzzuschließen. Betrachtet man Filme wie den vorjährigen Megaerfolg "Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu?" ("Monsieur Claude und seine Töchter") oder "Intouchables" ("Ziemlich beste Freunde") näher, könnte man aber ein bisschen zynisch werden.
Entpuppt sich der französische Komödientrend doch als versöhnliches Mittelstands-Wohlfühlkino, das die Inhalte rund um migrantische Problematiken eher hinter spaßigen Kulturklischees begräbt. Ganz abgesehen davon, dass diese und ähnliche Filme bei ihren Fans den seltsamen Effekt auslösen, jetzt endlich einmal "anspruchsvolles Kino" gesehen zu haben, anstatt den "üblichen Hollywoodkitsch". Dabei könnten die Überraschungs-Hits von Philippe de Chauveron oder Éric Toledano und Olivier Nakache nicht weiter weg sein von Avanciertheit oder gar von etwas wie Kunst.
"Samba", bei uns "Heute bin ich Samba" betitelt, heißt nun der aktuelle Film des letztgenannten Regieduos. Am Anfang steht eine lange Kamerafahrt, die vom luxuriösen Partygelage in einem Restaurant in die Küche führt, wo die Hauptfigur als Hilfskraft arbeitet. Samba (Frankreichs Leinwandstar Omar Sy) kommt aus dem Senegal und lebt seit zehn Jahren illegal in Paris. Erstmals in all den Jahren wird ihm jetzt eine Festanstellung als Küchenhilfe angeboten. Aber der Traum zerplatzt, als die Ausländerbehörde auf Samba aufmerksam wird.
Senator Film
Sozialkritik und Feel-Good-Humor
Der einzige Hoffnungsschimmer kommt von einer Flüchtlingsorganisation, die dem Einwanderer hilft, erneut unterzutauchen. Im Chaos dieser Ereignisse trifft Samba die Sozialarbeiterin Alice (Charlotte Gainsbourg), die sich gerade von einem Burnout erholt. Nach anfänglicher Distanz flackern bald freundschaftliche Gefühle zwischen den Beiden auf, vielleicht liegt sogar etwas mehr in der Luft. Parallel dazu wird die Arbeitssituation für Samba immer brenzliger.
Éric Toledano und Olivier Nakache haben einen Streifen gedreht, bei dem man fast ein schlechtes Gewissen hat, wenn man ihn kritisiert. Weil es "Heute bin ich Samba" so offensichtlich gut meint. Ein guter Film ist er deswegen aber noch lange nicht.
Dabei gehen die Regisseure durchaus ernster an die Sache ran als in ihrem Kassenschlager "Ziemlich beste Freunde". Mit Charlotte Gainsbourg und Tahir Rahim ("Un prophète") stellen sie ihrem Stammschauspieler Omar Sy auch wunderbare Darsteller gegenüber. Aber letztlich wirkt der Mix aus Sozialkritik, etwas Rührseligkeit und mildem Feel-Good-Humor einfach viel zu berechenbar, um substanziell zu berühren. Man wünscht sich diese Geschichte nicht unbedingt gleich von den Dardenne-Brüdern umgesetzt, aber zumindest von Filmemachern mit entschieden mehr Biss und Mut.
Sony
Hexenkessel von Armut und Gewalt
Auf gänzlich anderem Terrain bewegt sich der Südafrikaner Neil Blomkamp, der sich mit seinen Apokalypse-Thrillern "District 9" und "Elysium" längst einen Namen in der Science-Fiction-Community gemacht hat. Aus diesen Filmen kennt man auch den pessimistischen Blick des Regisseurs auf seine Heimatstadt. Wie die Hölle auf Erden wirkt Johannesburg in Blomkamps dystopischen Werken, die allesamt in der nahen Zukunft spielen.
Auch "Chappie" zeigt die südafrikanische Metropole in einer furiosen Eingangsmontage aus Newsflashs und Handkamera-Gewackel, als brodelnden Hexenkessel von Armut und Gewalt. Neu entwickelte Polizei-Roboter sorgen via Fernsteuerung für einen Hauch von Recht und Ordnung. Aber der Mitentwickler der stählernen Gesetzeshüter, ein junger Nerd wie aus dem Bilderbuch, hat größere Ambitionen, er möchte denkende, fühlende Maschinen.
Tatsächlich gelingt es ihm bei einem gestohlenen Modell vom Schrottplatz, seine neueste Technologie auszuprobieren. Das Problem ist nur, dass der Roboter, der tatsächlich soetwas wie ein Bewusstsein entwickelt, in die Hände einer Straßengang fällt. Die Gangster geben dem Droiden den Namen Chappie. Und sie versuchen ihn zum mechanischen Komplizen für diverse Raubüberfälle umzuprogrammieren.
