Erstellt am: 15. 2. 2015 - 19:00 Uhr
Nur lückenhafte Terrorismusdaten für Europol
Die mit großer Mehrheit verabschiedete Resolution des EU-Parlaments zur Terrorbekämpfung ist am Mittwoch nach demselben Muster verlaufen, wie die Einführung der Vorratsdatenspeicherung 2006. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte dem Antrag zu, der auch die anlasslose Speicherung von Flugpassagierdaten (PNR) enthält. Wie 2006 hatte ein einziger Terroranschlag genügt, um eine Minderheitsposition im Parlament in eine satte Mehrheit zu verwandeln.
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APA/HERBERT NEUBAUER
Update 16. Februar 12.00
Ein Statement des Innenministeriums wurde weiter unten in den Text eingefügt
Dieselben Innen- und Justizminister, die diese neue Datensammlung ultimativ im Rat verlangt haben, liefern allerdings selbst zum Teil keine oder grob unvollständige Daten über Terrorverdächtige nach Brüssel, obwohl sie durch einen Ministerratsbeschluss von 2005 dazu verpflichtet sind. Laut Resolution des Parlaments werden Europol und Eurojust aktuell von europäischen Justiz- und Innenministerien nur etwa die Hälfte aller Fälle von Terrorismus und organisierter Kriminalität gemeldet. Diese Maßnahme, die ein koordiniertes Vorgehen gegen Terroristen ermöglichen sollte, wurde also zehn Jahre nach ihrem Beschluss noch immer nicht umgesetzt.
Keine Zahlen von Eurojust und Europol
Die Pläne für eine Sammlung aller EU-Passagierdaten wurden vom Ministerrat bereits im April 2011 beschlossen. Einwände der eigenen Rechtsabteilung wurden dabei ignoriert.
Wörtlich heißt es in Recital 23 der parlamentarischen Resolution: Das Parlament "merkt an, dass nur 50 Prozent der Informationen über Terrorismus und Organisierte Kriminalität von den Mitgliedsstaaten an Europol und Eurojust weitergegeben werden." Auch aus mehreren anderen Passagen dieses Beschlusses geht klar hervor, dass es mit der Informationspolitik der nationalen Innen- und Justizministerien gegenüber Brüssel im Argen liegt.
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Die Meldepflicht basiert auf Artikel zwei des Ministerratsbeschlusses vom 20. September 2005 (2005/671/JHA) sowie Artikel 13 des Ratsbeschlusses über Eurojust zum Informationsaustausch bei Straftaten mit terroristischem Hintergrund. Darauf verwies man auf Anfrage von ORF.at auch bei Eurojust, ansonsten bedauerte man, dazu keine Zahlen liefern zu können und empfahl eine Anfrage bei den Mitgliedsstaaten.
Zwei Jahre nach dem Ratsbeschluss zu PNR-Daten, im April 2013, wurden diese Pläne im zuständigen Ausschuss des Parlaments abgelehnt und an die Kommission zurückverwiesen
Europol wiederum verwies darauf, dass Europol-Direktor Rob Wainwright jüngst beim Gipfel Riga erneut "effizientere grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Informationsaustausch für die Bekämpfung des Terrorismus" gefordert und die Mitgliedsstaaten aufgerufen hatte, die Ressourcen von Europol auch umfassend zu nützen.
Keine Zahlen von BMJ und BMI
Doch auch hier wollte man keine Zahlen nennen, wie auch das österreichische Justizministerium auf Anfrage bedauerte. Staatsanwaltschaften und Gerichte seien verpflichtet, solche Fälle bei der österreichischen Eurojust-Anlaufstelle für Terrorismusfragen zu melden, von wo sie dann nach Brüssel gingen. Da die Daten also nicht vom BMJ geliefert würden, könnte deren "Vollständigkeit vom BMJ in Kürze nicht beurteilt werden, dazu bedürfte es umfangreicher Erhebungen."
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APA / Georg Hochmuth
Daten zur organisierten Kriminalität wiederum seien vom BMI und seinen Dienstellen zu liefern. Eine diesbezügliche Anfrage von ORF.at im Innenministerium wurde nach Redaktionsschluss dieses Artikels so beantwortet: "Grundsätzlich werden alle relevanten Daten an Europol geliefert." Weitere Informationen gab es nicht. Das BMJ hat also keinen Überblick, was aus Österreich gemeldet wird und was nicht, BMI sagt es würden alle relevanten Daten weitergegeben, wieviele Fälle das pro Jahr sind, weiß man nicht oder will es nicht sagen.
"Routinemäßig und systematisch"
In der Parlamentsresolution am Mittwoch finden sich noch weitere Passagen zu diesem Thema, die Rückschlüsse zulassen. Wenn in Recital 24 etwa gefordert wird, dass die "nationalen Behörden Europol routinemäßig und systematisch mit relevanten Daten" beliefern (Rec. 24), so heißt das, die Daten werden bis nicht regelmäßig und unsystematisch geliefert.
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Public Domain
In Recital 22 werden Kommission und Rat dazu aufgefordert, eine "umfassende Evaluierung des EU-Maßnahmenkatalogs gegen Terrorismus durchzuführen", vor allem was dessen Implementierung in nationales Recht betreffe, sowie "den Grad der Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten mit EU-Behörden" zu erheben, "insbesondere was Europol und Eurojust betrifft". Damit einhergehen sollte eine Bestandsaufnahme der "bestehenden Lücken", heißt es in der Resolution des EU-Parlaments, die sich in diesem Punkt auf den seit 2010 bestehenden Artikel 70 des EU-Grundvertrags (TFEU) bezieht.
