Erstellt am: 23. 2. 2015 - 16:51 Uhr
Gemischtes Doppel
Alles beginnt mit Eleggua. Ohne den Segen dieser Gottheit, dem Geist allen Anfangs und Endes, kann in der Religion der westafrikanischen Yoruba und der daraus entstandenen, kubanischen Santería-Kultur kein Vorhaben gelingen. Durch ihn, der oft als wichtigster der Orishas, also der Yoruba-Gottheiten, bezeichnet wird, dringen die Anrufungen zu den anderen Göttern überhaupt erst durch, er ist Herr über das Schicksal ebenso wie der Hüter des Tors zum Glück. In der Erziehung der Zwillingsschwestern Lisa und Naomi Díaz haben Religion und Spiritualität immer eine große Rolle gespielt, und den zweistimmigen A-Cappela-Chant an Eleggua an den Beginn ihres ersten Albums zu stellen, war für sie eine Selbstverständlichkeit. Unter allen Völkern der Welt haben die Yoruba die mit Abstand höchste Zwillings-Geburtenrate, und die heiligen Zwillings-Götter Ibeyi standen für den Bandnamen der Schwestern ebenso Pate, wie sie am Ende ihres ebenfalls "Ibeyi" betitelten Debütalbums ihren eigenen Song bekommen.
Ibeyi/XL Recordings
Die Zwillings-Kultur und die Religion der Yoruba, die eigene, dreisprachige Kindheit und Jugend in Paris, die jährlichen Familienbesuche in Kuba, der frühe Tod des Vaters Miguel Angá Díaz, legendärer Percussionist des Buena Vista Social Club, der spätere Verlust der älteren Schwester Yanira, die unterschiedlichen Charaktereigenschaften der beiden Protagonistinnen: Ibeyi, die Band, ist wie ein Kaleidoskop, das all diese unterschiedlichen Wurzeln und Einflüsse bündelt, ein Projekt als absoluter Gegenentwurf zum Popstar als Kunstfigur.
Wenn man mit Lisa und Naomi Díaz ein Interview führt, rufen sie von ihrem privaten Skype-Account an, sie winken in die Webcam, kichern, wippen mit dem Fuß, fallen einander ins Wort und vervollständigen die Sätze der Anderen. Von den erlittenen Verlusten in ihrer Familie erzählen sie ebenso offen, wie sie auf Platte in mehreren Liedern davon singen: "The man is gone and Mama says there is no life without him". Sie bekommen aber auch leuchtende Augen beim Sprechen über die heilende Kraft von Musik. Singen als Trost, Trommeln als Therapie, Songs als Denkmäler für verlorene Seelenverwandte, Konzerte als verbindende Ereignisse mit dem Publikum. Man glaubt es ihnen.
Lisa, die ruhigere der beiden Schwestern, deren Stimme den Gutteil der Songs trägt, nennt Nina Simone und Billie Holiday als Vorbilder und zeigt sich fasziniert und verwirrt vom Tour- und Promotrubel rund um den Release des Albums. Naomi, Partygirl laut Eigendefinition, Erykah Badu- wie Kendrick Lamar-Fan und verantwortlich für Beats und Produktion der Platte, sagt dazu lachend und eine Spur lauter: "Ich war immer so viel unterwegs, mein Leben ist jetzt eigentlich ruhiger als vorher." Die gemeinsamen Songs werden von genau diesen Gegensätzen in den Charakteren der Schwestern im Gleichgewicht gehalten, Pop, Jazz und Soul, traditionelle Chants und elektronische Beats, sanftes Sampling, unbegleitete Zweistimmigkeit.
Dass soviel Authentizität und Gefühl, Stilmixtur und Aufgreifen von Ideen nicht zum gefühligen Mischmasch oder aufdringlichen Gerede über Realness wird, ist das große, große Kunststück von Ibeyi. Bei aller Spiritualität und persönlichen Verbundenheit mit den Geschichen ihrer Musik ist es ein Projekt der Zwischentöne. Stimme und Klavierspiel bleiben in ihrer Melancholie unaufgeregt und sanft, die von elektronischen Songwriting-Grenzgängern wie James Blake inspirierten Produktionen loten punktgenau den Bereich zwischen Eingängigkeit und Sprödheit aus. Dazwischen ist Luft zum Atmen, Mut zur Pause und Raum für eigene Gedanken: Popmusik als Ausdruck von Gefühlen ebenso wie als Projektionsfläche für ebendiese. Eleggua lächelt vermutlich.