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Claudia Unterweger

Moderiert FM4 Connected und FM4 Homebase.

3. 3. 2015 - 14:34

"Intimität, die ich beim Vanilla-Sex nicht kenne"

Aus der Schmuddelecke ist BDSM mittlerweile raus. Worin liegt für so viele der Reiz am Fesseln und gefesselt werden? Zu Gast in einem Bondage-Übungsraum.

Ein gepflegtes Wohnhaus in Wien, begrünter Innenhof, im Erdgeschoß ein Parteilokal. Nichts weist in diesem Gebäude auf einen Übungsraum für BDSM-Sessions hin. Und doch weiß ich, dass Interessierte hier mehrmals wöchentlich den erotischen Umgang mit dem Seil lernen und praktizieren.

FM4 Auf Laut

    Der Übungsraum, japanisch Dojo genannt, ist eigentlich ein umfunktioniertes großes Wohnzimmer, in einer WG. Die BewohnerInnen empfangen mich in ihrer bunten Wohnküche, zwei Katzen sausen an mir vorbei in den Gang Richtung Bondage-Dojo.

    Türschild "Keep This Door Closed! Cats Outside The Dojo"

    Radio FM4 / Claudia Unterweger

    Auf der Tür von Wohnküche Richtung Dojo ein Zettel, mit Anweisungen während der Trainingszeiten: „Keep this door closed. Cats outside the Dojo!“

    Hier treffe ich meine Gesprächspartnerin Laura. Sie ist 32, arbeitet im Literaturbetrieb und studiert Gender Studies. Laura heißt nicht wirklich Laura. Aber sie möchte anonym bleiben; sagt, dass ihr Arbeitgeber nicht zu wissen braucht, was sie in ihrer Freizeit so tut. Bondage ist für Laura mittlerweile ein fixer Teil ihres Lebens. Sie praktiziert und übt lustvolles Fesseln und unterrichtet selbst auch Bondage-Basics. Als sie mit BDSM begonnen hat, war sie 20 Jahre alt und damals eine von nur wenigen jungen Leuten in der Wiener Szene. Mittlerweile gibt es auch Jugendgruppen, das Angebot ist breitgefächert und niedrigschwellig.

    Wir gehen an Garderobenkästchen vorbei und stehen vor einem weißen Vorhang. Hier liegt der Eingang zum Dojo. Meine Fantasien von düsteren Sado-Maso-Gewölben sind mit einem Schlag verflogen. Mein erster Eindruck: ein Turnsaal. Wir betreten einen hellen großen Raum, lange Fensterfront in den Innenhof, Jalousien dimmen das Sonnenlicht.

    Einrichtung im BDSM-Keller

    Radio FM4 / Claudia Unterweger

    "Es ist nicht dieser klassische dunkle SM-Keller, den man sich immer vorstellt. Dagegen hab ich grundsätzlich auch nichts, aber ein freundlicherer Raum ist eine erfrischende Abwechslung", meint Laura.

    Der Raum ist durchzogen von einem Holzgerüst, von der Decke baumeln Turnringe, Karabiner, Bambus- und Eisenstangen. Auf dem Holzboden sind Tatami- und Yoga-Matten ausgebreitet. An den Wänden prangt japanische Dekoration: ein Kimono und chinesische Lampions.

    Laura und ich sitzen auf zwei Hockern in der Mitte des Trainingsraums und trinken Kaffee. Anfangs wirkt sie noch nervös, hat die Arme verschränkt. Ist also doch kein ganz einfaches Thema. Nach und nach entspannt sich die Stimmung. Ich erfahre, dass hier mehrere gleichgeschlechtliche und Hetero-Pärchen regelmäßig Bondage üben. Dabei kann es schon mal laut werden, aber die Nachbarn sind informiert. "Wir machen Kunst-Performances", heißt es dann. Die aufgeklärteren HausbewohnerInnen erfahren von "japanischer Fesselungskunst", falls sie nachfragen.

