Erstellt am: 12. 3. 2015 - 12:42 Uhr
Wie hältst du's mit der Monogamie?
Nora und Paul sind ein Paar. Sie, Anfang 20, spielt eine Nebenrolle in einer biederen Vorabendserie. Er, Ende 20, studiert Kunst, nimmt sich selbst und den ganzen Galeriezirkus aber nicht besonders wichtig.
Die beiden lieben einander aufrichtig, nur im Bett ist Nora langweilig. Mit der Zeit fügen daher sexuelle Verlockungen ihrerseits und das Auftauchen einer magersüchtigen Ex-Freundin seinerseits dem Beziehungsglück der beiden Brüche zu. Zwischen gemeinsamem DVD-Schauen und Babynamen-Suchen geht Nora in Gedanken fremd und erörtert Vor- und Nachteile der Monogamie. Die ständige Selbstreflexion nervt sie zwar, lassen kann sie es aber auch nicht:
Ich muss mir eben eingestehen, dass ich viel über Männer nachdenke - und Beziehungen und Sex und all das. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit nimmt das Denken darüber weitaus mehr Raum in meinem Gehirn ein, als es das Theater tut, oder die Kunst, oder die deutsche Waffenindustrie. Ob mir und meinem erwünschten Selbstbild das nun passt oder nicht.
Phänomen Shooting Star
Phasenweise gehe es ihr genauso, sagt die Autorin dieser Zeilen, Rebecca Martin. Wenn man mitten drin stecke, sei dem Nachdenken über Beziehungen und Sex schwer zu entkommen. Warum also nicht gleich darüber schreiben.
© Jacintha Nolte
Rebecca Martin wurde 1990 in Berlin geboren. 2008 Veröffentlichung des Romans "Frühling und so", 2009 Abitur. Ausbildung zur Werbetexterin an der Texterschmiede Hamburg. Im Sommer 2012 erschien der zweite Roman "Und alle so yeah" im DuMont Buchverlag. Seit September 2013 Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.
Mit 18, noch vor ihrem Abitur, hat Rebecca Martin ihren ersten Roman geschrieben, der vom Dasein als Teenager in Berlin und viel Sex erzählt. Mit 22 folgte ihr zweites Buch über Zukunftsängste und den Druck, erwachsen zu werden. Heute ist sie 24 und ihr dritter Roman handelt nun von der ersten ernsthaften Beziehung nach der ersten ernsthaften Beziehung.
Für die Medien ist so eine Biographie natürlich ein gefundenes Fressen. Immer wieder heißt es, ihre Literatur beschreibe das Lebensgefühl einer Generation, sie repräsentiere vor allem Frauen um die 20 und das Zeit Magazin hat sie sich prompt als hippe Kolumnistin geangelt, die neue gesellschaftliche Trends wie die Polyamorie kommentiert. Rebecca Martin hat diese Rolle zunächst als großen Druck empfunden. Mittlerweile kann sie gut damit umgehen:
"Dieses Generationsding ist einfach so ein Label, das man aufgedrückt bekommt. Es hat natürlich irgendwo eine Berechtigung, denn meine Bücher bilden etwas ab, das die Leute selber kennen und das ist ja auch schön. Ich glaube aber, dass es eigentlich nur dafür spricht, dass ich in dieser Hinsicht ein sehr durchschnittliches Leben führe und eine Weltsicht habe, die viele andere teilen."
Dumont Verlag
Luxusprobleme
Das zweite große Thema in Rebecca Martins Roman ist die berufliche Selbstverwirklichung junger Frauen beziehungsweise herauszufinden, was man aus seinem Leben eigentlich machen will. Junge Frauen, sagt die beste Freundin der Protagonistin im Buch, hätten es vor allem deswegen schwer, weil sie alles haben könnten:
Wenn man halbwegs gut aussehe und nicht gerade strunzdoof sei, bekomme man als junge Frau die coolen WG-Zimmer, die begehrten Jobs, die guten Männer. Man komme immer an den Türstehern der Clubs vorbei und bekomme in der Strandbar einen Rabatt, man bekomme die guten Noten und die sexuellen Abenteuer, man bekomme die Komplimente; und wenn man nicht gerade vorhabe, im nächsten Jahr schwanger zu werden, bekomme man auch die Beförderung. Was für die Überflussgesellschaft gelte, gelte besonders für junge Frauen. Kein Wunder, dass wir uns nie zufriedengeben können.
Der Perfektionsanspruch in Beziehung und Karriere und das Überangebot an potentiellen Lebensentwürfen mögen Luxusprobleme sein. Aus gewöhnlichen Selbstzweifeln Kapital zu schlagen, ist auch nicht neu. All dessen ist sich die Autorin sehr bewusst - nicht zuletzt, weil etliche Userkommentare unter ihren Artikeln unermüdlich darauf hinweisen.
Auf der anderen Seite portraitiert Rebecca Martin unkitschig, ehrlich und sympathisch ihr ganz normales Bobo-Leben. Da macht es auch nichts, wenn man manchen Dialogen ihre Drehbuchambitionen vielleicht doch etwas zu sehr anmerkt.
Insgesamt bietet "Nacktschnecken" jedenfalls weitaus mehr Identifikationspotential für Mittzwanzigerinnen als das gehypte Lena-Dunham-Universum und alle Fifty-Shades-of-Grey-Fantasien zusammen.