Erstellt am: 28. 2. 2015 - 10:09 Uhr
Freeriden in Andorra
Andorra
Wo liegt das überhaupt? Irgendwo zwischen Spanien und Frankreich eingeklemmt, oder? In der Schule haben wir doch da mal was lesen müssen, "Andorra" - dieses Theaterstück von Max Frisch, wo’s aber gar nicht um den real existierenden Zwergstaat geht, das war eher so eine Parabel auf Fremdenhass.
Fläche: 468 km²
Einwohner: 76.098
Amtssprache: Katalanisch
Staatsform: parlamentarische Monarchie
Währung: Euro
tiefster Punkt: 840 m
höchster Punkt: Coma Pedrosa 2.946 m
Und so schön kann es dort ausschaun!
Das wirkliche Andorra ist ein winziges Fürstentum, gehört nicht zur EU und ist so wie alle Fürstentümer natürlich eine Steueroase, wo Wirtschaftskriminelle/Reiche gern hinziehen oder zumindest ihre Briefkästen aufstellen. Geographisch gesehen ist das Einzigartige an dem kleinen Land, dass es zu 100% aus Bergen besteht - den Pyrenäen.
Und weil sie fast 3.000 Meter hoch sind und die Feuchtigkeit abwechselnd vom Atlantik und vom Mittelmeer gegen die Gipfel drückt, gibt’s massig Schnee. Deshalb hat die Freeride World Tour / FWT heuer Andorra zum ersten Mal für einen Stopp ausgewählt.
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Im Landeanflug auf Barcelona hat man den Eindruck, sich in der Jahreszeit geirrt zu haben: Meer, Palmen, Strand und laut Captain 15 Grad plus. Aber hinten am Horizont sieht man die schneebedeckten Pyrenäen. Die Anreise ist weniger kompliziert als es die exotische Destination vermuten lassen würde. Alle zwei Stunden fährt ein Shuttlebus direkt vom Flughafen Barcelona in die Skiorte Andorras, Fahrtzeit ca. dreieinhalb Stunden.
Die Franzosen und Spanier kommen in Massen zum Duty Free-Shoppen und Tanken. Das erste was man sieht, wenn man über die Grenze fährt, sind ergo Shoppingcenter, Tankstellen und Banken.
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Die letzten zwei Winter waren ja sogenannte "Südwinter" und die Schneehöhen, die der Schneealarmnewsletter meines Vertrauens mir 2013 und 2014 von den Pyrenäen gemeldet hat - sagenhafte 4-8 Meter!!! - haben die Neugier auf dieses mediterrane Freeride-Eldorado in ziemliche Höhen geschraubt. Als der Bus in der Hauptstadt Andorra la Vella hält, ist davon allerdings nix zu sehen. Und da wo der aus inzwischen 150 Leuten bestehende FWT-Zirkus einquartiert ist, im Bergdorf Ordino auf 1.300 Meter Seehöhe, liegt auch nur noch im Schatten ein bisschen Altschnee rum...
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... aber hey, gleich für den Tag nach meiner Ankunft ist der Contest anberaumt! Und der Termin ist confirmed, also muss ganz oben in Vallnord-Arcalís wohl Winterwunderland sein, oder? Um das rauszufinden hirsch ich gleich mal zum Dinner ins Hotel, wo die Rider untergebracht sind. Da - in der gemütlichen Lounge mit den Wellensittichen - sitzt auch schon Österreichs größte Freeridehoffnung, der talentierte Mr. Fabi Lentsch, aber oh Schreck! Meine joviale Smalltalk-Begrüßungsformel "Hallo-Fabi-[schulterklopf]-wie-geht's-[stups]-Alles-fit-im-Schritt-bla-bla...?" mündet in eine Erklärung der soeben getroffenen, möglicherweise seine Karriere verändernden Lebensentscheidung! Damit hätte wohl niemand gerechnet:
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Beim letzten Abendmahl vor dem großen Wettkampf ist die Stimmung unter den Ridern ausgelassen wie immer und ich treffe keinen, der so wie Fabi Lentsch der Meinung wäre, das Contest Face sei zu klein, zu kurz oder biete zu wenig Optionen für eine gute Line. Tatsache ist, dass aufgrund von Stürmen die erste Wahl, also die großen pulvrigen Nordfaces, total ausgeblasen sind und daher auf ein kleineres Südost-Face ausgewichen werden muss, wo der Schnee morgens pickelhart sein wird und erst gegen Mittag durch die Sonne frühlingshafte Bedingungen zu erwarten sind. Der zweimalige FWT Champion Drew Tabke schreibt zu diesem Thema in seinem Blog vom 17. 2., dass Bigmountain Contests zu fahren eben nicht immer das reine Vergnügen sei. Allerdings seien die Bedingungen für alle gleich und somit fair.
d.carlier/FWT
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The best riders on the best mountains?
