Erstellt am: 2. 3. 2015 - 18:29 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 02-03-15.
#popkultur #leitkultur #neoliberalemusik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Unlängst hat Robert Rotifer in einem Interview das Bruno Jaschke für die Wiener Zeitung geführt hat, mit einem Griff in die Pop-Geschichte ein paar bemerkenswerte Worte zur Pop-Gegenwart gefunden.
Und weil Robert das Thema in seinen Beiträgen auf fm4.orf.at zwar immer wieder anschneidet und -spricht, aber viel zu bescheiden ist um sein Interview selber zu zitieren, mach ich das. Auch weil er eine These vertritt, die zu diskutieren wirklich lohnt.
Ausgangspunkt war dieser schöne Satz: "Ich habe kein großes Problem damit, dass die große Popkultur ihren leitkulturellen Anspruch nicht mehr erfüllen kann. Soll sein." Sagt einer, der sich als Journalist UND Musiker versteht.
Und schon sind wir mittendrin. Also sprach Robert Rotifer: Die Popkultur war von Anfang an Teil eines Individualisierungsversprechens. In den 50er und 60er Jahren bestand die jugendliche Rebellion darin, die vorgeschriebene Rolle in der Gesellschaft nicht zu erfüllen. Man hat sich emanzipiert - was natürlich schön mit der Entwicklung der Konsumgesellschaft zusammengepasst hat.
Dann kam Punk, der - als Widerspiegelung der neoliberalen Revolution mit Thatcher als Speerspitze - die Gesellschaft verleugnete und mit seiner Behauptung, dass jeder, der drei Akkorde beherrscht, eine Band gründen kann, gewissermaßen das Unternehmerische über das Handwerkliche gestellt hat. Im Endeffekt ging sich das aber wirtschaftlich für die Musikindustrie auch nur aus, weil nicht jede dieser Drei-Akkorde-Bands Platten machen konnte. Genauso wie die scheinbar befreiende, unternehmerische Revolution der Thatcher-Zeit tatsächlich vom begrenzten Zugang zum Kapital kontrolliert wurde.
Heute dagegen hat die digitale Revolution es - gleichzeitig mit der Möglichkeit, Musik en masse zu konsumieren - auch für Musiker viel leichter gemacht, ihre Musik aufzunehmen und zu veröffentlichen. Im Endeffekt hat das zu einer unglaublichen Masse an Veröffentlichungen geführt, und die großen Acts, die da durchkommen, sind nicht jene, die alles auf den Punkt bringen, sondern jene, die so viele Nischen wie möglich streifen und bestimmte, oft nostalgische Sehnsüchte nach einer Gemeinsamkeit befriedigen. Daher bringt dieses Konsens-Phänomen auch nicht unbedingt die spannendste Musik hervor. Eine kurze Zeit war es tatsächlich so, dass Musiker wie Hendrix, die Konsensfiguren waren, gleichzeitig auch die Avantgarde dargestellt haben. Das kommt, glaube ich, nicht mehr zurück.
Die These ist schlüssig.
Gerade weil sich der zeitgenössische Forderungs-Anspruch der Musik-Schaffenden an genau dieser angesprochenen Sehnsucht nach genau dieser Schnittmenge zwischen Bedeutung und Konsens-Erfolg orientiert (und glaubt sie wieder herstellen zu können) ist der deutliche Hinweis auf die Unwiederbringlichkeit dieser Zustände so wichtig.
Der Satz, bei dem sicher viele (auch ich) im ersten Moment schlucken müssen, ist Roberts quasi-posthume Einschätzung von Punk, dem einst und seitdem immer noch als revolutionär-anarchisch verehrten Einschnitt in die Pop-Geschichte. Rotifer sieht Punk als gelebte Praxis der neoliberalen Revolution, die seit Reagan/Thatcher das politische und ökonomische Denken (bis hin zur Griechenland-Krise) beherrscht, und argumentiert mit dem Aspekt der Gesellschaftsverleugnung (no future als Entsprechung zu Thatchers there is no such thing as society) und der Tatsache, dass mit Punk "das Unternehmerische über das Handwerkliche" gestellt wurde.
Es ist durchaus packend, das, was vormals als strengstes Gegensatzpaar wahrgenommen wurde, als Hand in Hand gehende Phänomene neu einzuordnen - allein die Offensivität dieses Gedankens ist purer Punk. Trotzdem, auch auf die Gefahr hin, jetzt eine bewahrende Position zu vertreten: es reizt mich jetzt auch dagegen zu argumentieren.
