Erstellt am: 23. 2. 2015 - 12:50 Uhr
Ich will mich unbeliebt machen
Mal wacht man auf und hat Lust auf Knusperzerealien, ein andernmal auf Sauerkraut und manchmal gar auf nichts. Zuweilen liegt man frühmorgens in der Hapfn und will Bäume ausreißen, am nächsten Tag wieder bloß Hecken schneiden. Und selten, aber doch soll es vorkommen, dass man schon mit den ersten Wimpernschlägen das Bedürfnis hat, sich einfach mal ein bisschen unbeliebt zu machen.
Why not, warum nicht, porque no.
mc
Ja, heute ist mir danach. Im Auge eines Shitstorms will ich stehen und mich an meiner Unpopularität weiden. Aus Spaß'n'Freud an der Abwechslung, denn zu viel Gunst macht träge.
Easy wäre es nun, mein Handytelefon aus dem Holster zu ziehen und mal schön ein paar tadelnde bis denunzierende Kurznachrichten an Freund und Feind zu senden. Doch easy will ich es mir nicht machen, Freund und Feind will ich auch nicht verlieren, nein nein nein und nochmals nein, also insgesamt viermal nein.
Vielmehr will ich mich ausschließlich kraft meiner eigenen Unzulänglichkeiten in aller Öffentlichkeit unbeliebt machen, auf dass mir Wagenladungen voller Drohbriefe vor die Haustüre gekarrt werden, alle unfrankiert, damit ich mich aus Neugier auf die böse Post gehörig verschulde.
Doch wie?
Ich könnte gestehen, dass...
- ...ich liebend gerne Fleisch esse, dessen Herkunft mir zumeist egal ist, solange es schmeckt.
- ...mir "nachhaltiger Konsum" zwar dann wichtig ist, wenn es der Gesprächspartner gerne von mir hört, mich ansonsten aber vor allem von guten Preis-Leistungs-Verhältnissen und Heißhunger leiten lasse.
- ...ich erstens alles essen kann, weil ich unter keinen Allergien oder Unverträglichkeiten leide (geschweige denn weiß, was der Unterschied zwischen Allergie und Unverträglichkeit ist) und zweitens verboten viel fressen kann, weil ich dank genetischem Jackpot und Schilddrüsenüberfunktion einfach nicht blad werde, haha!
- ...ich Müll nur trenne, damit der Mülleimer nicht immer so schnell voll ist. Vielleicht sollte ich sogar gestehen, dass ich einmal die Öffnung einer mit Frittierfett vollgefüllten Milchpackung verstopfen wollte, damit sie im Restmüll nicht ausrinnt, und dies schließlich mittels einer leeren Batterie bewerkstelligte. Nein, das gestehe ich besser nicht!
- ...ich mich politisch weder links oder rechts verorten kann. Als großer Verehrer der Demokratie und des Mittelwegs kann ich mich besser mit jedem Kompromiss als mit Ideologien identifizieren. Das mag der Grund sein, weshalb ich in meinem Leben erst auf zwei Demos war, aber gerne stundenlang Parlamentsdebatten streame.
- ...nicht studiert habe, weil ich arbeiten besser finde.
- ...ich noch nie auch nur einen Cent an Spendengeldern überwiesen habe, sondern den Zaster-Überschuss ausschließlich Freunden und Obdachlosen gebe. Die Schnittmenge ist hierbei übrigens klein.
- ...ich vollstes Vertrauen in die Schulmedizin habe und von alternativen Heilmethoden nichts wissen will.
mc
Ich könnte auch zugeben, dass...
- ...ich ausgesprochen gerne fernsehe und es sehr bedauere, derzeit keinen Fernseher zu besitzen. Am liebsten schaue ich ORF - das beruhigt und nebenbei lernt man ein bisschen was dazu.
- ...ich finde, dass der ORF seinen Bildungs- und Unterhaltungsauftrag in Funk und Fernsehen ganz gut erfüllt. (Und das auf einer orf.at-Unterseite! Nein, das gestehe ich besser auch nicht, sonst spielt es am Ende noch Granada im Forum)
- ...dass ich die spärlichen Forenbeiträge unter meinen Aufsätzen sehr verspätet oder gar nicht lese und auch nie darauf reagiere.
- ...mein Interesse für Theater, bildende Kunst, Musik-Gossip und Film recht klein ist und dass ich auch viel seltener lese, als mein pralles Bücherregal vorgibt, ich aber sehr geschickt Kompetenz vortäuschen kann.
- ...ich "religiöse Gefühle" - whatever it may be exactly - zwar akzeptiere, aber nicht respektiere, denn Respekt wäre ein bisserl gar viel verlangt für den ganzen Gott-Holler.
- ... ich nicht besonders gerne schreibe oder kreativ bin, aber eben nichts anderes kann und froh bin, dass man mir Geld dafür gibt.
- ...mir sprachliche Ästhetik zu wichtig ist, um schriftlich oder mündlich zu gendern, obwohl ich die dafürhaltenden Argumente großteils richtig finde.
- ...ich gleichzeitig leicht käuflich und eitel bin. Solange die Anonymität gewahrt ist und die Kohle stimmt, mache ich so ziemlich jeden Scheiß.
- ...mein kürzlich gekaufter Staubsauger die Energieklasse G hat.
- ...ich Hunde nicht mag.
- ...ich Katzen nicht mag.
- ...ich Kinder (mit wenigen Ausnahmen) nicht mag.
- ...ich Vorurteile gegenüber Vorarlbergern hege.
- ...ich ganz gerne und vor allem gut lüge.
Da wäre doch für jeden etwas dabei!
Doch im Rahmen des Brainstormings schwand meine Lust, mich unbeliebt zu machen. Mittlerweile möchte ich wieder geliebt und verehrt werden.
Ich werde also gar nichts zugeben und stattdessen raus gehen, um Gutes tun, auf dass ich in meiner Hood zahlreiche Likes erbeute.