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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

21. 2. 2015 - 08:08

Charli XCX

Warum die Musikindustrie suckt. Und wie das im Album "Sucker" thematisiert wird. Der geheime Popstar im Industry-Talk.

Wir schreiben das Jahr 2015. Frauen haben die Pop-Charts fest im Griff. Taylor Swift, Lorde und Sia sind die Damen der Stunde. Während sich Pop-Queen Beyoncé mit der Darstellung von Emanzipation an der Oberfläche zufrieden gibt, drängt es nachfolgende Künstlerinnen wie etwa Charli XCX zu den Schalthebeln der Macht. Das neue Album der 22-jährigen Hitschreiberin (u.a. "I Love It" für Icona Pop) ist ein knallbunter Sturmlauf gegen die Mechanismen der Popindustrie mit den ästhetischen Mitteln derselben.

Charli XCX

Charli XCX

Viele Wege führen zum Pop. Wie war deiner?

Als Kid habe ich zu den Videos von Birtney Spears getanzt. Später kamen die Spice Girls dazu. Ich fand sie so cool. Mit 14 habe ich begonnen, Songs zu schreiben. Später legte ich mir ein Myspace-Profil zu. Ein Promoter schrieb mich an und ich trat zunächst auf Warehouse Raves in Hackney auf. Das war lustig. Mein Vater hat mich hingefahren und auf mich aufpasst. So richtig losgegangen ist es aber erst mit "I Love It". Das Album davor floppte.

Wie sind Icona Pop an diesen Song gekommen?

Das war ein Zufall. Ich habe Caroline und Aino von Icona Pop in Stockholm auf der Straße kennengelernt. Sie erzählten mir, was sie machen, und wir haben Telefonnummern ausgetauscht. "I Love It" habe ich ursprünglich für mich selbst geschrieben. Aber ich fand, dass der Song nicht zu mir passt. Ich habe ihn regelrecht gehasst (lacht). Mein Producer Patrik Berger hat ihn dann einfach archiviert. Icona Pop besuchten mich einige Wochen später im Studio. Patrik hat ihnen den Song vorgespielt und sie wollten das unbedingt für ihr neues Album haben. Ich sagte: Cool, warum nicht.

Zitat aus dem Text

FM4

"I Love It" wurde zum Welthit und bei dir begannen vermutlich die Telefone zu läuten?

Ja, durchaus, aber es war eher frustrierend. Die einen wollten, dass ich "so einen ähnlichen Hit" wie "I Love It" schreibe. Das fand ich eher weniger cool. Ich könnte das wohl auch gar nicht. Und dann gab es jede Menge Drama mit dem Song selbst. Erfolg kann ganz schön destruktiv sein. Vorher war alles cool und easy-going. Nachher gab es Streit wegen der Urheberrechte und alle hassten sich. Es war ein Albtraum. Dabei habe ich das Stück nicht nur geschrieben, sondern auch mitgesungen. Ich begann Pop zu hassen. Die Mechanismen dahinter sucken.

Von diesen Erlebnissen ist es nicht weit zum Titel deines neuen Albums "Sucker".

Ich vergrub mich zunächst in Gitarrenmusik, hörte viel Nirvana, die Ramones, aber auch Sachen von Weezer oder den Hives. Ich nahm dann einige Punk-Songs auf. Die waren aber so schlecht, dass ich sie nicht veröffentlichen wollte (lacht). Die originale Wut ist aber definitv ins neue Album eingeflossen. Es ist Punk-Pop for a lack of a better word. Da gibt es zum Beispiel den Titelsong mit Lines wie "You joined my club, Luke loves your stuff!" Industrieleute haben mir immer ganz hysterisch erklärt, wie sehr Dr. Luke (derzeit DER Hitfabrikant im US-Pop, u.a. Katy Perry, Rihanna und Miley Cyrus, Anm. d. A.) meine Songs mag. Gratulation! Mich interessiert es aber einen Scheiß, ob der mein Zeug gut findet oder nicht. In den Zirkeln der Popmusik gibt es so einen Gruppenzwang, die größte Kacke super zu finden. Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich will bloß mein Ding durchziehen und es rausbringen. So einfach ist das.

Ist es das? Wenn sich selbst jemand wie Björk über die noch immer sexistischen Regeln des Musikgeschäfts beschwert, muss das doch für eine Newcomerin noch schwieriger sein.

Ich strebe definitiv eine Position an, wo ich selbst die Entscheidungen treffen kann. Ich möchte meine eigene Publishing-Firma gründen, ein Label und auch andere Künstler managen. Ich weiß zwar noch nicht, ob ich jetzt schon so weit bin, aber das ist der Plan. Hut ab vor Leuten wie Jay-Z oder Simon Cowell, die das geschafft haben.

Zitat aus dem Text

FM4

Alles Männer. Auf der anderen Seite werden derzeit die Top-40s von Frauen dominiert.