Zum einen ist die Drei-Akkord-attitude keine Erfindung von Punk. Die Garagenrocker der frühen 60er bis hin zu Velvet Underground, die frühen Rock'n'Roller der 50er haben letztlich mit auch nicht mehr als einem einzigen Riff gearbeitet. Der beste Blues, um dann gleich in die 30er oder 20er zu springen, war auch immer der einfachste. Woody Guthrie hat letztlich ebenso immer dasselbe Lied geschrieben wie Bo Diddley.
Auch das "Unternehmerische" kam schon deutlich vor Punk zum Einsatz. Die Inszenierungen des David Bowie etwa sind kein Ausdruck von craftsmanship, sondern Ausdruck in Kunstschulen erlernter Selbst-Vermarktung. Und die Beispiele der Pop- und Rockgeschichte würden wieder über die 60er und 50er bis in die Anfänge hineinreichen. Letztlich sind/waren Robert Johnson, Billie Holiday oder Hank Williams auch nichts als geschickt geführte Ich-AGs. Von Sinatra, Scott Joplin oder Duke Ellington gar nicht erst zu reden.
Letztlich ist die Trennlinie zwischen Handwerk und Unternehmertum, die zwischen Jazzfiedlerei und Pop, also zwischen dem Versuch, einen ehrbaren, konstanten Beruf als Musiker auszuüben und dem (bewusst in Kauf genommenen) Va-Banque-Spiel des Popstartums. Das eine hatte immer etwas Biederes, das andere immer etwas neoliberal-brutales. Die Grenze ist fließend, wunderbar sichtbar wird sie etwa in Inside Llewyn Davis. Und natürlich gingen viele Musiker, die kurzzeitig am Popstar-Ruhm gerochen haben, an den nun höher gesteckten Ambitionen kaputt. Den echten Star erkannte man, selbst wenn er Jimi Hendrix war, nie an der Technik und den anderen Kriterien klassischen Muckertums, sondern immer am (überlebensgroßen) Narrativ seiner selbst.
Insofern ist die These, dass mit Punk das Unternehmerische, das Handwerkliche in der Popmusik (Stichwort Selbstermächtigung) abgelöst hat, auch als Konstruktion lesbar.
Klarer sichtbar ist die Linie, die vom DIY-Aspekt des Punk zum DIY-Aspekt der digital hergestellten Musiken führt: bei Punk löste sich eine in den 70ern künstlich gewachsene gläserne Decke (da beherrschte kurzzeitig das aufgeblasene Muckertum den Pop; man musste etwas "können", um recording artist werden zu dürfen) ins Nichts auf - dafür blieb die Zugangsbeschränkung durch den (durch die Majors) regulierten Markt bestehen. Die begann sich aber schon in den 80ern aufzulösen, als erste Sampling-Tools auftauchten und (noch analoges) Homerecording ermöglichten. Was zu einer mittlerweile nicht mehr zu überblickenden Aufnahmeschwemme und der ökonomisch logischen Entwertung der Musik und ihrem Ende als Leitkultur der Popkultur geführt hat.
Was aber nicht zwangsläufig das Ende für interessante Musik bedeutet. Ich für meinen Teil würde meinen, dass die lokalen kleinen Szenen durch diese Entwicklungen deutlich mehr Bedeutung erfahren haben und sich durch die neuen Produktionsbedingungen ein Output-Level stabilisiert hat, das dem "Musikland Österreich" entspricht. Die österreichische Popwüste der 80er und 90er hatte ihre Ursache zu einem Gutteil in der mangelnden Ermächtigungs-Möglichkeit der potentiellen Künstler - die ökonomischen und technischen Beschränkungen schufen einen unendlich engen Flaschenhals. Der war für die Übersichtlichkeit des globalen Pop-Angebots vielleicht ein Segen, fürs kleine Österreich war's verheerend.
Der aktuelle Anspruch vieler, entweder als Musiker (konstant) oder Popstar (luxuriös) von seinen Versuchen im endlosen Markt der unternehmerischen Ich-AGs leben zu können, ist jedenfalls in großem Maße illusorisch, wird ein erfüllter Traum weniger bleiben. So wie es auch vor Punk (und was auch immer das ausgelöst hat) schon war.