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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 2. 2015 - 14:54

The daily Blumenau. Friday Edition, 13-02-15.

Was nach der Siegerkür am PSC-Abend noch so alles war.

#protestsongcontest

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Eigentlich habe sie sich die ganze Zeit in einem seltsamen Gefühl von Luxus bewegt, sagt die Autorin/Performerin spät an diesem Abend an der Bar, weil all die Proteste, auch die gut formulierten, nichts Existenzielles in sich tragen würden. Wie auch, sage ich, dieser Punkt ist in Österreich, ist in Mitteleuropa nicht erreicht, vielleicht auch nicht erreichbar. Klar, sagt sie, aber das Drängende, das Protest innewohnen soll, vielleicht muss, das kommt nur durch den Druck existenzieller Nöte.

So wie im Vorjahr und im Jahr davor, sage ich, als die Refugees und das Fight Rap Camp ihre Geschichte auf die Bühne gestellt haben, weil sie das mussten, weil das ihr Leben war, ihr Leben, das in Gefahr war. Solche Existenz-Ängste und Nöte kennt der Bio-Österreicher an sich eben nicht. Ja, und genau da setze ihr Problem ein, sagt die Autorin/Performerin.

Instrumente beim Protestsongcontest

FM4 / Christian Stipkovits

Protestsongcontest

Das Finale des Protestsongcontests am 12. Februar präsentiert von FM4 und dem Rabenhof Theater.

Die Videos vom Protestsongcontest gibt es ab Samstag, den 14.2., auf fm4.ORF.at. Und ab 22.45 Uhr wird das Finale auf ORF III im TV ausgestrahlt.

Alle Stories zum Protestsongcontest im Überblick

Ich verwende dann ein Argument, das Michael Ostrowski in anderem Zusammenhang (ebenso richtigerweise) mir gegenüber verwendet hat: soll das heißen, dass wir hier in Österreich, auf Basis der Tatsache, dass hierzulande existenzieller Protest nicht möglich ist, auf jegliche protestierende Äußerung verzichten? Oder uns in die grummelige neopopulistische "Wird-man-ja-noch-sagen-dürfen"-Empörungsmaschine einfügen müssen?

Es ist ein Totschlagargument, ich weiß, aber falsch ist es nicht. Ich war mit dem Thema ja schon zuvor konfrontiert worden: Einer der Teilnehmer, einer der die Welt so sehen mag, wie sie sein sollte, hatte vor den Künstlergarderoben davon gesprochen, dass er durchaus dankbar dafür sei, in einem Land leben zu können, wo existenzieller Protest, also ein solcher, der sein Leben riskieren muss, nicht nötig sei. Und davon, dass diese Sicherheit/Lebensqualität den Ärger über den dann doch immer zu weichen, zu unbetroffenen Protest wettmacht. Oder auch nicht, je nach Tagesbefindlichkeit. Wie bei Phantomschmerzen.

Zwischen den beiden Gesprächen übers Existenzielle drängt mich der an diesem Abend wohl kulturpolitisch Höchstrangige in leichter Trunkenheit gegen eine Wand und beklagt den Pipifax-Faktor des Protests des heurigen Jahrgangs. Ich entgegne, dass ich ihm jetzt anhand der ersten fünf das Gegenteil beweisen werde und kann schon nach dem Sieger aufhören. Der Kulturhochrangige war nämlich von der Annahme ausgegangen, dass es in Wladimir um reines Putin-Bashing ginge und hatte überhört, dass dieser brachial vorgetragene Text sich in Wahrheit um die Lust am starken Mann und die solchermaßen auch angefixt-gefährdete Demokratie ging.

Der Hochrangige zieht ab, um später noch deutlich mehr zu trinken und sich zu späterer Stunde einen Clinch mit der Frontfrau der Sechstplatzieren zu liefern. Und ich muss zur Kenntnis nehmen, dass auch ein interessiertes/informiertes Publikum das Dargebotene eventuell nur genauso oberflächlich scannt und deshalb vorschnell schubladisiert wie der Mainstream-Konsument, der schon stolz auf sich ist, weil er die heute liest. Zudem lerne ich, dass Urteile auch abgegeben werden, wenn man etwa überhaupt nur drei oder fünf der zehn Teilnehmer überhaupt gesehen oder gehört hat; das gemahnt ja schon an die Logik der Popkonzert-Rezensionen in der heimischen Qualitätspresse.