Evalutationsdesaster 2010
Mit einer solchen Forderung an die Mitgliedsstaaten hatte man in Brüssel allerdings schon einmal auf Granit gebissen. Auch da war es um eine von Ministerrat und Kommission durchgezogene Maßnahme zur anlasslosen Datenspeicherung gegangen. Nachdem sich die Zweifel an der Effektivität der Vorratsdatenspeicherung immer mehr gehäuft hatten, beschloss die Kommission im Jahr 2010 - damals noch unter der zuständigen Kommissarin Cecilia Malmström - eine Evaluation. Die schleppte sich dahin, der Evaluationsbericht wurde erst mit mehr als sieben Monaten Verspätung veröffentlicht und kam dann einer handfesten Blamage gleich.
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Als die EU-Praxis im Umgang mit Vorratsdaten 2011 solchermaßen "evaluiert" wurde, war das diesbezügliche österreichische Gesetz noch in Vorbereitung
Von den europaweit gemeldeten insgesamt zwei Millionen Zugriffen auf Vorratsdaten war etwa die Hälfte aus Polen gemeldet worden, wo die Beschränkung der EU-Richtlinie auf Terrorismus und schwere Kriminalität offenbar nicht so genau genommen wurde. Die übrigen Daten waren grob lückenhaft und aus einer ganzen Reihe von Mitgliedsstaaten waren überhaupt keine Daten geliefert worden. Der Evaluationsbericht glänzte vielmehr durch "anekdotische Aufbereitung von Einzelfällen und unbelegte Einschätzungen", wie es der Präsident des Dachverbandes "European Digital Rights", der Österreicher Andreas Krisch, damals formulierte.
Das sagen MEPs aus Österreich
Wie schon beim Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung 2006 hatten am Mittwoch nur Grüne und Linke dagegen gestimmt. Unmittelbar nach der Resolution begannen Sozialdemokraten und Liberale, die sich davor stets gegen eine weitere anlasslose Datensammlung ausgesprochen hatten, zurückzurudern. Sowohl die SPE-Abgeordneten Jörg Leichtfried und Josef Weidenholzer - Leichtfried hatte mit Ja gestimmt, Weidenholzer hatte sich enthalten - wie auch Angelika Mlinar (Neos, Liberale Fraktion ALDE), die ebenfalls zugestimmt hatte, versicherten, dass sie damit keinen Freibrief für Rat und Kommission ausgestellt hätten.
"Eine anlasslose Speicherung aller Flugpassagierdaten halte ich weder für sinnvoll, noch mit dem EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vereinbar. Ich glaube auch nicht, dass mehr Daten nun mehr Sicherheit bringen können", sagte Mlinar zu ORF.at und warnte vor "politischem Aktionismus". Leichtfried und Weidenholzer wiederum bezeichneten die "Instrumentalisierung des Themas, um vergangene - und bereits gescheiterte - politische Projekte wie EU-PNR durchzubringen," als "populistisch und eines so ernsten Themas nicht würdig."
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APA/dpa/Fredrik von Erichsen
Heinz Becker (EVP) befand, "schon im derzeit vorliegenden Vorschlag für eine PNR-Richtlinie" seien "wesentlich engere Grenzen gezogen, als das bei der Vorratsdatenspeicherung je der Fall war." Michel Reimon (Grüne) ortet hingegen eine "völlig falsche Vorgangsweise, denn alle Täter der letzten Anschläge waren längst als Terrorverdächtige bekannt, sie hätten gezielt überwacht werden können. Massenüberwachung hätte da exakt nichts gebracht."
Unterstützung vom rechten Rand
Neben der EVP, Sozialdemokraten, Liberalen und der Rechtskonservativen ECR hatte auch die Rechtsaußen-Fraktion EFDD, der die britische UKIP und andere populistische Parteien angehören, die Resolution unterstützt. Zu Beginn der Plenarsitzung am Mittwoch in Straßburg war die UKIP wieder einmal durch Aktionismus aufgefallen.
Zu Beginn der Sitzung dankte man dem Vorsitzenden dafür, dass am Dienstag keine Abstimmungen über Verordnungen oder Richtlinien durchgeführt wurden und an diesem Tag deshalb auch kein Schaden für Europa angerichtet wurde. Das hinderte die Anti-EU-Fundamentalisten jedoch nicht daran, direkt danach für die anlasslose, behördliche Speicherung von 42 hochsensiblen Datenfeldern mit personenbezogenen Daten aller Flugbewegungen in Europa zu stimmen.
Stereotypes Muster
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt blieb eine weitere Datenbank, die am Dienstag eröffnet wurde. Obwohl nicht Mitglied des Schengenraums und somit auch kein Lieferant von Daten erhielten Großbritanniens Behörden Zugang zum Schengen-Datenbanksystem (SIS II), das etwa 250.000 polizeilich Gesuchte oder Abgängige enthält, dazu 40 Millionen Ausweisdaten und fünf Millionen Fahrzeuge.
Nicht erst seit der Vorratsdatenspeicherung anno 2006 zeigt sich hier dasselbe stereotype Muster. Behörden verlangen Zugang zu einer großen Datenbank, dann folgt eine politische Diskussion bis zum nächsten Terroranschlag. Meist schon direkt danach stellt sich heraus, dass die Täter den Behörden längst bekannt, einschlägig verurteilt oder unter Beobachtung waren. Danach beginnt nicht etwa ein behördliches Köpferollen, vielmehr beschließt die Politik, dass eine weitere riesige Datenbank für den behördlichen Zugang erstellt werden müsse.