Die erste Hälfte des Slogans der FWT stimmt auf jeden Fall. Was die best faces betrifft, zeigt sich heuer nach Chamonix und Fieberbrunn in Andorra leider schon zum dritten Mal das Grundproblem, wenn man einen Sport, der erstens von Naturschnee in der richtigen Menge und Konsistenz abhängt und zweitens Ausdruck von Freiheit, Spontaneität und Individualität ist, in ein Wettkampfformat bringt: Während einzelne Freerider oder ein kleines Filmteam manchmal Tage, Wochen, Monate auf die idealen Bedingungen warten und dann spontan zuschlagen, kann der riesige Tross aus Ridern, Mountainguides, Journalisten und Kameraleuten und das große Team für die Liveübertragung eben nicht spontan dem perfekten Powder nachreisen, sondern ist auf ein vorher definiertes Zeitfenster angewiesen. Was man der FWT-Crew keinesfalls unterstellen kann ist, dass sie den Contest auch bei suboptimalen Bedingungen durchpeitschen würden - im Gegenteil: In Fieberbrunn wurde trotz strahlenden Sonnenscheins, 3.000 Besuchern in großartiger Stimmung und scheinbar perfekten Powders aus Sicherheitsgründen nach den Ski-Damen abrupt abgebrochen. Danach haben sie das unmögliche doch versucht und sind innerhalb von zwei Tagen mit Sack und Pack nach Kappl ins Paznauntal gezogen. Leider musste der Contest gleich wieder gestoppt werden, weil bereits der zweite Starter Julien Lopez eine Lawine ausgelöst hat.
Freitag, der 13. Februar - Contest Day!
Wecker auf 6:30 gestellt.
Frühstück als eingebetteter Journalist im Riders Hotel.
Jérémie Heitz - der schnellste und wohl auch schnuckligste Schweizer - kommt in Shorts, hat's offenbar nicht eilig zu den Eiern mit Speck zu kommen, sondern turtelt mit den Wellensittichen in der Lounge.
Lorraine Huber (AUT) strahlt ungewöhnlich entspannt, weil Flo Orley (AUT), der alte Haudegen, ihr bei der Auswahl der Line geholfen hat und sie mit seiner langjährigen Erfahrung auch psychologisch aufgebaut hat.
Eva Walkner (AUT), wie immer sympathisch zerknittert, hat Stöpsel in den Ohren und ist lost in music. Stefan Häusl (AUT) ist fokussiert auf seinen Run. Er frühstückt mit seinen alten schwedischen Kumpels Reine Barkered und Wille Lindberg und analysiert nochmal die Features des Contest-Faces am Handydisplay. Die Franzosen und die frankophonen Schweizer sind ein separater Tisch: Julien Lopez (FRA) ist nervös. Sagt, er müsse fast kotzen vor Anspannung. Loic Colomb-Patton (FRA), tiefenentspannter FWT Overall Champion 2014, hat die Kapuze hochgezogen und bröselt mit seinem Croissant rum. Jérémie - mit Müslischüssel in der Hand: "Bonjour Luca! - äh - Loic! Wieso schaust so verzwickt?" Loic lächelt gequält: "Hab nachts gekotzt. Bin krank. Echt scheiße..." Léo Slemett (FRA) trägt immer Baseballcap und schält ure cool eine Banane, aber nur bis Estelle Balet, die 20jährige Schweizer Snowboarderin, den ganzen Franzosentisch aufmischt mit ihren Stand-Up-Comedy-Einlagen. Was wirklich auffällt hier: Jeder hat seinen ganz spezifischen Style. Kein Einheitslook, sondern echte Charaktere. Eine große Familie, aber sehr unterschiedliche Kinder.
d.carlier/FWT
Dropping!!!!
10:00 Portella d'Arcalís. Bluebird Day. Die Sonne macht ihren Job und weicht den harten Schnee auf. Das Süd-Ost-Face ist bis zu 45 Grad steil, hat enge Couloirs und viele Felsen. Der Start liegt auf 2450m, das Ziel auf 1987m. Tom Leitner (GER) hat die undankbare Startnummer 1 und stürzt im untersten Drittel. Die anderen Rider verfolgen gespannt seinen Lauf, um so die Schneebedingungen besser einschätzen zu können. Jérémie Heitz (SUI) scheint das alles nicht zu kümmern. "Fast, fluid and steep!" ist seine Devise. Immer in der Falllinie nimmt er die steilsten Couloirs mit Highspeedturns, die wenige so sicher beherrschen wie er und übernimmt die Führung.
