Erstellt am: 23. 2. 2015 - 15:31 Uhr
Filmschönheiten zum Nachholen
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Filmempfehlungen, Kinokritiken und Interviews mit Schauspielern und Regisseuren auf
Als ich gestern einen Blick in die Startlisten der heimischen Filmverleiher machte und auch die Liste mit dem Pressevorführungen gecheckt habe, erfasste mich kurz die Trübsinnigkeit. Mir wurde klar: It’s that time of the year. Während sich vor der Oscar-Verleihung die sehenswerten Filme in den Kinos fast stauen, bricht bald danach eine filmische Dürreperiode an.
Natürlich finden sich in der cineastischen Wüste immer wieder Oasen. Aber generell dominieren gefällige Komödien, gerne auch aus Frankreich und mit sozialkritischen Untertönen, unaufregende Animationsfilme oder Dokus, die durchaus interessant klingen, vielleicht aber nicht nach der großen Leinwand schreien. Wer all den potentiellen Sensationen entgegenfiebert, auf die an dieser Stelle schon dringlich hingewiesen wurde, braucht noch Geduld.
Statt über diese Tatsache zu jammern, möchte ich den Post-Oscar-Durchhänger aber nutzen, um auf ein paar Juwelen hinzuweisen, die bei uns im Vorjahr leider nicht im dunklen Kinosaal funkeln durften. Auch hier scheint es müßig über die vielfältigen Gründe darüber zu reflektieren. Ein Seufzen und Kopfschütteln darf ich mir aber schon erlauben, beim Anblick der ganzen Belanglosigkeiten, die es stattdessen auf eine Startliste schafften.
Anyway, ich drücke jetzt den Euphorieknopf. Und erlaube mir hinzuweisen, dass der Großteil der folgenden Streifen schon einen Weg ins Heimkino gefunden hat oder demnächst in irgendeiner Form dort landen wird, manchmal halt nur als Importversion. Bitte borgt euch einen Beamer und riesige Leintücher aus, für den Laptop oder Tablet-Bildschirme sind diese Filme jedenfalls zu schade.
Weitere fünf Highlights, die keinen Kinostart hatten:
Die schönste Doku über einen unglaublichen Visionär
"Jodorowsky's Dune" (2013) erforscht das Universum des großen Regisseurs und nähert sich einem der potentiell aufregendsten Projekte der Filmgeschichte, das im letzten Moment scheiterte.
Der verträumteste Sofia-Coppola-Streifen, den aber ihre Nichte gedreht hat
Eine Atmosphäre zwischen Verträumtheit und Abgeklärtheit, ein herrlich einlullender Dreampop-Score, bittersüße Coming-of-Age-Gefühle: Das Highschool-Drama "Palo Alto" (2013) von Gia Coppola könnte auch von ihrer Tante Sofia stammen.
Das Apokalypse-Drama für Arthouse-Fans und "Twilight"-Freaks
Wie Australien nach dem Bankencrash aussieht, erzählt "The Rover" (2014). Statt auf Endzeit-Action á la "Mad Max" setzt der Film aber auf existentialistische Tristesse, die an Cormac McCarthys "The Road" in der sengenden Wüste erinnert. Mitten im erbarmungslosen Geschehen: Robert Pattinson, der hier sein Kommerzimage brutal exoziert.
Der ideale Film, um die Wartezeit auf ein neues David-Cronenberg-Werk zu überbrücken
Mit seinem düsteren Entführungsthriller "Prisoners" machte sich der kanadische Regisseur Denis Villeneuve einen Namen. Zuvor drehte er aber schon mit Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal das bizarre Doppelgänger-Drama "Enemy" (2013). Anleihen an Franz Kafka und die beiden Davids, Cronenberg und Lynch inklusive.
Der Film, von dem Michael Haneke noch etwas lernen kann
Nicht einmal auf der Viennale, wo viele Werke der wunderbaren Claire Denis liefen, war ihr letzter Spielfilm zu sehen. Dabei hätte dieser schleichende Kunstkrimi, der sich zu einer Studie der menschlichen Verlorenheit steigert, ein Publikum verdient. Während Michael Haneke, an den "Bastards" bisweilen erinnert, nie den aufgeklärten Oberlehrer verbergen kann, macht einem Madame Denis hier echt Angst.
Der aufregendste Science-Fiction-Film mit dem geringsten Budget: "The Signal" (2013)
Dass sich mit einer tollen Idee, einem engagierten Team und einem besessenen Regisseur auch mit wenig Geld filmische Wunder bewirken lassen, wissen wir aus der Geschichte des Low-Budget-Kinos. "The Signal" ist dann aber doch noch mal eine andere Kategorie.
Mit seinen hyperästhetisierten Bildern, die glücklicherweise auf eine originelle, wenn auch etwas verkrampft mit Twists vollgestopfte Geschichte treffen, faszinierte der kleine Sci-Fi-Thriller im Vorjahr eine US-Fangemeinde. Jungfilmer William Eubank packt Verschwörungsängste, zwischenmenschliches Drama, "X-Files"-Referenzen und den Spitzentyp Larry Fishburne in seinen Schocker um befreundete Hacker, die einem mysteriösen Phänomen auf der Spur sind.
