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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

1. 3. 2015 - 11:18

FM4 Radio Session mit Bristol

Marc Collin und sein neues Bandprojekt Bristol live im Radiokulturhaus.

Da ist er also, live on stage, Marc Collin, den manche von uns vielleicht von seinem letzten Bandprojekt Nouvelle Vague her noch kennen. NV, das waren die, die diese verführerischen Covers von Punk- und New-Wave-Songs machten: ein wenig Depeche Mode oder Joy Division, geküsst von der Easy-Listening-Muse, von der Brasil-Sonne bestrahlt. Man konnte es mögen oder auch nicht. Manche mochten es nicht: Look, what they've done to my song! Arrrrgh. Aber viele mochten es, mich inkludiert. Nouvelle Vague führte Mac Collin in den 00er Jahren rund um die Welt, und auch heute zehrt der smarte Franzose noch davon, mit einem NV-Deejaying hier, oder einer NV-Zusammenarbeit etwa mit einer Hotelkette, für die er zuletzt Musik zusammenstellte. Wer mir jetzt gleich dagegen etwas sagt, daran ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes. Wir müssen alle Geld verdienen, die meisten von uns jedenfalls.

Martin Blumenau

ORF Radio FM4 | Christian Stipkovits

Martin Blumenau eröffnet den Abend und bittet Bristol auf die Bühne

Auch hat Marc Collin seit Kindesbeinen an eine riesengroße Leidenschaft was Popmusik betrifft, das sollte ihm niemand einfach so schnell mal in Abrede stellen. Collin ist nicht einfach so etwas wie ein skrupelloser Verwässerer eines guten Weins. Auch wenn es natürlich durchaus einer gewisen "Skrupellosigkeit" bedarf, um etwa einen, sagen wir mal, Portishead-Song zu covern, also neu zu bearbeiten und zu interpretieren. Das weiß Marc Collin. Letztlich handelt es sich um eine gute "Skrupellosigkeit", nämlich etwas, wo die Ehrfurcht vor HeldInnen einen nicht lähmt.

Beim Soundcheck am Nachmittag vor dem Konzert versammelt sich die komplette "Rasselbande" rund um diesen stillen Mittvierziger Marc Collin, der väterlich wirkt und hinten auf der Bühne an seinem Keyboard steht. Die Action ist vorne, wo Jim Bauer - Sänger und Gitarrist - mit Händen und Füßen redet, alles richtig machen will. Jugendliche Begeisterung sprüht hier durch den Raum, mit dem Backing der Erfahrung des "abgebrühten" Marc Collin. Er nimmt von ihnen, sie von ihm, alle profitieren.

Aber jetzt Vorhang auf für Bristol, dem, wie Marc Collin sagt, "logischen Fortsetzen von Nouvelle Vague". Nach Punk und New Wave war der von der britischen Stadt Bristol ausgehende Trip-Hop die nächste musikalische Leidenschaft dieses Franzosen aus dem Pariser Vorort Versailles. Das erste Album von Massive Attack hatte er als etwas empfunden, was in der Popmusik davor nicht dagewesen war, seine künstlerische Kraft hatte ihn schlichtweg "schockiert", ihm die Luft genommen, wie er in Vorab-Interviews sagte, um sein Projekt vorzustellen. Der Trip-Hop, der in den kommenden Jahren international folgte, war vielleicht nimmer ganz so "schockierend", aber ein Genre war geboren, ohne das man nicht mehr leben wollte, zumindest einige von uns, unter ihnen Marc Collin.

Ein "Bon soir!" muss sein, bevor Bristol loslegen. Guten Abend! Sängerin Dawn Aurore begrüßt uns. Sie hat das Rennen gmacht, um die Bristol-Konzerte. Am Debutalbum, das Mitte März erscheint, gibt es nämlich noch zwei weitere Sängerinnen. Für die Französin Dawn hat sich Marc Collin für die ersten Konzerte jetzt mal entschieden, weil, wie er im Interview vor dem Auftritt meint, er sie schon einmal auf der Bühne agieren gesehen hatte, er also wusste, wie ihre Art des Performens ist. Später auf der Tour können ja dann die beiden anderen Sängerinnen dazukommen. Aber halt, da gibt es ja noch eine weitere weibliche Stimme bei Bristol - mehr dazu hier später. Aber auch Männer singen bei Bristol: Jim Bauer und Martin Rahin. Einen Schlagzeuger hat das Bandprojekt auch mit dabei: Julien Boye, ein stylisher Rock'n'Roller mit Skinny-Jeans-Beinen und ebenso schmaler Krawatte. Let's go!