    Laura erzählt vom lustvollen Fesseln, zeigt mir Suspension Points, an denen sie von der Decke baumelt und erklärt Techniken, die sie gerne mit ihren Partnerinnen anwendet. Bondage praktiziert sie am liebsten mit flexiblen Seilen – vom spezialisierten Fesselbedarf aus dem Internet. "Beim Fesseln mit dem Seil geht’s um den Prozess, mit Handschellen eher ums Ergebnis", schmunzelt sie. Ihr dient das Seil als Kommunikationsmittel, um Emotionen zu transportieren. "Das Seil ist eine erweitere Umarmung. Das hat viel mit Geborgenheit und Hingabe zu tun."

    Knüpftechnik im BDSM-Keller

    Radio FM4 / Claudia Unterweger

    Fesseln und gefesselt werden bedeutet, komplett die Kontrolle abzugeben oder die völlige Verantwortung für die andere Person zu übernehmen, sagt Laura. "Der besondere Reiz für mich ist, dass das alles auf einem tiefen Vertrauen zur anderen Person aufbaut, und dass dieses Vertrauen auch hergestellt wird. Es ermöglicht eine Art von Intimität, die ich bei (konventionellem) Vanilla-Sex sonst nicht so kenne."

    Ein ausführliches Vorgespräch ist dafür die Grundlage, vor allem, wenn die Personen, die miteinander spielen möchten, einander noch nicht so gut kennen. Welche Praktiken, in welcher Intensität, welche Rollen will man einnehmen? Will man auch im genitalen Sinn sexuell miteinander werden oder nicht? Und welche Formen des Feedbacks werden während der Play-Session verwendet? Essentiell ist dabei das Safeword. Laura erzählt, dass dafür oft das Ampel-Safeword zum Einsatz kommt, denn manche tun sich schwer, während des Sex zu sagen: Nein, das will ich nicht. "Bei 'Gelb' ist klar, lass uns kurz unterbrechen und austauschen. Und 'Rot' bedeutet unmissverständlich 'Stopp, Aus'".

    Soviel über den Sex, den man miteinander haben will, reden, das klingt für mich fast wie ein Seminar. Laura lacht und meint: "Wir haben es nicht gelernt, uns über Sex zu unterhalten. Es wird immer davon ausgegangen, dass das automatisch zu funktionieren hat. Und dass wir mit ominösen telepathischen Fähigkeiten kommunizieren oder durch besonders lautes Stöhnen. Es gibt selten eine Praxis, darüber zu reden, was wir beim Sex wollen und was nicht." Durch BDSM hat Laura einen bewussten, selbstbestimmten Umgang mit ihrer Sexualität gelernt.

    Seile und Peitschen im BDSM Keller

    Radio FM4 / Claudia Unterweger

    III. Wiener Fesselspiele
    Für Interessierte: Vom 27.-29. März 2015 wird die Ottakringer Brauerei zur Bondage Area. Parties, Workshops, Performances und ein Spielbereich beim Viennese Rope Festival Fesselspielen

    Am Ende kramt Laura in ihrer Spielzeugkiste und zeigt mir ihre Lieblings-Toys. Halsband, Wäscheklammern für die Brustwarzen, Lederpeitsche und Reitgerte ("am besten aus dem Reitsportbedarf – sonst zahlt man den Perversen-Zuschlag"). Ich erfahre, dass das Halsband für Laura Teil eines Rituals ist. "Wenn ich zu Beginn der Playsession meiner Fesselpartnerin das Halsband anlege, dann schlüpfen wir in unsere Rollen als Dom und Sub. Am Ende nehme ich es ihr wieder ab. Damit ist klar, unser Spiel ist vorbei und wir kommunizieren wieder in der Alltagssprache."

    FM4 Auf Laut: BDSM

    Vom Hinterzimmer-Tabuthema direkt in alle Bücherregale dieser Welt und auf die große Leinwand hat es das Thema BDSM geschafft. Aber hat „Fifty Shades of Grey“ ein neues Interesse geweckt oder nur ein Thema befreit, das ohnehin viele Menschen fasziniert? Und ist das mit BDSM wirklich so wie in „Fifty Shades“ abgebildet oder in Wirklichkeit ganz anders? Wie geht man die Sache am besten an und was für Fehler kann man dabei machen? In FM4 Auf Laut lädt Conny Lee Gäste ins Studio, die selbst BDSM lernen, praktizieren und unterrichten.

    Die Nummer ins Studio (ab 21 Uhr): 0800 226 996