d.daher/FWT
Nächstes Highlight ist der Run des Spaniers Aymar Navarro, quasi ein Local hier. Er wurde unfreiwillig zum Werbeträger für ABS-Airbags durch dieses Lawinenvideo - gedreht in einem der Rekordwinter in den spanischen Pyrenäen und durchaus umstritten wegen der "heroischen" Machart, die den falschen Eindruck erweckt, mit einem Airbag seien Lawinen eh nur große Wellen, auf denen man surft. Die größten Emotionen - von Staunen über Schreie bis zu ungläubigem Lachen - löst die Line von Sam Smoothy (NZL) aus. Wie der fliegende Kiwi im extrem exponierten oberen Teil von Felsplateau zu Felsplateau (er sagt "snowpads" dazu) hüpft, dann "im Wu-Tang-Style" mit Highspeed zwischen den Cliffs durchschießt und schließlich knapp vorm Ziel fast stürzt - das muss man sich unbedingt in diesem Analysevideo vom Sieger selbst erklären lassen:
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Ski Damen
Für die Freeskierinnen ist der Druck besonders hoch - es geht um die sieben ersten Plätze in der Gesamtwertung, die zum Start beim vierten FWT-Stopp in Alaska berechtigen! Hazel Birnbaum (USA) sieht man das überhaupt nicht an. Mit offenbar gutem Sound im Helm bleibt sie locker und holt mit einem sicher ausgeführten Highspeed-Run sowie mehreren Sprüngen den ersten Platz:
Eva Walkner aus Salzburg, derzeit Trägerin des "Golden Bib", also Führende im FWT-Gesamtranking, beginnt aggressiv mit einem Sprung in der oberen Rinne, setzt ihren flüssig und selbstbewusst ausgeführten Run mit mehreren Drops im unteren Bereich fort und wird zweite. Lorraine Huber aus Lech am Arlberg (AUT) belegt Rang sieben und sichert sich auch ihr Ticket nach Haines.
Snowboard Herren
Der gepresste Schnee ist ja insbesonders für die Snowboarder nicht gerade ein Geschenk, aber der Weltmeister von 2012, Jonathan Charlet (FRA), nimmt's als Herausforderung und kassiert Gold. Einer der besten Runs seit langem gelingt dem Innsbrucker Urgestein Flo Orley (AUT). Er haut sich gleich im oberen Bereich über ein respektables Cliff und fährt dann eine beeindruckende Bigmountain-Line mit mehreren Drops. Nach Platz zwei in Arcalís trägt auch Flo bis zum nächsten Contest das goldene Trikot des FWT Gesamtführenden!
d.carlier/fwt
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Snowboard Damen
Estelle Balet (SUI), das Energiebündel mit dem komischen Talent, zeigt schon oben im steilen Bereich einen Sprung und lässt auch im verspielteren unteren Bereich kaum einen Felsen aus, um Drops und Doubles zu springen. „Ich hab' heute viel Spaß gehabt. Ich bin so gefahren, als wäre ich mit meinen Freunden unterwegs gewesen, einfach ohne Druck“, sagt Estelle im Ziel. Zweite wird Elodie Mouthon (FRA). Weltmeisterin Shannan Yates (USA) holt mit einer technischen Linie Rang drei. Und eine Halfpipe-Legende - die Olympiasiegerin von 1998! - Nicola Thost aus München, entert zum ersten Mal die Freeride World Tour und belegt bei ihrem Debut mit einem souveränen Auftritt den fünften Platz.
d.carlier/FWT
Après contest
Von der langen Nacht danach, dem rituellen T-Shirts-vom-Leib-reißen und der kollektiven Vernichtung nach gesund überstandener Competition kann ich hier leider nicht berichten. Am nächsten Tag im 10-Uhr-Skibus rauf nach Arcalís sitzt jedenfalls nur ein einziger Rider: Sam Anthamatten (SUI). Schaut ziemlich zerstört aus, will aber den Hangover nicht ausschlafen, sondern ausschwitzen mit einer kleinen Skitour.
reich
Später treff ich dann noch Lorraine und Flo. Wir fahren gemeinsam einige Couloirs und Flo zeigt mir die Schlüsselstellen der Competition nochmals aus der Nähe. Die Rider haben jetzt alle ein paar Tage Urlaub, weil der abgebrochene Contest in Fieberbrunn in Vallnord-Arcalís nachgeholt werden soll (hier wär das Replay aller Runs).
Was mir besonders getaugt hat, war dieser Wald - sind das nun Pinien? Oder schaut's hier exakt so aus wie daheim im Zillertal, wie Flo Orley meint?
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Après Ski?
Nein.
Aber Gute Nächte nur mit dem Rauschen des Bachs.
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