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Sophie Strohmeier Philadelphia

Film, Film, Film

26. 2. 2015 - 14:10

This American Psycho

Vieles, was "Europa" an "den USA" hasst, macht "American Sniper" sichtbar.

Das Böse kriecht aus dem Fernseher. Allmächtig, allwissend, und allumgreifend ist der Kasten, in dem das unvorstellbare Ungeheuer sitzt; fett, hässlich und körperlos.

Wir kennen den Fernseher als eine Art Tor zur Hölle z.B. aus den klassischen John-Carpenter-Filmen; dort brabbelt und hypnotisiert die kleine Kiste ohne Unterlass und manipuliert die Protagonisten mit mysteriösen Absichten.

Nun verwendet Clint Eastwood in American Sniper dieses Fernseher-Motiv: Es saugt die Blicke der unschuldigen, guten Männer auf, flößt in ihren Köpfen Angst und Rachelust ein und verwandelt ihren Mut in Aggression. Zum Schluss, nachdem alles bereits gesehen ist, können sie nur mehr den schwarzen Bildschirm anstarren.

Es ist der Fernseher, der vermittelt, wo und wie der Feind ist; der Fernseher, der angibt, was zu hassen ist, und dass überhaupt zu hassen ist. Der Fernseher ist die Propagandamaschine und zugleich die Regierung, die den Einzelnen versklavt und missbraucht.

Bradley Cooper in American Sniper

Warner Bros.

Chris Kyle (Bradley Cooper), einsamer Jäger

"I'm not a redneck, I'm from Texas!"

Bradley Cooper spielt Navy SEAL Chris 'Devil of Ramadi' Kyle, den tödlichsten Sniper in der Geschichte der U.S.-Army; offiziell soll er 160 Menschen getötet haben. American Sniper ist die Verfilmung Kyles gleichnamiger New York Times Best Seller Autobiographie, deren Macho-Sprache Eastwood sorgfältig ausspart. Ebenso wird aus Chris Kyles tatsächlicher Biographie vieles ausgelassen: Seine berüchtigten Lügengeschichten bleiben unerwähnt (Kyle prahlte z.B. darüber, um die Zeit von Katrina vom Superdome in New Orleans aus auf bewaffnete Zivilpersonen geschossen zu haben). Während brutale Kriegsszenen in verstörendem Detail wiedergegeben werden, geht der Film mit historischen Ereignissen betont vage um, bekannte Persönlichkeiten kommen gar nicht vor (Kyle war z.B. Bodyguard von Sarah Palin). So erweckt Kyles Betrachten des einstürzenden World Trade Centers im Fernsehen, gekoppelt mit Kriegsszenen im Irak, in dieser Aneinanderreihung den Eindruck, die Irakinvasion würde im Film impressionistisch mit dem U.S.-Einsatz in Afghanistan verschmelzen.

Filmstill: Bradley Cooper als der American Sniper

Warner Bros.

"You readin' comic books?"

Wenn Kyle im Irak nach Al-Qaida-Anhängern sucht und dabei auf seiner Ausrüstung "Punisher"-Symbole trägt, möchte man meinen, es geht hier tatsächlich um einen fiktiven Racheengel, und der ganze Kriegskoloss soll für uns so verwirrend und uninformativ sein, wie es eben auch für die Soldaten war – die Anzahl erschossener Kriegsgegner ist damit auch nur eine Ziffer. Eine andere Weltsicht wird gar nicht angeboten oder diskutiert, denn der Film beschäftigt sich allein mit Kyle und dem Mikrokosmos seiner Familie:

"How'd you like it if they came over here to San Diego or New York?", fragt Kyle einen Kollegen, der am Krieg zweifelt. "They" - das sind "die Anderen", die Kyle in seinem Buch angeblich "Savages" nennt. Murica jedoch ist "the greatest country in the world". Clint Eastwood wagt es hier, die Formation eines bewaffneten Fox-News-Populisten darzustellen und zu portraitieren. Eine Bibel, die Kyle seit Kindheit besitzt und mit in den Kriegseinsatz nimmt, ist aufgrund seiner Nostalgie und Kyles Glauben ein magisches Objekt für Kyle, nicht aber wegen der Religion an sich. Ein tatsächlicher Propagandafilm würde das anders angehen.

Film Still American Sniper: Kyles Kriegskollege liest The Punisher

Warner Bros.

"It's not a comic book, it's a graphic novel!"

Geplatzte Cowboy-Träume

Angeblich war es Chris Kyles Kindheitstraum, Cowboy zu werden. Ein gebrochenes Handgelenk beendete seine Rodeo-Karriere; so mancher Salon-Artikel setzt dieses Cowboytum mit Kyles Verhalten im Wilden Osten in Bezug.
Den ganzen Film über beobachten wir Kyle, wie dieser aus den unsinnigen, pro-republikanischen Informationen zu Mut, Krieg, Glauben, Männlichkeit und Vaterschaft versucht, schlau zu werden. Von Militär und Milieu wird er belehrt und indoktriniert, darf an seinem Wissen und seiner Weltsicht nagen, ehe man ihn mit seinem Unbehagen und Albträumen alleine lässt.

Und dann der größte Horror: Seine posttraumatische Belastungsstörung macht Kyle selbst zu einer Maschine; die Regierung aber kümmert sich nicht mehr um sein Mensch-Werden. Das Geräusch eines Rasensprengers in einem sonnigen, lauen Vorort reicht aus, ihn in eine staubige, feindliche Stadt zurückzureißen. Ohne Krieg befindet sich Kyle in einer zwielichtigen Zone, aus der ihn niemand mehr herausholen kann, schon gar nicht diejenigen, die ihn dorthin geschickt haben. Mit anderen Veteranen in den Wald schießen zu gehen, ist das einzige Hilfsmittel - und auf eine verzwickte Art auch sein Verderbnis (Chris Kyle wurde im Februar 2013 von einem 25-jährigen, traumatisierten Veteranen erschossen; vergangenen Dienstag wurde dieser zu lebenslanger Haft verurteilt).

Filmstill American Sniper

Warner Bros.

Krieg und Normalität: Kyle besucht einen verwundeten Kollegen.

Dass es höchst unangenehm ist, in so einem Film zu sitzen und in die Haut eines Menschen zu fahren, der eine derart unsympathische, gewalttätige Weltsicht vertritt, ist eine Untertreibung. Es grenzt schon fast an Tortur.
In den USA, wo der Film einer der erfolgreichsten von 2014 ist und zugleich der erfolgreichste Clint-Eastwood-Film überhaupt, kann man American Sniper nur mit einem Gefühl von Ohnmacht und Wut betrachten - die Republikaner (zu denen Eastwood gehört) haben sich den Film sofort angeeignet und zu ihrer Geschichte von Heldentum und Selbstlosigkeit des starken, weißen Mannes gemacht. Selbst im halbleeren (der Film läuft in den USA bereits seit etwa 8 Wochen) Studentenkino, in dem ich den Film sehe, grölen neben mir eine Handvoll "Bros" und hinter mir raunt eine alte Frau in den Kriegsszenen "Get 'im! Get 'im!"

"American Sniper" läuft ab 27.2. in österreichischen Kinos.

Waffen, Fernseher, ein eignes Stück Land: Für die Geschichte der USA ist Eigenständigkeit oder "self-reliance" eines der höchsten, unerlässlichen Ideale. Immer wieder findet man sich in den USA in der Situation, über die verschiedenen Formen dieses Ideals mit Kollegen, Verwandten und Nachbarn zu diskutieren und zu streiten. Clint Eastwood hat hier eine Perspektive eingefangen.