"Six Underground" ist der erste Bristol-Song, ein Stück von der englischen Band Sneaker Pimps, als diese noch eine Sängerin hatten. Es folgt "Moog Island" von Morcheeba aus London und dann gleich der Song, der vielleicht so etwas wie der Key-Track am Bristol-Album ist: "Safe From Harm", jenes Stück vom Massive-Attack-Album "Blue Lines", das Marc Collin seinerzeit so umgeworfen hat, ihm eine neue musikalische Welt eröffnet hat. Da ist ein wenig Französisch, einige Worte, in der Version von Bristol. Mehr französische Sprache braucht es gar nicht, denn eine gewisse "Frenchness" verspürt man auch so, auch wenn das klassische gestreifte Shirt vom Soundcheck von Sängerin Dawn Aurore nun ausgetauscht ist gegen schwaze Hotpants, riesige Tellerohrringe etc. Theater, das "Verkleiden", etwas Darstellen, das war schon Teil der Performance von Nouvelle Vague und das ist es bei Bristol ebenfalls.

Marc Collin wechselt nun von Keyboard und Laptop an den Konzertflügel, den FM4-Radio-Sessions gerne zur Verfügung stellen, und Jim Bauer, ein junger, kleingewachsener Sänger und Gitarrist aus Paris, erhebt seine Stimme. Jim Bauer ist ein Soul-Shouter, der, wie mein Sitznachbar, Freund Thomas, meint, gar etwas dick aufträgt, eben bei "Roads" von Portishead, jenen Säulenheiligen der Musik der Stadt Bristol. Ach, mir kann ja nie genug Butter auf dem Brot sein. "Roads", hier nicht von einer weiblichen Stimme repräsentiert, sondern von einem etwas hemdsärmeligen Kerl wie Jim Bauer, das hat schon etwas.

Jetzt ruht das Schlagzeug, der Bass verstummt, auch der stets diskrete, schweigsame Zeremonienmeister Marc Collin tritt ab, setzt sich hinten an den Bühnenrand, während Jim Bauer bloß etwas Gitarre spielt - pardon, so hemdsärmelig ist der Mann gar nicht - und Dawn Aurore mein Lieblingslied vom Bristol-Album singt: "Widows By The Radio", ein wenig bekannter Song vom irischen Trip-Hop/Singer-Songwriter Perry Blake. Danke, Bristol, dass ihr mich an Perry Blake erinnert, und danke für diesen Song im so schön reduzierten Stil. Am Ende des Stücks singt Martin Rahin mit, Martin, der wuschelköpfige Bassist mit den deutsch-polnisch-jüdischen Wurzeln, der eigentlich bildender Künstler ist und Skulpturen anfertigt. Martin singt das nächste Lied, "Paper Bag", im Original von Goldfrapp, von ihrem Debutalbum, "Felt Mountain", eh klar, das musste Marc Collin gefallen, mit all dem Cineastischen, das "Felt Mountain" hatte.

Es folgt "Mad About You" von den Belgiern Hooverphonic, die mit ihrem trip-hoppigen Pop auch in den USA recht erfolgreich waren. Jim Bauer singt und wir klatschen, Marc Collin shaket dezent an seinem Keyboard. Dankeschön, sagt Martin Rahin, bevor Jim Bauer nochmals anhebt: "Gabriel" vom britischen Duo Lamb; wieder ein Song, den im Original eine Sängerin singt, den Marc Collin aber von einem Mann interpretieren lässt. Marc an den Keyboards, dezente Drums erst, bevor Bristol zum fünfköpfigen Monster wird, mit Jim Bauer kurz wie unter Voodoo-Einfluss.

Marc sitzt wieder am Piano. Jay-Jay Johansons "It Hurts Me So" ist dran. Sehr schön. Ich hab das Original von diesem schwedischen Sänger mit der traurigen Stimme nicht im Kopf, macht nichts, muss man auch gar nicht - man muss nicht wissen, wie das Stück einmal klang, was Marc Collin mit seinen Arrangements etc. veränderte. Vielleicht wäre das beim einen oder anderen Song hier sogar hinderlich. Aber manche der Stücke kennt man eben, egal wie alt man ist. Weiter also in der Bristol-Show mit bekannter und weniger bekannter Musik: Trickys "Overcome", ein Stück, das Tricky erst im Rahmen von Massive Attack aufnahm, als "Karmakoma" und dann für sein erstes Album neu aufnahm, als "Overcome". Sängerin Dawn agiert jetzt als Schlangentänzerin.

