Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "David liebt Goliath"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

27. 2. 2015 - 16:59

David liebt Goliath

Das kleine Wiener Spieleentwicklerstudio Socialspiel hat einen großen Partner aus Asien. Dennoch bewahrt man sich seine kreativen Freiheiten. Es ist eine ungewöhnliche Freundschaft.

Der 11. Mai 2006 war für die österreichische Spieleentwickler-Gemeinschaft traumatisch. Damals wurde Rockstar Vienna, zu jener Zeit der ganze Stolz der Szene, von einem Tag auf den anderen vom Mutterkonzern geschlossen. Man durfte gerade noch einmal ins Gebäude, um sich seine persönlichen Gegenstände vom Schreibtisch zu holen.

Viele Mitarbeiter/innen haben nach diesem Schock ihre eigenen, kleinen Gamestudios gegründet. Eines davon hieß Socialspiel. 2010 gegründet, ist Socialspiel im kleinen Rahmen beim damaligen Boom der Facebook-Games eingestiegen. Nach zwei eigenen Projekten ("Push", "Tight Lines Fishing") und der Gemeinschaftsarbeit "Asterix & Friends" wird seit knapp einem Jahr die Firma laufend größer. Denn ein asiatischer Konzern hat einen siebenstelligen Betrag investiert und tritt seither als strategischer Partner auf. Ist das Trauma von Rockstar Vienna damit nun überwunden und hat man nach Jahren der Bescheidenheit wieder das Vertrauen zu großen Computerspielunternehmen in Österreich zurückgewonnen?

Bewährte Elemente mit eigenen Ideen

"Legacy Quest" heißt das neue Spiel von Socialspiel. Es sieht im Trailer aus wie eine publikumswirksame Mischung aus "Diablo", "Lego" und "Minecraft" und wird im Sommer erscheinen. "Legacy Quest" ist das erste Spiel der Zusammenarbeit mit dem asiatischen Spieleriesen Nexon, der sich mit Hilfe von Socialspiel den westlichen Markt besser erschließen möchte. Denn zwischen Ost und West gibt es natürlich auch im Bereich Computerspiele kulturelle Unterschiede. Asiatische Spieler/innen schätzen etwa ausführlich präsentierte User Interfaces mit viel Menüs, Text und Infoboxen. Im Westen hätte man hingegen lieber cleane, möglichst unsichtbare Darstellungen, erklärt der Nexon-Producer Lane Baker im Interview mit FM4, als er kürzlich bei Socialspiel in Wien zu Besuch war.



Die visuelle Darstellung ist eine Sache, viel wichtiger ist aber natürlich die Spielmechanik. Und nicht nur das, denn "Legacy Quest" - wie alle Spiele, bei denen der Konzern Nexon mitmischt - sind free to play, also grundsätzlich gratis, aber mit Möglichkeiten versehen, im Spiel Geld auszugeben. Hier sind viel Statistik und Feingefühl notwendig, weil einerseits Geld verdient werden muss, andererseits die Spieler/innen nicht das Gefühl haben dürfen, ausgenommen zu werden. Doch auch bei subtileren Methoden ist das noch verhältnismäßig junge Geschäftsmodell für viele Spielerinnen und Spieler weiterhin so etwas wie der Gottseibeiuns der Spielkultur, der für wenig Innovation und viel Abzocke steht.

Was stimmt, ist, dass ein Free to play-Spiel nicht nur ein Kulturgut, sondern vor allem ein Produkt ist, das optimiert und den Spielerinteressen ständig angepasst werden muss. Das Wichtigste ist, die Spieler/innen bei der Stange zu halten, sie langfristig an das eigene Spiel zu binden. Diese Retention, wie es in der Fachsprache heißt, also die Bleiberate der User, ist essentiell, wenn es darum geht, eine große Community aufzubauen. Denn wenn eine virtuelle Welt dicht besiedelt ist, wird darin auch jene Minderheit größer, die im Spiel Geld für Kleinigkeiten wie diverse Booster oder virtuelle Gegenstände ausgibt und - damit die Spielemacher finanziert.

