Erstellt am: 12. 2. 2015 - 17:28 Uhr
Sunshine Noir
"It's the haunting feeling of living in a paradise and knowing that you'll never wake up, that's Inherent Vice," raunt meine weise kalifornische Freundin K., nachdem ich beschämt feststelle, dass über Inherent Vice zu schreiben schwieriger ist als gedacht. K. ist in diesem Fall die beste Ansprechperson, eine wahre Kalifornierin, die langsamer redet als alle anderen Menschen und nichts besser erklären kann als das, was Kalifornien ausmacht: Wichtig ist, meint sie, und legt dabei bedächtig eine Neil-Young-Platte auf, immerzu mitzudenken, dass sich das ganze Hippietum in einen historischen Albtraum verwandelt hat. Das ist alles, was man wissen muss, um Surfer und Punks zu verstehen.
Collider/Warner Bros.
"She came along the alley and up the back steps the way she always used to. Doc hadn't seen her for over a year. Nobody had. Back then it was always sandals, bottom half of a flower-print bikini, faded Country Joe & the Fish t-shirt..."
Honigfarbenes Sonnenlicht, Strand, Weed und Pizza. Es gibt noch andere schöne, regenbogenfarbene Dinge - Joaquin Phoenix' Koteletten und "Afro" z.B. -, mit denen die nostalgischen Bilder von Inherent Vice einen bis in die Träume verfolgen.
Der Film beginnt wie ein Noir: mit Voice Over. Im Gegensatz zu den typischen Hardboiled-Klassikern kommt die Stimme allerdings von einer Frau (von der Sängerin Joanna Newsom gar), deren Identität so gut wie unklar bleibt.
Collider/Warner Bros.
Doc Sportello (Joaquin Phoenix), Hippie-Privatdetektiv, bekommt Besuch von seiner großen Liebe Shasta (Katherine Waterston). Die ist gerade auf der Suche nach ihrem verschollenem Freund, einem Real-Estate-Mogul, der irgendwie als Teil einer Verschwörungstheorie rund um eine Organisation namens "The Golden Fang" gekidnappt werden soll. Die Details dieses Plots sind komplette Nebensache.
Was folgt, ist eine wilde Fahrt durch die Grenze zwischen 60er- und 70er-Jahren, durch japanische Restaurants, Fake-Zahnarztpraxen, Bordelle/Massage-Salons, Parkplätze, private Swimming-Pools und ein Gebäude in Form eines riesigen Reißzahns. Dutzende Randfiguren erscheinen und verschwinden wieder so schnell wie die Bewohner des Landes Oz.
Collider/Warner Bros.
Darunter treffen wir u. A. auf Josh Brolin als urgemeinen Cop Bigfoot, der ständig an Eis am Stiel und anderen phallischen Objekten lutscht und eine rätselhafte, hasserfüllte Beziehung zu Doc führt; Owen Wilson und Jena Malone als Drogen-Rehab-Ehepaar; Reese Witherspoon als Tippi-Hedren-Imitat; Benicio Del Toro als Rechtsanwalt (oder so ähnlich); sowie eine besonders ausgefeilte Krawattensammlung.
Dazwischen fegt die ranzige Gestalt Doc Sportellos durchs Bild, dessen seltsame Gesten an großartigen Slapstick herankommen: Joaquin Phoenix spielt einen eigentlich sehr geistreichen Detektiv, dessen ursprüngliche Intelligenz und Souveränität ganz leicht durch den Vorhang des Cannabis-Rauchs hindurchfunkelt; selten ist einem eine Filmfigur so sympathisch.
Altman-Chandler-Zitate
Angelegt wie eine Raymond-Chandler-Story, die in den 70er Jahren spielt, mag Inherent Vice viel mit The Long Good-Bye (1973) von Robert Altman gemeinsam haben. Auch dort wühlt sich ein kettenrauchender Philip Marlowe (Eliott Gould spielt die ikonische Humphrey-Bogart-Rolle) durch das Leben von Spät-Hippies im kalifornischen Suburbia, auf der Suche nach einem immer dünner werdenden roten Faden. Wie bei Altman schlüpft Paul Thomas Andersons Film mühelos von Szene zu Szene; das Geschehen entfaltet sich, ohne dass man es wirklich bemerkt.
United Artists
Man muss schon ein paar Mal in seinem Leben im Kino eingenickt sein, um festzustellen, dass vielleicht gerade die Filme die besten sind, deren einzelne Szenen einfach Sinn ergeben, ohne dass ein dramatischer Zusammenhang notwendig ist, ohne dass man sich selbst schlau fühlen muss, dass man diese oder jene Information wie ein braver Schüler aufgeschnappt hat.
Das mag in der heutigen Zeit vielleicht okkult klingen, aber man kann sich nach einem sehr groben Wert richten und zwar nach dem, wie stark die Aufmerksamkeit gefangen und der Genuss leicht ist. In dieser Kategorie ist Inherent Vice so verführerisch wie sein schöner Titel und die Unzuverlässigkeit seiner Narration. (Außerdem - so denke ich mir in besonders archaischen Momenten - stärkt ein solcher Messwert in unserer so plotlastigen Zeit ja doch das Gefühl für Poesie und Schönheit.)
Pynchonpremiere
Inherent Vice ist die erste Verfilmung eines Romans von Thomas Pynchon, jenes geheimnisvollen Autors, von dem man annehmen würde, er sei unverfilmbar. Seine auswuchernden Werke schlängeln sich durch surreale Wortlandschaften; sie saugen alles aus Zeitgeist und Popkultur auf und bauen wahnsinnige Collagen.
In die Verfilmung zu gehen, heißt also auch, in ein schillerndes, visuelles wie sprachliches Universum zu tauchen - fast so bunt wie das von Marvel, mit ebenso klingenden Figurennamen, die wie kleine Gedichte daherkommen - 'Shasta Fay Hepworth', 'Sloane Wolfmann', 'Sauncho Smilax' heißen die Figuren, aus deren Mündern kleine sprachkünstlerische Perlen platzen. (Mein persönlicher Liebling: 'Japonica Fenway' - auch noch gespielt von der furchterregenden Neo-Laura-Palmer Sasha Pieterse aus Pretty Little Liars!)
Collider/Warner Bros.
Inherent Vice startet am 13. Februar in österreichischen Kinos.
P.-T.-Anderson-Filme spielen so gut wie immer in Kalifornien, und in seinem letzten Film "The Master" sowie auch in "Magnolia" behandelt er einen Hauch von jenem gruseligen Schatten, der Inherent Vice durchgeistert - den der Sekten und Kulte, die das Ende der Sechziger Jahre signalisieren.
Wie Boogie Nights (1997) gestaltet er mit Inherent Vice die 1970er zu einer golden Ära des Rauschs und des "Unwinding", des Anfangs vom Ende von all dem, was die USA zu einer Weltmacht und dem Hort der Träume gemacht hat. Zu gerne würden wir an diesen Ort zurückkehren, uns aber bleiben nur mehr die Nacherzählungen und die Geister eines abstürzenden Paradieses.