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Sophie Strohmeier Philadelphia

Film, Film, Film

18. 2. 2015 - 18:00

"... wipe the blood off my drums!"

Whiplash, ein Treffen zwischen Jazz- und Actionfilm.

Dort, wo sich Musikfilm, Tanzfilm und Actionthriller kreuzen, gibt es die manchmal belächelte Kategorie des "Performing Arts"-Films. Zu dieser Sorte gehören Ballettschinken wie Center Stage (2000) und dessen noch viel bösere Schwester Black Swan (2010), moralische Fabeln über die zerstörerische und zugleich inspirierende Kraft der Ambition. Die TV-Serien-Äquivalenz wäre das rabiate Glee (2009-) mit seinen nimmersatten ruhmsüchtigen Sternchen und seiner Oberschurkin, dem menschlichen Vulkan verbaler Peitschenhiebe Sue Sylvester.

Ähnlich wortgewaltig und fies wie Sue, mit einer bellenden Urgemeinheit, die an Sargeant Hartman in Full Metal Jacket (1987) herankommt, betritt nun ein neuer Schurke das Firmament der großen Meanies, Bullies und Bad Guys der Filmgeschichte: Terence Fletcher (J.K. Simmons), Jazzdirigent und Tyrann.

Der Künstler, der Blut schwitzt

Andrew Neiman (Miles Teller) ist Schlagwerkstudent am fiktiven New Yorker Jazzkonservatorium Shaffer. Zu Beginn wissen wir wenig über ihn: Andrew sagt kaum etwas, denn er hat keine Freunde. Manchmal geht er mit seinem Vater ins Kino. Sein ganzer Körper scheint unter Spannung zu stehen: Bewegungen sind schnell und Augen zucken, sein Knie bebt. Wenn die Kamera so nahe an Tellers Gesicht hängt, kann der Zuschauer die kleinen Narben und feuchten Poren in seinem Gesicht beobachten; es ist verlockend, diese Zeugnisse von Andrews Körperlichkeit mit den Geschehnissen des Films in Verbindung zu bringen.

Whiplash Film Still: Andrew Neiman am Schlagwerk

Sony Pictures

Die Einsamkeit des Jazzmusikers vor seinem Schlagzeug

Andrews Jazzwelt ist eine, in der musikalisches Genie mathematisch bewiesen ist. So übt er wie ein Hund, um in Terence Fletchers Jazzorchester aufgenommen zu werden. Andrew ist getrieben und berechnend - Fletcher nimmt ihn innerhalb kürzester Zeit in sein Orchester auf, und hier beginnen Andrews Tortur und Kampf. Da, wo Andrew sich nach musikalischem Genie, nach einem romantischen Auserwählt-Sein sehnt, ist Fletcher ein Dichter der kreativen Gemeinheit und des Bösen. Immer mehr isoliert sich Andrew von seiner Außenwelt, gibt jegliche menschliche Verbindung auf und geht an immer grauslichere Grenzen, um an sein künstlerisches Ideal zu kommen.

JK Simmons als Terence Fletcher in Whiplash

Sony Pictures

J.K. Simmons als der furchteinflößende Fletcher

Wie alt ist unsere so tief sitzende Ansicht, dass großes Leid zur Vollendung führen soll? So gesehen ist Whiplash ein tiefreligiöser oder mythischer Film, sado-masochistischer als ein gewisser anderer Blockbuster, der gerade in den Kinos läuft (und damit der umso schönere Liebesfilm, vielleicht?). Für den Zuschauer ist es ein Genuss, den Machtkampf zwischen Andrew und Fletcher zu beobachten. Andrews Martyrium in der Jazzmusik ist eine erträglichere Passion Christi, denn das glänzende Himmelreich pulsiert zu den Klängen eines Jazz-Standards von Duke Ellington.

Filmstill aus Whiplash - eine blutige Trommel

Sony Pictures

“those single-tear-people”

J.K. Simmons ist als Fletcher so verdammt gut, dass er schon fast zu gut ist; wenn er für diese Rolle nicht den Oscar gewinnt, dann ess’ ich eine Monsterpackung Popcorn mit Milk Duds. Wenn Fletcher den Raum betritt, windet sich der Zuschauer vor lauter Anspannung und Hass bereits in seinem Kinosessel. Simmons kommt eigentlich von der Musik - ursprünglich studierte er Komposition, Dirigieren und Gesang - und suhlt sich also in seinem Metier als fieser Schurke, Charakterdarsteller und Dirigent.

Filmstill Whiplash

Sony Pictures

Damien Chazelle, der erst 30-jährige Regisseur, hat seine Wurzeln ebenfalls in der Musik. Sein erster Film, das kleine, feine Musical Guy and Madeline on a Park Bench (2009) ist stilistisch das absolute Gegenteil zu Whiplash und erinnert an eine Kreuzung zwischen Jacques Demy und John Cassavetes. Whiplash basiert auf Chazelles eigener Biographie, und zwar an Chazelles Zeit in seiner High School Big Band.

Whiplash läuft ab 20. Februar im Kino.

Insofern ist Whiplash eher ein Film über Macht und Ehrgeiz als über Musik an sich; zwar wird im Schnitt mit Rhythmus und Tempo gespielt, aber an sich bietet Whiplash wenig Gedanken zu der eigentlichen Natur von Jazz und Orchestern. Vor allem ist der Film spannend, aufregend und hält eine ordentliche Portion Katharsis für alle bereit, die sich jemals über einen Lehrer, Coach oder das eigene Ungenügen geärgert haben.