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Simon Welebil

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18. 2. 2015 - 16:47

"Wer ist der Vater?"

Der bosnisch-kroatische Autor Miljenko Jergović versucht, die fragilen Identitäten in Ex-Jugoslawien nachzuzeichnen.

"Man muss nach vorn schauen." Mit dieser Phrase weiß Miljenko Jergović nichts anzufangen, im Gegenteil, durch diese Phrase fühlt er sich schuldig. Denn Gesellschaften und Menschen, die nach vorne schauen, würden heroische Vergangenheiten erfinden, in der es auf der eigenen Seite nur Helden und Opfer gibt und auf der Gegenseite nur Verbrecher.

Miljenko Jergović hat diese Phrase vom "Nachvorneschauen" oft gehört, in Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten. Er schaut lieber zurück, denn "nur in der Vergangenheit lässt sich lösen, was in der Vergangenheit geschah", und in Jugoslawien ist einiges geschehen. Im Kleinen spiegeln sich die Geschehnisse in Jugoslawien auch in Jergovićs Familie wider.

Buchcover: Miljenko Jergovic - Vater

Schöffling und Co

Brigitte Döbert hat "Vater" von Miljenko Jergović aus dem Kroatischen übersetzt. Der Essay ist bei Schöffling & Co. erschienen.

Der Zweite Weltkrieg ist der Ausgangspunkt für Jergovićs Rückblick: In Jugoslawien tobt nicht nur ein Befreiungs- sondern auch ein Bürgerkrieg, in dem auf der einen Seite die kommunistischen PartisanInnen, auf der anderen die kroatischen, faschistischen Ustascha stehen. Jergovićs Familie steht auf beiden Seiten. Der Vater wird im letzten Kriegsjahr von Partisanen zwangsrekrutiert, die Großmutter ist glühende Kroatin und fanatisierte Anhängerin der Ustascha, die JüdInnen, SerbInnen und Roma ins KZ schicken. Sie kann es ihr Leben lang nicht überwinden, dass ihr Sohn im Krieg seine Nation und seinen Gott verraten habe.

So wie die Familie durch die Ereignisse des Krieges gespalten wird, wird es auch die Gesellschaft, und auch sie kann diese Gräben nicht überwinden, sondern nur unzureichend zudecken. Sie brechen immer wieder auf. Wenn sich der Vater bei Polizeiverhören etwa für das Verhalten seiner Verwandten während des Krieges rechtfertigen oder Miljenko selber vor der Polizei seine richtige Gesinnung beweisen muss.

In den 1990ern, mit den Jugoslawienkriegen drehen sich die Machtverhältnisse in Sarajevo, doch die Ungerechtigkeiten bleiben. Während für Miljenko Jergović seine Familiengeschichte Anlass ist, Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit zu übernehmen, ist es das für das offizielle Kroatien, seine neue Heimat, nicht. Bis heute nicht. Stattdessen würden sie Kriegstote miteinander aufrechnen, mit der Hoffnung, dem ehemaligen Kriegsgegner das Etikett Genozid umzuhängen um sich selber von allen Kriegsverbrechen frei zu sprechen. Nur schade, dass die Messlatte für Genozid jetzt doch sehr hoch hänge.

Miljenko Jergović kann auch anders, großartig erzählen nämlich. Zum Beispiel in "Freelander"

Miljenko Jergovic bewegt sich in weiten Kreisen um seine Familiengeschichte, greift hier und da eine Episode heraus, die einen Einblick in den Alltag im sozialistischen Jugoslawien bietet oder die metaphorisch auf das Schicksal des Staates verweist. Er sucht in der Biographie seines Vaters nach dem, was seine Identität ausmacht, Religion, Sprache, Beruf, Freunde, Beziehungen, um letztlich auch zu seiner eigenen Identität zu finden.

So schafft Jergović ein Verständnis für die Ursachen des Scheiterns Jugoslawiens und die Kriege, die sein Ende besiegelt haben. Leserinnen, die wenig von der Geschichte und den Personen Jugoslawiens wissen, lässt Jergović jedoch oft alleine. Er philosophiert viel, erklärt jedoch wenig. Vor allem aber vergisst er aufs Erzählen, sodass man über „Vater“ sagen muss: interessante Thesen, wenig Unterhaltung.