Erstellt am: 12. 2. 2015 - 10:48 Uhr
Ja, aber - eine Bestandsaufnahme
Letztes Jahr hat Gertraud Klemm beim Bachmannpreis mit einem Auszug aus ihrem soeben erschienenen Roman "Aberland" den Publikumspreis gewonnen. Bei der Berlinale ist ihr Roman einer von elf Buchtiteln, die von einer Jury ausgewählt wurden und die im Rahmen von "Books at Berlinale" Filmproduzenten präsentiert werden. Ein Roman mit Blockbuster-Qualitäten, der durch die Untiefen des gutbürgerlichen Lebens zweier Frauengenerationen führt.
Dolores David
Franziska, die jüngere von beiden, ist studierte Biologin. Mit 35 hat sie fast alles erreicht, was frau sich klischeehaft so wünscht. Haus, Mann und Kind. Doch ihre fast fertige Dissertation, die sich mit den Auswirkungen von Nanosilber auf Zebrafische beschäftigt, die liegt ihr im Magen. Plötzlich hat sie keinen Nerv mehr zu schreiben. Abhängig von ihrem Mann ist sie wütend aufs Leben und aufgespannt zwischen schreiendem Kind, Wäsche und Küche. Der sportliche Tiroler ist keine Unterstützung. "Die Mutterschaft hat ihre Gehirnstruktur verändert,… sie heruntergebremst von Autobahngeschwindigkeit auf Ortsgeschwindigkeit."
Ihre Mutter Elisabeth, 58, ist vom Schlag der gesellschaftlichen Mitläuferin, die ihr Leben der Kinderaufzucht und ihrem Mann widmet. Eine Frau, die ihr Älterwerden akzeptiert hat, genau wie ihre nicht erfüllten Träume.
In zwei dichten Monologblasen lässt Gertraud Klemm ihre Protagonistinnen in der scheinbar unausweichlichen Mittelmäßigkeit des Bürgertums schwimmen. Sie spart nicht mit Klischees, hat aber durchaus reale Vorbilder im Kopf. Im Sommer, als sie nach dem Schwimmen auf einer Nacktbadeterasse ein Sonnenbad genommen hatte, konnte sie Frauen zuhören, die mit Elisabeth und Franziska im Geiste verwandt sind, erzählt sie. Plötzlich habe sie beide bildlich vor sich gesehen und konnte anfangen zu schreiben.
Literaturverlag Droschl
"Aberland" von Gertraud Klemm ist im Literaturverlag Droschl erschienen.
"Jede breitet ein Stück mehr oder weniger belanglose Familiengeschichte vor sich aus ... Wörter richten sich in meinem Kopf auf: Hämorrhoiden – Operation, vergrößerte Prostata, Glaukom, so aneinandergereiht klingen sie nach einer illustren Märchengesellschaft: der böse Wolf und die vergrößerte Prostata, Schneewittchen und die sieben Bandscheibenvorfälle, der grüne und der graue Star Hand in Hand im dunklen Wald auf der Suche nach dem silbernen Tinnitus."
Mit Klemms humorvollem Hang zur Überzeichnung schlittern die Protagonistinnen durch Kindergartenveranstaltungen, Hochzeiten und Gartenparties. Ein Liebhaber für die beiden Frauen hat ebenso seinen Auftritt wie die demente Schwiegermutter von Elisabeth.
Was Frauen in der Gesellschaft zu leisten haben oder glauben zu müssen, darum dreht sich die Geschichte im Roman. Alte, erlernte gesellschaftliche Muster treffen fast jede Frau, wenn sie Mutter wird. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wird im Alltag nicht eingelöst.
Vieles von dem, was Gertraud Klemm schildert, ist hausgemacht. Franziskas Leben müsste nicht so verlaufen, nur hat sie manchmal die falsche Entscheidung getroffen, sagt die Autorin. Klemm plädiert dafür, dass frau sich zwischen Kindern und Karriere nicht entscheiden soll müssen. Alles eine Frage der richtigen Entscheidung, eine Frage der Partnerwahl. Aber darauf muss Franziska erst kommen.