Erstellt am: 9. 2. 2015 - 19:31 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 09-02-15.
#arbeitswelt #gesundheitspolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Ich bin ja eigentlich der Falsche.
Ich bin praktisch nie so krank, dass ich nicht arbeitsfähig bin. Ich verachte von der Mehrheit geliebte unproduktive Feier-, Zwickel- und Fenstertage, die mich indirekt dazu zwingen, das Pensum von fünf Tagen in drei hineinstopfen zu müssen. Und ich befinde mich - angesichts allseits prekärer Verhältnisse ist das keine Selbstverständlichkeit - in einem seriösen Beschäftigungs-Verhältnis.
Sie hat mich dann in der Woche vorm FM4-Fest trotzdem umgeworfen; die Grippe. Einen ganzen Tag lang. Und dann noch einen halben. Und am bewussten Samstag konnte ich dann nur ganz gezielte drei Stunden zur Party. Das ist für meine Verhältnisse schon schwere Bettlägerigkeit. Andere in meinem Haushalt wurden schwerer erwischt und waren über Wochen bedient. Krankgeschrieben wurde meine Frau für eine Woche. Das ist Standard; einfach weil die Erfahrungswerte der letzten Jahre (so ein neues, immer keck mutiertes Grippe-Ding kommt ja jeder Jahr aufs Neue daher) diesen Mittelwert bedingen. Nun hat sich die dafür zuständige Kommission für eine Ausweitung ausgesprochen, wenn es um aggressive Grippe-Virenstämme wie den heurigen, gerade noch in seinen Ausläufern wütenden, handelt: es sollen drei Wochen werden. Andernfalls ist das Risiko des zu schnellen Übertauchens zu hoch, von Rückfall bis zur monatelangen Verschleppung hin zur kalten Lungenentzündungen (zwei Fälle in der näheren Umgebung, ein gerade einmal so wieder auf den Beinen Befindlicher wankt in diesem Moment an mir vorbei) ist alles möglich; und volkswirtschaftlich dann noch schadenbringender.
All this in mind habe ich dann von der Idee des Teilzeit-Krankenstands gehört, exklusiv übrigens. Dass sich die Sozialpartner zusammenraufen wollen (also: werden) um neben den Aggregatszuständen "krank" und "gesund" noch die Kategorie "halb/halb" einzuführen.
Wie gesagt: im Prinzip entspricht das sehr stark meinem eigentlichen (an meinen körperlichen Befindlichkeiten ausgerichteten) Denken. Ich bin mir nur - angesichts vieler anderer, durchaus gebeutelter Körper - aktuell nicht sicher, ob diese Regelung wirklich in erster Linie den Betroffenen, also den Menschen zwischen Krankheit und Gesundung entgegenkommt. Das ist in Bereichen wie einer längeren Reha, einer nötigen Schonung, einer schrittweisen Teilzeit-Beschäftigung angedacht.
Denn wie jede Kann-Bestimmung, wie jede in Richtung Flexibilisierung getriebene Neuerung in den Arbeitswelten, hängt ihr Funktionieren von der Festigkeit und Seriosität der Arbeitsbeziehung ab. Bei einem diesbezüglich nur etwas weniger seriösem Arbeitgeber als dem meinen (und da fallen andere, auch größere Medienbetriebe locker drunter) ist die Installierung einer solchen Wiedereingliederungsphase vorrangig eine Einladung zur Umgehung von existenten Verträgen und kreativen Neugestaltung von bestehenden Arbeitsbildern.
Die klassische Drohgebärde (langer Krankenstand führt dazu, dass Arbeitnehmer den "Anschluss" verliert und so seinen Arbeitsplatz gefährdet...) steht schnell im Raum und wird jeden mit einem nicht-so-dollen internen Standing so schnell verunsicherbar machen, dass es in der Praxis schnell der Betrieb sein wird, der den Kranken(zu)stand definiert. Und da der Arzt ja nicht nur krankschreibt, sondern Arbeitsunfähigkeit konstatiert, stehen wohl diffuse Eingriffe in nicht nur das Arbeitsrecht, sondern auch ins Gesundheitssystem bevor. Die Gewerkschaft lehnt Arbeit im Krankenstand zwar (vorsichtig) ab - bei entsprechender Umbenennung wird die neue Flexi-Krankenstand-Staffelung aber durch die Hintertüre kommen.
Das Thema ist mir auch deswegen aufgefallen, weil in Deutschland derzeit eine scheinbar ganz andere, strukturell aber ganz ähnliche Debatte geführt wird. Dort hat der vom Merkel'schen Pragmatismus in die Bewusstlosigkeit verbrachte kleine Koalitionspartner, die SPD, zu Beginn der Legislaturperiode ja ein Wahlversprechen umgesetzt: den Mindestlohn. Die Union hatte damit - überraschenderweise - kein Problem. Wohl weil klar war, wie man das mitbeschlossene Gesetz effektiv unterlaufen werden könne. Es wird nämlich nicht nur weggeschaut, wenn Institutionen den Mindestlohn umgehen, die Wirtschaft bietet sogar Umgehungs-Kurse an. Und auf Basis höchst verdrehter Argumentationsstränge holt die Rechtsaußen-Fraktion der CSU dann sogar zum Backlash aus. Interessant auch die bigotte Doppel-Strategie der in letzter Zeit ja ins Systempresse-Gerede gekommenen (konservativen) deutschen Medien: gleichzeitig zu einem unterstützenden Nicken in Richtung Seehofer erhebt man den Zeigefinger in Richtung Gesetzes-Umgeher.
Nun besteht zwar zwischen dem halblegalen Unterlaufen eines nur zum Zweck des Populismus überhaupt verabschiedeten Gesetzes samt augenzwinkernder politischer Unterstützung der Umgehung und der vielleicht wirklich ohne Hintergedanken angestellten Neukonzeption eines arbeitsrechtlich bedeutenden Begriffes doch ein recht großer Unterschied. Letztlich atmen aber beide Ereignisse die Luft der selben Denkungsart; die der systematischen - und verblüffend unhinterfragten - Demontage von durchaus im Sinn der Menschenwürde erkämpften Arbeitnehmerrechten. Und die overrulen private Arbeitsbefindlichkeiten doch einigermaßen.