Erstellt am: 16. 2. 2015 - 15:51 Uhr
"Kein Schritt zurück"
Beim Treffen der Euro-Finanzminister heute Nachmittag in Brüssel versucht die griechische Regierung eine Einigung mit ihren Gläubigern zu finden. Athen zeigt Kompromissbereitschaft, lehnt jedoch das bisherige Hilfsprogramm ab und will mit den europäischen Partnern ein "Überbrückungsprogramm" aushandeln.
In aktuellen Umfragen hat die Regierung für ihr Vorgehen die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite. Am Sonntag haben an mehreren Orten Griechenlands, aber auch an anderen Orten weltweit, Protestaktionen gegen die Sparpolitik der EU stattgefunden. Am Syntagmaplatz vor dem Parlament in Athen haben sogar Menschen protestiert die die Regierungsparteien nicht gewählt haben.
Wilkens
Eine von ihnen ist Ioanna, eine 45-jährige Beamtin. Sie hat bei den Wahlen für eine kleine Partei gestimmt. Trotzdem hat sie sich entschieden, an diesen Protesten teilzunehmen, um die Regierung zu unterstützen. Für sie ist eine Einheit unter den Bürgern wichtig. Wenn die Bürger vereint sind und gerechte Forderungen haben, um überleben zu können, werden sie am Ende gewinnen, meint Ioanna. "Ich habe nicht das Linksbündnis Syriza gewählt, aber ich unterstütze die Regierung, weil ich sehe, dass sie sich bei den Verhandlungen anstrengt. Es geht hier nicht um Ideologien. Sondern nur um das Überleben."
Mit ihr protestieren hunderte Menschen jeden Alters friedlich. Dutzende Plakate und Banner schweben in der Luft. "Europäer vereint. Kein Schritt zurück" steht auf einem von ihnen. Die Bürger seien hierher gekommen, um selbst Verantwortung zu übernehmen, um nicht alles der Regierung zu überlassen, hört man im Lautsprecher von einer Frauenstimme.
In einer aktuellen Umfrage des Meinungsinstituts Marc bewerten mehr als 80 Prozent der Bevölkerung die ersten Tage der Regierung als positiv. Das Linksbündnis Syriza, das die Regierungskoalition führt, hat bei dieser Umfrage mit 45,4 Prozent einen sehr großen Vorsprung vor der konservativen Nea Demokratia (18,4 Prozent).
Anastasia hat eine große griechische Fahne um ihre Schulter gewickelt und schaut hoffungsvoll in Richtung Parlament. Sie wählte früher Nea Demokratia, die den von den Gläubigern geforderten Sparkurs umsetzte. Nun hat sie Ende Januar für das Linksbündnis Syriza gestimmt. Die junge Frau ist seit drei Jahren arbeitslos. Sie ist hier, um Solidarität für die Regierung zu demonstrieren und fordert eine andere Politik nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa: “Diese Politik muss eingestellt werden. In diesem Moment geht es mir nicht so sehr um die Verhandlungen. Das, was wichtig ist, ist, dass wir alle hier vereint sind!“, sagt sie enthusiastisch.
Aus den Lautsprechern hört man die Nationalhymne. Manche Demonstranten singen mit, mit Tränen in den Augen. Der Rentner Dimitris ist in diesem Moment auch emotional bewegt. Er nimmt an diesem Protest teil, obwohl er bei den Wahlen eine Partei gewählt hat, die den Sparkurs unterstützt. "Ich bin hier, um die Regierung zu unterstützen, die um unsere Rechte kämpft. Es wird schwierig sein bei den Verhandlungen, aber ich glaube, diese Regierung wird es besser haben als die vorige." Seine Schwester Petrini steht neben ihm. Auch sie hat bei den Wahlen nicht für die Linke gestimmt. Sie ist zufrieden damit, dass die neue Regierung viel mehr Verhandlungsstärke zeigt als die vorige. "Wenn jemand immer Ja sagt und nie Nein, kann man nichts erreichen. Man muss auch in der Lage sein, Nein zu sagen, und vielleicht erreichen wir etwas!"
Beobachter in Athen gehen davon aus, dass Abweichungen von den Wahlversprechen von den Bürgern viel leichter akzeptiert werden können, gerade weil die Regierung sehr hohes und in der modernen politischen Geschichte Griechenlands einmaliges Vertrauen genießt.
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Die Zeit wird knapp, denn am 18. Februar laufen die sogenannten ELA (Emergency Liquidity Assistance)-Hilfen für die griechischen Banken aus. Am Mittwoch muss die Europäische Zentralbank (EZB) entscheiden, ob sie diese Hilfe weiter verlängert, was nicht auszuschließen ist.
Aus Angst vor den Folgen eines Scheiterns der Verhandlungen heben viele GriechInnen ihr Geld ab. Laut Medienberichten jeden Tag 200 bis 300 Millionen Euro. Am 28. Februar läuft das zweite Hilfsprogramm aus, das im Dezember wegen der anstehenden Wahlen um zwei Monaten verlängert worden ist. Ab 1. März ist dann Griechenland auf neue Hilfe angewiesen, sonst droht eine Staatspleite.
Am Wochenende haben Gespräche zwischen Vertretern der griechischen Regierung und Vertretern der Kreditgeber stattgefunden. In Brüssel heißt es, die Vorstellungen beider Seiten seien sehr unterschiedlich, die Chancen, bei den heutigen Treffen eine Vereinbarung zu erzielen, sehr gering.
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Athen ist bereit, 70 Prozent der bisherigen Reformverpflichtungen zu erfüllen. Den Rest will es mit Reformen gleicher Wirkung ersetzen. Als "rote Linie" gelten dabei die Arbeitnehmerrechte, die Privatisierungen und die Höhe des Primärüberschusses.
Tsipras kündigte vorige Woche an, dass Griechenland mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Reformvereinbarung abschließen wird. Während Berlin und die anderen EU-Partner auf dem vereinbarten Programms mit Griechenland beharren, will Tsipras mit den europäischen Partnern ein “Überbrückungsprogramm“ aushandeln, das Griechenland zu einem neuen “sozialen Vertrag“ in sechs Monaten führen wird. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble warf am Montag der neuen griechischen Regierung vor, "ziemlich unverantwortlich" zu handeln. Auch Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling forderte die griechische Regierung zum Einlenken auf: "Wir haben von Anfang an gesagt, der Ball liegt bei den Griechen", so Schelling.
Ioanna, eine weitere arbeitslose Demonstrantin nimmt an den Protesten in Athen teil, obwohl sie merkt, dass unter dem Druck der EU-Partner die Regierung langsam von ihren Wahlversprechen einer Streichung der Schulden und einem Ende der Sparpolitik abweicht. Das sei eben der Preis, wenn Griechenland in der Eurozone bleiben will, meint sie: "Die Eurozone ist jetzt wie ein Gefängnis für uns. Das einzige, was wir erhoffen können, ist, dass sie in diesem 'Gefängnis' volksfreundliche Maßnahmen umsetzen werden."