Dann bekomme ich eine kleine Lehrstunde in Sachen Objektivität: zwei strenge Damen aus dem Salzkammergut erklären, dass ich heuer besser war als im Vorjahr; als ich erwidere, dass solche Einschätzungen immer im Auge des Betrachters liegen und schon vom nächsten Zeugen anders interpretiert werden können, schütteln sie ihre Köpfe: sie würden das objektiv sehen. Punktum, keine Widerrede. Eine Minute später stellt sich heraus, dass sie die Freundinnen von Herren sind, denen ich diesmal viele und im letzten Jahr wenige Punkte gegeben habe.

Alles klar. Jetzt begreife ich endlich, was objektiv bedeutet. Ich lasse mir, mit dem neuerworbenen Wissen kein Problem, dann auch noch erklären, dass das Salzkammergut deutlich engere Grenzen hat, als man als Laie annehmen dürfte.

FS2 beim Protestsongcontest

FM4 / Christian Stipkovits

Die Teilnehmerin, die sich später noch mit dem Hochdekorierten matchen wird, schenkt mir die CD ihres Projekts, und ein Textbuch - danke auch an den Hubert Weinheimer für sein Buch! - und erklärt mir, im verbalisierten Wissen, dass sie eh weiß, dass ich's kapiert habe und dass sie eh weiß, wie ich's gemeint habe, dass ihr Beitrag ihrer Meinung nach natürlich sehr wohl den aktuellen Zeitbesuch habe, den ich dem Stück abgesprochen habe.

Das klingt redundant, ist aber wichtig, wegen der emotionalen Aufarbeitung. Ich weiß wie das ist, wenn jemand dein Herzensding oder auch nur einen Aspekt davon kritisiert, selbst wenn er mit seinem Ansatz recht hat. Und ich weiß, dass ich in dem Moment, wo ich öffentliche Kritik übe, genau so etwas auslöse. Und dass das danach aufgelöst werden soll, nein: muss.

Und ich weiß (auch aus der Erfahrung beim Protestsongcontest, wo das Feedback ja immer sofort und direkt kommt, man steht nach der Veranstaltung ja noch lange herum, weil es genug zu bereden gibt), dass ich schon in diesem Moment den späteren Dialog in Gang gesetzt habe; dem ich mich (auch so ein Lernprozess über die Jahre) auch gern stelle - auch weil der emotionale verbale Kampf um eine Idee, ein Projekt mir dann sehr viel mehr über die Sache erzählt, als es vorher (oder in jeder Situation des höflichen Abtausches) möglich wäre. Ich wäre jetzt sicher kein Yasmo-Fan, wenn ich damals jurymäßig nichts gesagt hätte und sie dann nicht drauf reagiert hätte und ich dadurch nicht mehr über ihren Zugang und ihre Welt erfahren hätte.

Apropos Tunesien: Da waren wir, der andere Teilnehmer, der mit der Sollte-Weltsicht und ich, auch plötzlich einig: als der famose Ostrowski, dessen konzise Vorbereitetheit nur von seinem Talent alles wie aus dem Ärmel geschüttelt wirken zu lassen übertroffen wird, von dem Makel aller Revolten/Revolutionen sprach, nämlich ihrem finalen Scheitern, da hätten wir laut "Tunesien!" rufen wollen/sollen. Der Dialog war dann aber so schnell woanders, dass dieser Einwurf vormerktechnisch unterging.

Deswegen jetzt: in Tunesien hat sie funktioniert, die Revolte. Trotz oder wegen Blutzoll, auf den Schultern der (gut ausgebildeten) Jungen, und auch mit/über Social Media. Dort ist eine verknöcherte Autokratie von einer demokratischen Struktur abgelöst worden. Nicht alles muss scheitern; das ist nur österreichisches Vorabschwärzel-Denken.

Zurück zum Herzensding-Dialog von vorhin. In dem Moment, wo ich öffentlich Kritik übe, wäge ich das so ab: ist es die Botschaft, die trotz mitgeschickter Relativierung und Respektsversicherung automatisch einsetzende Verletzung von Menschen, die sich angestrengt haben und ein tolles Ding hingestellt haben, wert? In diesem Fall: schon, ja.