Die schönste Komödie mit den besten Punkrock-Kindern: "We Are The Best" (2013)
Auf Lukas Moodysson kann man ganz gut vertrauen. Gerade weil man ihm nicht trauen kann. Machte sich der schwedische Regisseur anfangs mit charmanten Tragikomödien einen Namen ("Fucking Åmål") schwenkte er bald zu bestürzenden Sozialschockern ("Lilja 4-ever") und desolatem Arthouse-Porno ("A Hole In My Heart") über.
In seinem bislang letztem Film, der es ebenfalls leider nicht in heimische Kinos schaffte, kehrt der unberechenbare Moodysson zu seinen Wurzeln zurück. Und toppt die noch. "We Are The Best", im Original "Vi är bäst!" porträtiert eine Gruppe junger Stockholmer Mädchen, die in den frühen 80ern eine Punkband gründen. Der Film entpuppt sich nicht nur als lustvolle Verbeugung vor dem DIY-Prinzip und als glücklich-machender Aufruf zur weiblichen Selbstermächtigung. Selten war ein Film so wunderbar nah am Zeitgeist dieser frenetischen Ära, ohne wie eine nostalgische Kostümparty zu wirken.
Der gruseligste Horrorfilm, in dem glücklicherweise kein Geisterhaus vorkommt: "It Follows" (2014)
Ja, ich bin allergisch. Unter anderem gegen die Geisterfilmwelle der letzten Jahre mit ihren ewig knarrenden Türen, debil starrenden Puppen und absehbaren Überraschungen, die unter Kinderbetten oder in Kästen lauern. Nur mehr ermüdend finde ich dieses Hollywood’sche Erschreckungs-Repertoire und die Drehbücher nach Baukasten-Prinzip.
Da muss schon ein junger Filmemacher aus dem florierenden US-Horror-Underground kommen, um für echte Gänsehaut zu sorgen. "It Follows", bislang nur beim famosen /slash Festival vorgeführt, zeigt dem Mainstream, was im Gespenster-Terrain noch geht. Eine mysteriöse Macht, die sich mittels Sex überträgt, terrorisiert darin eine Gruppe von Highschool-Kids. Von der überzeugenden Besetzung bis zur stilsicheren Kamera und dem grandiosen 80ies-Synth-Soundtrack zieht Regisseur David Robert Mitchell alle Register. Vor allem aber: "It Follows" folgt dir als Zuseher bis in deine dunkelsten Träume hinein.
Der tollste Coen-Brothers-Film, an dem die Brüder nicht beteiligt waren: "Cold in July" (2014)
Ich hab mich in diesen Film verliebt, auf verquere Weise. Die Geschichte von einem Kleinstadtverlierer ("Dexter" Michael C. Hall mit VoKuHila in Topform), der im wahrsten Sinn des Wortes in einen Mordfall stolpert, zählt zu den absoluten Höhepunkten des Vorjahrs, die bei uns nicht im Kino anliefen. Geschrieben vom Splatterpunkautor Joe R. Lansdale und inszeniert vom Horrorprofi Jim Mickle punktet der Neo-Noir-Thriller auch mit dem grimmig guten Sam Shepard und einem wahrhaft göttlichen Auftritt von Don Johnson.
Stilistisch schließt "Cold in July", der als weiterer Film in dieser persönlichen Auswahl lustigerweise in den 80er Jahren spielt, an frühe Schlüsselwerke der Coen-Brüder an. Ohne deren Handschrift zu kopieren allerdings. Regisseur Mickle geht eigene Wege, die vom sarkastischen Redneck-Loserdrama ins Herz der Finsternis führen.
Der irrlichternde Thriller, der alle Genre-Gesetze auf den Kopf stellt: "Alleluiah" (2014)
Der belgische Regisseur Fabrice Du Welz hat einen ordentlichen Huscher. Aber das hat großen Künstlern bekanntlich noch nie geschadet, ganz im Gegenteil. Aus Genre-Versatzstücken und eigenen, im besten Sinne wirren Ideen erschafft er Filme, die voller Sex und Gewalt stecken, aber ganz und gar keine kommerziellen Pfade beschreiten. Monsieur Du Welz ist strengen Philosophen der Transgression näher als schnöden Splatterfilmern.
Sein verstörendes Meisterwerk "Alleluiah" würde ich, zusammen mit "Under The Skin" oder "Nymphomaniac", zu den besten Filmen 2014 zählen, den allerdings kaum jemand wahrgenommen hat. Inspiriert vom realen Fall der amerikanischen "Honeymoon-Killers" erzählt Fabrice Du Welz die Geschichte eines belgischen Liebespaars, das gemeinsam über Leichen geht. Den mörderischen True-Crime-Stoff verpackt er aber in einen Rausch aus grobkörnigen 16mm Bildern, ergreifenden Musikeinsätzen und Körperflüssigkeiten. Anders gesagt: Dieser Film wirkt, als ob David Lynch und Lars von Trier zusammen einen frankophilen Obsessionsschocker gedreht hätten.