Es gibt mittlerweile viele großartige Frauen, die auch Producer sind und Songs schreiben, wie Grimes, Sia und Linda Perry. Oder mächtige Frauen wie etwa Sarah Stennett, Iggy Azaleas Managerin und Julie Greenwald, die Chefin meiner US-Plattenfirma. Aber wenn es um die geschäftliche Seite geht, schaut es im Großen und Ganzen noch immer sehr traurig aus. Wenn man bei einem Treffen der Plattenfirmen aufs Damenklo geht, ist man dort noch immer allein. Das muss sich definitv ändern.

Täuscht der Eindruck, oder herrscht unter den jüngeren Frauen im Pop tatsächlich sowas wie Teamgeist? Pop lebte in der Vergangenheit immer auch von großen Rivalitäten, Stones vs. Beatles, Madonna vs. Cindy Lauper usw. Aber Lorde, Miley Cyrus, du oder Taylor Swift, ihr scheint euch alle prächtig untereinander zu verstehen.

Man merkt, dass Frauen immer besser lernen, ihre eigenen Karrieren zu kontrollieren. Dazu gehört auch, sich nicht zu dummen Storys überreden zu lassen oder wie man medial dargestellt wird. Zickenkriege sind nicht cool. Und in der Tat gibt es ein gewisses Community-Feeling unter uns. Das spiegelt sich in den zahlreichen Kollabos, wie etwa im Soundtrack zum letzten "The Hunger Games"-Film, der unter der Regie von Lorde zusammengestellt wurde (Charli XCX ist dort mit "Kingdom" vertreten, einem Duett mit Duran-Duran-Sänger Simon Le Bon, Anm. d. A.).

Wie wird man eigentlich Songschreiberin für andere?

Ich wollte das schon immer machen: mein Ding durchziehen und für andere schreiben. Mir fallen immer wieder Stücke ein, die nicht zu mir passen, die aber gut sind.

Und wie macht man das dann? Pitcht man Demos bei Labels?

No, never! (lacht). Manchmal klopfen Labels an, die einen Song für einen ihrer Artists haben wollen. Manchmal ziehe ich mich mit Freunden in ein "Writing Camp" zurück und wir probieren Sachen aus. Manchmal wenden sich auch Produzenten oder bestimmte Künstler direkt an mich. Das ist situationsabhängig.

Bei großen Popproduktionen schreiben heute viele verschiedene Komponisten an einem Song. Wie läuft das bei dir?

Ich arbeite anders. Den Song schreibe ich meistens allein. Dann kommt er zum Producer und dann feilt man noch ein wenig daran herum. Aber das serielle Fabrizieren von Hits, die ganz bestimmten Formaten folgen, wo jeder Hook vermessen und abgeklopft wird, wo man nur einzelne Lines beisteuert, das interessiert mich überhaupt nicht! Fuck that.

Warum hat es dich dann überhaupt zum Mainstream-Pop gezogen. Der orientiert sich ja seit jeher an kommerziellen Kriterien.

Ganz einfach, weil ich schon immer Pop-Musik gehört und geliebt habe. Ich fasse den Begriff aber auch etwas weiter. Für mich sind zum Beispiel Nirvana mit ihren umwerfenden Hooks oder Weezer auch Pop. Deshalb habe ich zum Beispiel Rivers Cuomo von Weezer gebeten, mit mir den Song "Hanging Around" zu machen. Deshalb finden sich auf dem Album so unterschiedliche Leute wie Ariel Pink oder die absoluten Mainstream-Produzenten Stargate.

Du hattest mit dem Song "Boom Clap" aus dem Sountrack für den Film "The Fault In Our Stars" deine erste Top-10-Platzierung in den US-Billboard-Charts. Dein größter Hit war aber "Fancy" an der Seite von Iggy Azalea. Was bekommt man eigentlich als Songschreiber für so einen Volltreffer?

(lacht) Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Alben verkaufen sich kaum noch, Singles schon. Gott sei Dank war ich bei einigen sehr erfolgreichen beteiligt. Was am Ende übrigbleibt, hängt ganz davon ab, wieviel Menschen an einem Song beteiligt waren und wie der Kuchen in Bezug auf Songwriting und Publishing aufgeteilt wird. Um daran beteiligt zu werden, muss man zum Beispiel nicht unbedingt der Urheber sein. Dann kommt es auf die Verwertungsrechte an. Wird der Song für Werbung oder Filme lizensiert und so weiter. Aber was "Fancy" betrifft: Let’s say, I’m very happy.

Zitat aus dem Text

FM4

"Break The Rules" ist so ein Song, der zum Beispiel in Deutschland sehr prominent in einer Reality-Show zum Einsatz gekommen ist.

Ehrlich, es ist ein bisschen ein zynisches Stück. Ich wollte ausprobieren, ob ich den dümmsten Popsong aller Zeiten schreiben kann, und ich glaube, das ist mir ganz gut gelungen (lacht). Das war völlig beabsichtigt. Da sollte so viel Klischee wie möglich rein. Aber die Rache folgte prompt. Seither muss ich die dümmsten Fragen beantworten: "Was bedeutet das Stück?", "Sind Sie eine Revoluzzerin?", "Wollen Sie wirklich, dass die Kids nicht mehr in die Schule gehen?" Aber das passt schon. Daran bin ich wohl selbst schuld.