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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

2. 3. 2015 - 17:31

Bachmann-Schweiß

Tex Rubinowitz hat seinen Siegertext beim Bachmann-Preis 2014 zu einem eigensinnigen Roman aufgemöbelt. "Irma" heißt das Buch, das nur noch wenig mit Irma zu tun hat, aber voll von klugen Ideen, abstrusen Metaphern und Popkultur-Referenzen ist.

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Es war mehr als ein Raunen, das da letztes Jahr durch die Reihen des Bachmann-Preises ging. Geht denn das? Darf das sein? Konservative Zungen des Literaturbetriebs haben Herpes bekommen. Hat doch wirklich dieser Witzezeichner Tex Rubinowitz gewonnen, dieser Autodidakt, noch dazu mit einem humorvollen-lakonischen Text?! Innerhalb von nur zwei Stunden hat er die Geschichte geschrieben. Ist das überhaupt Literatur, was der da zusammenschustert?

Tex Rubinowitz

APA / Georg Hochmuth

"Wir waren niemals hier" heißt die mit 25.000 Euro preisgekrönte Geschichte mit autobiographischen Zügen. Sie handelt von der ersten Freundin des Ich-Erzählers (der in vielen Aspekten an Tex Rubinowitz erinnert - und auch so heißt), oder zumindest von der damaligen Vorstellung des Ich-Erzählers und Spätzünders, wie sich eine Freundin und Beziehung anfühlen könnten.

Tex Rubinowitz im Interview mit Zita Bereuter nach dem Bachmann-Preis 2014

"Wir waren niemals hier" - Den Siegertext beim Bachmann-Preis 2014 und die ersten drei der 23 Kapitel von "Irma" kann man hier lesen.

Die beiden haben sich im Wiener U4 kennengelernt, sie heißt Irma stammt eigentlich aus Litauen, wohnt aber in Hamburg. Irma schüttet ihm Zucker in die Jackentasche und so traurig es auch anmutet, war das für ihn ein sehr zärtlicher Moment. Drei Wochen später zieht sie in seine 26-Quadratmeter-Wohnung in Ottakring. Irma ist eigensinnig, raucht gern im Wohn-/Schlafzimmer, was ihn stört, und leckt an Batterien, das Britzeln hält ihren Kreislauf in Schwung. Er findet einen Zettel am Küchentisch: "Wenn ich in 50 Minuten nicht zurückkomme, komme ich gar nicht mehr" steht da drauf, eine Drohung, so scheint es. Sex haben die beiden keinen, "Mach dich doch nicht lächerlich" bekommt er auf Nachfrage zu hören. Man merkt: Es passt einfach nicht, die beiden stoßen sich gegenseitig ab, wie Magneten. Und plötzlich ist Irma weg, einfach verschwunden.

Dreißig Jahre später erhält der Ich-Erzähler eine Freundschaftsanfrage auf Facebook, von einer gewissen Irma, der Irma, die er schon längst aus seinem Gedächtnis gelöscht hat.

Looten und Leveln

Wenige Monate später und den Druck eines der wichtigsten Literaturpreise im Nacken hat Tex Rubinowitz aus "Wir waren niemals hier" ein Buch gemacht. "Irma" heißt es, ein Roman soll es sein, vielleicht aber auch eine Kurzgeschichtensammlung. Selbstreferenziell baut Tex Rubinowitz immer wieder Dialoge zwischen dem Tex Rubinowitz in der Geschichte mit dessen Lektor ein und es wird zum Beispiel die Frage gestellt, wie genau dieser Satz im Buch aussah, bevor ihn der Lektor in die Finger bekam? Der Lektor verändert die Sätze, schreibt die Biographie um, beschönigt, beschwichtigt, und der Autor nimmt es gutmütig hin, vergisst, was er eigentlich geschrieben und im Sinn hatte, schließlich klingen die geradegebogenen Suaven viel besser, als die ohne Lektorat.

"Irma" ist der Versuch von Tex Rubinowitz, aus der eigenen Biographie Literatur zu erzeugen. Wie es mit Irma dreißig Jahre später weitergeht, erfahren wir nur ansatzweise. Der Ich-Erzähler und Irma schreiben sich ein paar Nachrichten auf Facebook, tauschen Songtexte und das Foto einer Schauspielerin aus - und dann geht es sprunghaft zu den unwahrscheinlichen Ereignissen im Leben des Ich-Erzählers. Wir erfahren, dass er vom Vater geschlagen und als Kind im Wald missbraucht wurde, dass er eine schwere Schulzeit hatte, in Hamburg in einer Chaos-WG lebte und in einer Joghurt-Fabrik jobbte, bevor er schließlich in Wien landete.

Wie sehr "Irma" der Realität entspricht, was übertrieben oder frei erfunden ist, wird natürlich nicht verraten. Im Interview mit dem Falter meint Tex Rubinowitz: "Man muss Biografisches so aussehen lassen, als sei es erfunden, und Erfundenes als sei es biografisch. Wenn ich mir jetzt total in die Karten scheuen lasse, ist das eine öffentliche Therapiesitzung, wenn ich alles erfinde, kann das nie so gut erfunden sein, wie die Realität. Die Kunst ist also, das eine ins andere diffundieren zu lassen, ohne Kollateralschaden."

Frau mit Tschick, Umschlagscover von "Irma" von Tex Rubinowitz

Rowohlt Verlag, Max Müller

"Irma" von Tex Rubinowitz ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Das Buch ist vollgespickt mit Zitaten und popkulturellen Referenzen, Diederichsen, Morrissey, Kaurismäki um nur ein paar Namen zu nennen. Manchmal scheint es, als ob sich Rubinowitz hinter der Referenz-Opulenz verstecke. Von der Liebe zu Listen ist ebenso die Rede, wie von einer gewissen Website, die 2004 für den Grimme Online Award nominiert war, und gemeint ist hier nicht das Internet-Forum "Wir höflichen Paparazzi", in dem um die Jahrtausendwende herum Alltagsbegegnungen mit Promis gepostet wurden - moderiert von Tex Rubinowitz, der nach eigenen Aussagen in der Community das Schreiben gelernt hat - sondern "Finding Oh", eine Plattform, deren Mitglieder geheime Botschaften auf bedruckten koreanischen Cocktailschirmchen analysiert haben und einem Kriminalfall auf der Schliche waren.

Im Buch geht es auch um Fatalismus, um Ironie, die der Ich-Erzähler nie verstünde, nachtaktive Koboldmaki und den Distinktionsgewinn - hach, Distinktionsgewinn, lange nicht mehr gelesen.

"Irma" mäandert, und das im besten Sinne, so als ob Tex Rubinowitz auf den Kopf gestellt wurde und seine Gedanken einfach auslaufen konnten. Das Buch ist ein Metatext mit intelligenten Spitzfindigkeiten, überraschenden Ideen, schiefen Bildern und Humor, aber auch mit Tiefgang. Die Strahlkraft des Bachmann-Siegertextes, der gleich die ersten drei von insgesamt 23 Kapiteln im Buch ausmacht, erreichen die restlichen 204 Seiten aber nicht.