Socialspiel-Geschäftsführer Mike Borras und Helmut Hutterer sowie Nexon-Spieleproduzent Lane Baker.

Robert Glashüttner / Radio FM4

Inmitten der Socialspiel-Geschäftsführung (links: Mike Borras, rechts: Helmut Hutterer): Nexon-Spieleproduzent Lane Baker.

Für die kleine Firma Socialspiel mit derzeit rund 20 Mitarbeiter/innen ist die geballte Expertise von Nexon und auch ihre Marketingkompetenz sehr hilfreich. Der große Konzern agiert gegenüber der Indie-Firma aus Wien als offener, gutmütiger, gleichwertiger Partner. Das Geschäftsführungs-Duo Helmut Hutterer und Mike Borras - beide übrigens ehemalige Rockstar-Vienna-Mitarbeiter - versichern im Gespräch mit FM4, dass diese Partnerschaft sehr professionell, kommunikativ, fair und ergiebig sei. Socialspiel hätte volle kreative Kontrolle, es gäbe keine fixen Vorgaben, man vertraue sich. "Das klingt nach Friede, Freude, Eierkuchen, aber das ist es eben auch", rechtfertigt Helmut Hutterer fast ein bisschen trotzig die Harmonie der ungewöhnlichen Partnerschaft.

Mehr Vertrauen als früher

Früher war es so, dass die Beziehung zwischen Spielemachern und Spieleverlag ein bisschen so war wie die von Jugendlichen zu ihren skeptischen Eltern. Doch so, wie auch diese sich 2015 wechselseitig mehr vertrauen als noch vor 20 Jahren, ist auch das Verhältnis zwischen Developer und Publisher lockerer geworden. Socialspiel selbst gibt sich dabei intern bewusst entspannt und pflegt eine Firmenkultur, die auf wenig Bürokratie und viel persönlicher Verantwortung fußt. Erik Pojar, technischer Leiter bei Socialspiel und bereits seit Mitte der 90er in der Games-Branche, spricht von "nahezu keinem Management-Overhead" und firmenideologisch von einer Meritokratie.

Drei Mitarbeiterinnen und ein Mitarbeiter von Socialspiel bei der Arbeit vor ihren Computern. Der Raum ist hell, im Hintergrund sieht man Pflanzen.

Robert Glashüttner / Radio FM4

Die derzeitigen Räumlichkeiten von Socialspiel könnten bald zu klein werden, sollten noch mehr Mitarbeiter/innen aufgenommen werden.

So positiv das Verhältnis zwischen Socialspiel und Nexon auch ist und so sehr der unabhängige Arbeitsethos hochgehalten wird: Die amikale Beziehung zwischen David und Goliath wird am Spielerfolg zu messen sein, also wenn man weiß, wie viel Aufmerksamkeit und Einnahmen "Legacy Quest" ab Sommer einfahren wird.

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fm4.ORF.at/games

Fest steht, dass Games-Entwicklung 2015 merkbar anders und vielseitiger geworden ist als vor zehn Jahren. Das Free to play-Modell mit all seinen Statistiken, inhaltlichen Anpassungen und Anreizen, Kleinbeträge auszugeben, mag Spieleentwicklung und die Spiele selbst pragmatischer und in manchen Fällen vielleicht opportunistischer und austauschberer machen als früher. Doch andererseits waren kommerzielle Produktionen immer schon bekannt dafür, wenig Risiko einzugehen. Socialspiel dürfte hier einen guten Mittelweg gefunden haben, bei dem auch bei größeren Projekten persönliche Verantwortung und kreative Ideen der einzelnen Mitarbeiter/innen ausdrücklich erwünscht sind. Es scheint jedenfalls weit und breit niemand zu sein, der den Willen und das Pouvoir hätte, Socialspiel von einen Tag auf den anderen zu schließen.