Erstellt am: 11. 2. 2015 - 15:03 Uhr
Three Mozarts, please!
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
Ich weiß, laut einer amerikanischen Legende ist derjenige, der alle Menschen gleich gemacht hat, der "Colt"-Revolver. Aber seitdem die "Colts" leiser geworden sind, sind es die Reisebüros. Jedes Reisebüro tötet alle Individuen, die es nur fangen kann, und verwandelt sie in touristischen Menschenbrei. Der gleiche Menschenbrei, den wir jeden Tag vor der Oper in Wien aus den Bussen aussteigen sehen. Wahrscheinlich ist jeder von diesen Japanern, Amerikanern und Australiern ein sehr interessanter Mensch mit seinem eigenen Geschmack und eigener Gesinnung. Das wurde aber alles fernab im Herkunftsland gelassen, denn aus den Bussen steigen keine Menschen aus, sondern Touristen. Sie bewegen ihre Köpfe automatisch von links nach rechts wie bei einem Tennisspiel. Sie spüren eine kollektive Begeisterung und heben gemeinsam ihre Kameras hoch, um irgendwas Wichtiges zu fotografieren. Am Ende packen sie ihre "authentischen" Wieneindrücke in ihre Reisekoffer ein.
CC BY 2.0, flickr.com, User: Nico Paix
Eine der meistfotografierten Personen Wiens ist mein Freund Vantsche. Er stammt aus Strumitza in Mazedonien. Jeden Tag steht er in Perücke und Livree gekleidet bei der Oper und verkauft Konzertkarten. Vantsche ist schon seit fünf Jahren ein professioneller "Mozart".
"Mein größter Erfolg ist, wenn ich einen vollbepackten Bus mit Japanern direkt nach Schönbrunn schicken kann", sagt Vantsche. Denn die Konzerte finden genau dort statt - in der Orangerie im Schloss Schönbrunn. Getrennt von den tropischen Pflanzen durch eine speziellen Glaswand sitzen die Touristen dort und hören sich klassische Musik an. Denn man war nicht in Wien, wenn man kein klassisches Konzert besucht hat. Hier bekommt man sein Wien.
Das Orchester ist speziell für die Touristen kreiert worden. Die Konzertmeisterin ist eine Bulgarin und der Dirigent ein Italiener. Nur der Tenor ist aus Linz, Michael. Das Repertoire besteht aus den populärsten Stücken der klassischen Musik: Walzer von Strauß, "Eine kleine Nachtmusik", Arien aus der Zauberflöte. Der krönende Abschluss ist natürlich der "Radetzkymarsch". Jeder Tourist hat gehört, wofür er gekommen ist, er hat das Wien aus den Fernsehern in Echt gesehen. Da man aber die Musik nicht nach Texas oder Kyoto mitnehmen kann, sind jetzt die Souvenirs an der Reihe:
"Oh is this Mozart? Can I get three? One for my aunt Sylvia, one for my granny and one for me. And what is this? Sissi? Give me five Sissis please and one of these lovely pictures of this big church of yours."
CC BY-SA 2.0, flickr.com, User: Filip Maljković
Am Souvenir-Stand arbeitet Gergana. Die Touristen fotografieren sie und machen Selfies mit ihr, der echten blonden Österreicherin". Gergana ist Russin und studiert BWL an der WU. Sie packt die Mozarts und die Sissis ohne nachzudenken ein. Heute ist der Konzertsaal voll, das heißt, dass Vantsche einen guten Tag hatte. Vantsche ist Gerganas Freund. Sie lächelt mit ihrem vierundzwanzigkarätigen österreichischen Lächeln in die Kameras. Gergana ist perfekt angezogen und geschminkt - das sind die Anforderungen des Chefs. Er ist seinerseits ebenfalls Russe.
Der Tourist bringt seine Leistung für die Wiener Wirtschaft. Vantsche, Gergana und der Russe sind ihm dankbar. Danach nimmt er seinen Gips-Mozart, der in China hergestellt wurde, glücklich nach Texas oder Kyoto mit nach Hause.