Denn der Hinweis darauf, dass eine als "Geschlecht" poetisierte Klasse (oder besser: deren politisierte Elite), die in der Nazizeit verfolgt und getötet wurde, in dieser Form hier und heute nicht (mehr) existent ist und sich in eine amorphe Schicht gewandelt hat, die für den Aufstieg populistischer Macht zumindest mitverantwortlich ist, ist ebenso wichtig, wie öffentlich publizistische und künstlerische Aufarbeitung zum Thema einzufordern.

Die Gefahr sich in historischer Arbeiterklassen-Seligkeit zu genügen, ist zu hoch. Und die Herausforderung, über die klischeebehaftete Dämonisierung politischer Gegner hinauszugehen und differenzierte Analyse in womöglich trotzdem popadäquate Formate zu packen, ist noch höher.
Dass die Rückschau wichtig ist, braucht mir niemand zu erklären; dass die Auseinandersetzung mit dem Jetzt noch mehr Bedeutung hat, ist aber genauso evident.

Zwischendurch fragt eine Teilnehmer-Hälfte nach (absurden, aber witzigen) urban legends zur Entstehung des PSC, ehe wir dann in eine Diskussion über die Bedeutung von Netzwerken, verstärkter Tauglichkeit in der schönen neuen Bilderwelt, Bühnenpräsenz und Charisma landen. Ich tu mir in solchen Einschätzungen (was ist jetzt wichtiger, oder gar entscheidend) schwer, weil ich - vor allem im Musikbereich - immer schon geringe Möglichkeiten der Steuerung gesehen habe, die jetzt, wo alles nur noch über Live-Auftritte und Youtube-Präsenz läuft, noch einen Zacken unwägbarer daherkommt. Für die Teilnehmer-Hälfte (und auch Hälfte 2) stellen sich die - mit noch leisen Selbstzweifeln geäußerten - Problemfelder aber eh nicht. Das werden schon schnell merken.

Vom gegenteiligen Fall erzählt dann kurz Mit-Juror Hubert Weinheimer, dem da eine neue Band untergekommen ist (Name prompt wieder vergessen, er wird mir was schicken), die so gänzlich gegen jede aktuelle Notwendigkeit überhaupt kein Interesse daran hat, ihre intensiv und fein ausgetüftelte Musik irgendjemanden zu Gehör, geschweige denn zu Gesicht zu bringen.

Menschen beim Protestsongcontest

FM4 / Christian Stipkovits

Weshalb er sich jetzt berufen fühlt, ein bissl Hilfestellung zu leisten; einfach weil er die toll findet. Das finde ich toll. Irgendwann fällt uns dann der einen Meter von uns entfernt stehende Ex-Teilnehmer auf, der mittlerweile eine unverzichtbare Stimme des Landes, um nicht zu sagen zu einer Legende geworden ist, und wir sagen gleichzeitig: irgendwie ist das so wie damals bei ihm, dem Nino.

Die Autorin/Performerin erzählt später, während nebenan das angesprochene Clinch läuft, noch von ihrer inneren Zerrissenheit zwischen dem Versuch zu unterhalten/gefallen (was auf bereits bekannten, aber ausgetretenen Pfaden gut möglich ist) und dem Versuch, durch radikale Brüche zu überraschen/verunsichern, und so aber auch die Existenz zu riskieren Auch so ein Generalthema, für das es keine Patentlösung gibt. Und ja, sagt sie, wenn sie nach dem eingangs besprochenen Grundsatz des Existenziellen gehen würde, wäre das alles keine Frage. Aber es seien auch noch andere Personen involviert, und da...

Es ist ja oft so, dass angedachte Radikalität durch die schiere Existenz von halt noch anderen Menschen dann nicht so ausfallen kann, wie sie - in anarchischen Tagträumen; wie es sein sollte - vorabschillert. Deshalb wird der Protestsongcontest auch heuer keine Revolte auslösen, und auch sonst nicht mehr einlösen, als die gesammelte Erfahrung aller, die aus dem, was da zu sehen und zu hören war und zum Denkanstoßen geriet, etwas mitnehmen. Und vielleicht was draus machen. Mehr Bastel-Substanz als der ESC hätte der PSC da in jedem Fall angeboten.