Erstellt am: 15. 2. 2015 - 16:57 Uhr
Gott ist ein Turnschuh
Konsumkritik und Markenfetischismus, Älterwerden, aus den Trends rauswachsen und ungebremste Euphorie für den Dancefloor. Im Mai erscheint unter dem Namen "Why Make Sense?" das sechste Album von Hot Chip, auf der Vorabsingle verschränken die biegsamen englischen Interdisziplinär-Popper mühelos mehrere Ebenen. Und zwar in textlicher Hinsicht. Dass in der Musik von Hot Chip so ziemlich alles locker und imitationswürdig zusammenkommt, von Disco, über Soul, Synthiepop und Folk hin zu allen möglichen elektronischen Clubdisziplinen, wissen wir.
Leitmotiv und Titelspender von "Huarache Lights" ist ein Turnschuh. Das Lied über den Schuh hat in der Musikgeschichte eine zwar schmale, doch nicht unerhebliche Tradition. Carl Perkins und Elvis Presley haben in "Blue Suede Shoes" ihr steiles Schuhwerk zum unantastbaren Götzen erklärt, KC and the Sunshine Band sangen von den "Boogie Shoes", die Arctic Monkeys von den "Dancing Shoes". Die New Yorker Hardcoreband Madball hat einen Song "Doc Marten Stomp" genannt, vor allem im Rap und HipHop wird bekanntlich gern das Logo als Statussymbol hochgehalten: Von "My Adidas" von RUN DMC über Nellys "Air Force Ones " hin zu "Vans" von The Pack.
Quer durch die Subkulturen und musikalischen Tribes, Punks, Goths, HipHopper, Indierocker und Clubkids, selbst wenn man in Sachen Kleidung den Markenwahnsinn von sich geworfen haben sollte und sich nach DIY-und Second-Hand-Manier modelliert - bei den Schuhen müssen dann meistens doch noch gewisse Qualitätskriterien aufrecht erhalten werden. Zerfetzte No-Name-Jeans, sicher, aber falsche Converse dürfen's nicht sein.
Steve Gullick
Dass unser geiler Luxus zu menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt und an unsere Körper transportiert wird, verdrängen wir im Dienste der Hipness ein bisschen gerne. Die Goldenen Zitronen setzen in ihrem großartigen Stück "Wenn ich ein Turnschuh wär" Güter- und Flüchtlingsströme in Beziehung und Deichkind haben das Verhältnis zwischen schlechtem Gewissen, Veränderungswillen und dem schönen Kitzel des Konsums - auch ausdrücklich im Zusammenhang mit neuen Sneakers - bekanntlich auf einen knappen, weltberühmten Slogan gebracht.
Der "Huarache", von dem Hot Chip nun singen, ist ursprünglich eine mexikanische Ledersandale, die sich in den 60ern vor allem bei kalifornischen Hippies großer Beliebtheit erfreute. Die Beach Boys sangen von den "Huaraches", der fertige Held in Thomas Pynchons "Inherent Vice" trägt sie. Das Schlachtschiff Nike hat den Namen übernommen und Anfang der 90er den Nike Air Max Huarache ersonnen, der seinerzeit mit seinem sockenähnlichen Innenschuh den Fußmarkt revolutionieren sollte. Ein Modell zwischen Sportbetätigung, Clubkultur und Normcore - so auch ein geeignetes Thema für die Band Hot Chip.
Frontmann Alexis Taylor singt mit gewohnt dünnem Falsett von den gerade wieder im Aufwind befindlichen Huarache Lights: Das "Light", das im Originalzusammenhang freilich die Leichtigkeit meint, münzt er auf die Bedeutung "Lichter" um, nämlich die des Dancefloors, des Nachtlebens. Der Sneaker - nach wie vor ein Emblem der Clubkultur.
Taylor weiß, dass es also doch wieder eine gute Party werden könnte: "I know every single / We play tonight / Will make the people / Just bathe in the light". Gleichzeitig ist unser Erzähler reifer und erwachsen geworden, brennt nicht mehr unbedingt darauf, den Draht zu allen Jugendkulturmoden am Glühen zu halten: "Am I so truthful / Or in truth / Is the youth just getting old?" Er weiß, dass er derjenige ist, der älter geworden ist.
Der andere Aspekt des Songs "Huarache Lights" ist die Durchtechnologisierung und -automatisierung aller Lebensbereiche, von Produktionsabläufen jeglicher Art, sei es Tanzmusik, sei es Turnschuh. Every Day Robots. "Machines are great, but / Best when they come to life / You can burn your finger on / The pulse of the light", heißt es da, und später: "Replace us with the things that do the job better".
Dazu samplet das Stück recht ausführlich den Song "Let No Man Put Asunder" der Disco- und Soul-Gruppe First Choice. Ein Song, der das Nachtleben, den Überschwang, die Körperlichkeit, die Liebe feiert - "I got something for your mind, your body and your soul" - gleichzeitig vehement davon kündet, dass man sich eben nicht von den Umständen unterkriegen lassen soll.
Reichlich Ballast, verpackt in einen schlank gebauten Dancetrack, der von seiner stetigen Vorwärtsbewegung lebt und dann auch noch Autotune- und Robot-Voice-Quatsch auffährt. Es gibt keinen Refrain, bloß ein Weiterkommen, das sich nicht verhindern lässt. In "Huarache Lights" schillern die Unvereinbarkeiten des Lebens, man kann aber auch bloß dazu tanzen. An unseren Schuhen wollen und müssen wir uns erkennen.