Diejenigen unter uns, die Marc Collin s Approach nicht mögen, würden, wären sie hier, spätestens jetzt den Saal verlassen und irgendwas murmeln von wegen, dass sich Tricky da in seinem Grab umdrehen könnte, wenn er da einmal liegt.

Die Gitarre klirrt, der Bass wummert. Da muss ein Break her. Der grundsätzlich dezente Martin Rahin singt den Archive-Song "Nothing Else", von deren "Londinium"-Album. Archive sind in Frankreich immer gut angekommen, besser insgesamt als in England. Kein Wunder also, dass Marc Collin auch einen Song von ihnen ausgewählt hat. Er sitzt nun wieder am Piano, Dawn Aurore spielt jetzt Bass und Martin Rahin hat die Hände frei; etwas Rock-Noir-iges hat Letzterer an sich. Man spürt jetzt diesen Soundtrack Vibe - John Barry etc., der Marc Collin eigentlich so wichtig ist, der aber in der Dynamik bei diesem Konzert bis jetzt unterrepräsentiert war.

Ausstrahlung

Am Donnerstag, 5. März läuft die FM4 Radio Session mit Bristol in der FM4 Homebase (19-22 Uhr), und anschließend 7 Tage on demand.

Es folgt ein Konzerthöhepunkt, Neneh Cherrys "Woman", wieder ein Song aus dem stark repräsentierten (Trip-Hop)-Jahr 1996. Neneh Cherry ist gewissermaßen eine Trip-Hop-Urmutter, mit ihrer in den 80er Jahren in Bristol ansässigen Band Rip, Rig & Panic. Dawn Aurore singt "This is a woman's world, and this is my world". In der Trip-Hop-Welt des Marc Collin ist da auch Platz für ein von Reggae und den Soundsystems vom Bristol der späten 80er und frühen 90erJahre angehauchtes Stück wie "No Justice" von Smith & Mighty, aber es ist auch Platz für Björks "All Is Full Of Love". "Björk und Trip-Hop?", raunt Sitznachbar Thomas, um aber rasch hinzuzufügen, "Aber gut, die sehen das nicht so eng." "Ja, nicht-so-eng-sehen ist oft gut", raun' ich zurück. Es ist gerade laut, wir können raunen, ohne die KünstlerInnen zu stören. Großes Finale hier auf der Bühne, mit mehr Siouxsie Sioux als Björk in der Stimme von Dawn Aurore. Sehr schön.

Psst, psst aber jetzt, hier ist schon die Zugabe - mit der Bristol-Gastsängerin Magmoiselle, einer frankophilen Österreicherin, die in Wien lebt und Marc Collin per sozialem Netzwerk anschrieb, ob er denn nicht ein paar Songs mit ihr zusammen produzieren könnte. Tat er umgehend und verpflichtete Teresa Eitzinger aka Magmoiselle auch für einen Bristol-Song: "I Can Water My Plants" von einer der obskureren Trip-Hop-Bands der ersten Welle von damals: Monk And Canatella. Magmoiselle ist keine legere Sängerin, auch wenn sie nicht vom Jazzgesang direkt kommt, wie man vielleicht kurz vermuten würde, sondern einfach im guten Kunsthandwerk zuhause ist, und ja, das ist ein Kompliment.

Nochmals Zugaben: War das noch einmal "Mad About You" von Hooverphonic? Jim musste nochmals ran, er hat ja auch etwas von dieser "Rampensau", die gerne mehr Künstlerinnen wären. Letztes Stück: The Music That We Hear", im Original von Morcheeba, und zwar bei ihnen schon ein Re-Work eines Songs von ihnen selbst, von "Moog Island", das wir heute auch schon gehört haben hier bei Bristol. So schließt sich der Kreis.

Ein bißchen Trip-Hop covern? Am Schulabschlussball, oder am Kreuzfahrtschiff? Aber bitte. "You can go out and water your plants, or smoke a cigarette, or go out for a walk on your own or with friends..." hat's in "Water My Plants" geheißen. Alles klar. Schön, wie Bristol etwa über Morcheeba "drübergefahren" sind, meint ein Konzertbesucher nach der Show, und eine Besucherin, "Toll, wie präsent die Gitarre hier war, viel stärker als sie es im Trip-Hop" war"; "es war abwechslungsreich, jedes Stück anders", sagt wiederum jemand nach der Show; "manchmal hat man die Lieder erkannt, manchmal gar nicht, manchmal einen Textfetzen." Genauso war es. Merci beaucoup, Marc Collin und Band.

FM4 Radio Session mit Bristol auf FM4

Am Donnerstag, 5. März läuft die FM4 Radio Session mit Bristol in der FM4 Homebase (19-22 Uhr), und anschließend 7 Tage on demand.