Sony
Infantiles Märchen mit Ghettoposen
Handwerklich sind die Filme von Neil Blomkamp brillant. "Chappie" setzt den ganz speziellen Stil des Regisseurs fort, eine semidokumentarische Kamera suggeriert erneut Realismus, die bestechenden Spezialeffekte dienen der Geschichte. Eben diese Story beweist aber endgültig, dass Blomkamp inhaltlich ein Blender ist. "Chappie" täuscht gesellschaftskritische Tendenzen vor, schmückt sich mit Anspielungen auf die raue Wirklichkeit im krisengeschüttelten Südafrika, schmeißt mit Slangvokabular herum und gibt sich anarchisch und punkig.
In Wahrheit verbirgt sich aber bloß ein infantiles Märchen hinter all den Ghettoposen. Apropos: Neben richtigen Schauspielern wie Dev Patel, Hugh Jackman und Sigourney Weaver spielt auch die südafrikanische Rave-HipHop-Formation Die Antwoord eine der Hauptrollen in Blomkamps Film. Das klingt in der Theorie nach einem frechen Einfall, wenn man die verstrahlten, monströsen Musikvideos des Duos schätzt.
De facto sabotieren Yo-Landi und Ninja aber eher ihr liebevoll konstruiertes Irrwitz-Image auf der Leinwand. Während die blonde Sängerin als Chappies Ziehmutter noch einen gewissen Charme verstrahlt, entpuppt sich ihr rappender Kollege als endloser Quälgeist, zu Kinderzimmer-Actionfiguren mutieren letztlich beide. Aber vielleicht will Neil Blomkamp genau in diese Richtung gehen, sägt doch der ganze Streifen nach einer Weile an den Nerven jedes Zusehers, der älter als zwölf Jahre ist.
Sony
Fear and loathing in Graz, Puntigam
Jetzt aber genug geraunzt hier, kommen wir letztendlich zu einem Film, der soziale und persönliche Abgründe so unverkrampft und eloquent verknüpft, dass es eine rabenschwarze Freude ist. Nachdem sich die Wolf-Haas-Verfilmungen von Wolfgang Murnberger kontinuierlich steigerten, bis zum umwerfenden "Der Knochenmann", darf ich verkünden, dass der vierte Teil der Brenner-Saga das hohe Niveau hält.
"Das ewige Leben" führt den derangierten Detektiv, abermals vom wunderbaren Josef Hader verkörpert, in seine Heimatstadt Graz. Dort wartet nicht nur ein heruntergekommenes Häuschen im Stadtteil Puntigam als Erbschaft auf ihn. Auch alte Freunde aus der Vergangenheit trifft der Brenner wieder, die sich zum Teil in mächtige Feinde verwandelt haben. Vor allem der Kripochef Aschenbrenner (Tobias Moretti) ist dem völlig versandelten Ex-Polizeischul-Kollegen alles andere als wohlgesonnen.
Wolfgang Murnberger unterbricht das zwielichtige Geschehen immer wieder mit sonnenverstrahlten Super-8-Bildern aus den frühen siebziger Jahren, die von einer vermeintlich unschuldigeren Ära erzählen. Aber bereits damals verstrickten sich Simon Brenner und seine Habschis in Ereignisse, deren bitterer Ausgang bis ins Hier und Jetzt nachhallt.
Lunafilm
Jetzt ist schon wieder was passiert
Lebten die bisherigen Abenteuer des melancholisch-mürrischen Antihelden Simon Brenner vom Lokalkolorit der Schauplätze Wien, Salzburg und der steirischen Provinz, zelebriert "Das ewige Leben" nun Graz in all seinen Facetten, von grindigeren Gegenden bis zu touristischen Orten, die aber auch in neuem, dämmrigen Licht erscheinen. Dass der eingefleischte Tiroler Tobias Moretti in diesem Kontext als schnöselige, unmoralische, innerlich zerfressene Nemesis des Brenner dermaßen überzeugt, bis hin zum Slang, das verblüffte mich aber dann doch.
Perfekt besetzt sind in dem Film auch sämtliche Nebenrollen, von der Neo-Noir-Schönheit Nora von Waldstätten als undurchsichtige Ärztin über Roland Düringer im verschlurften Düringer-Modus bis hin zur fantastischen Ulrich-Seidl-Darstellerin Margarethe Tiesel. Der wirkliche Wahnsinn ist aber Josef Hader, der den Film als kaputter, trauriger, obdachloser Underdog in Abgründe zieht, die den Rahmen einer Krimikomödie weit sprengen.
Lunafilm
So tief unten war der Brenner noch nie. Zu den abermals atmosphärischen Klängen der Sofa Surfers taumelt Hader durch die Murmetropole, deren außerordentlicher Charme durch das Drehbuch im besten Sinne gebrochen wird. Rassistische Ausfälle, Korruption, neoliberale Zwänge gehören in "Das ewige Leben" schlicht zum steirischen Alltag. Das Genrekino verschmilzt in diesem Pflichtfilm ganz selbstverständlich mit giftiger Zeitkritik.