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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

8. 2. 2015 - 16:00

Widerborstigkeit for Sale

Der Song zum Sonntag: Charli XCX - "London Queen"

Seltsamerweise erscheint das dritte, in den USA bereits Ende 2014 veröffentlichte Album von Charli XCX in Europa offiziell erst im Februar. Man muss sich angesichts der Wege der Musikindustrie wieder einmal Gedanken machen. Mit groß ausgerolltem Masterplan und von langer Hand vorbereiteter Promotionsmaterialschlacht soll die englische Sängerin und Songwriterin mit dieser Platte endlich in die verdiente Position des Popgroßstars mit Coolness-Aroma gehievt werden.

Der Hit der englischen Bubblegum-Postpunk-Combo Bow Wow Wow - die unüberhörbar deutlichen Einfluss auf die Musik von Charli XCX hat – nannte sich "I Want Candy", das Album von XCX heißt jetzt "Sucker", die Künstlerin posiert auf dem dazugehörigen Cover mit einem riesigen Schlecker in Herzform und pflegt weiterhin das Frechgören-Image.

Charli XCX

Charli XCX

Im Sommer 2014 schmückte Charli XCX noch Iggy Azaleas übel beleumundeten Partyraphit "Fancy" mit gerade noch ein bisschen undergroundig duftendem transatlantischem Flair und Synthie-Pop-Hipness, mittlerweile steht mithilfe von catchy Pop-Punk und Teenager-EDM-Liedchen ohne Scham für sie selbst der Transfer in immerhin mittlere Stadien und Großraumdiscos auf dem Zettel.

Das über weite Strecken doch recht gut geglückte Album "Sucker" könnte sich in Sachen Subtilität von Miley Cyrus noch ein paar Ratschläge einholen. Hier wird alles aufgefahren was das Popwörterbuch hergibt. Mitproduziert und mitgeschrieben hat eine Heerschar verdienter Menschen: Überproducer Ariel Rechtshaid (Vampire Wekend, Haim, Sky Ferreira), Rostam Batmanglij von Vampire Weekend, Cashmere Cat, die Typen von Miike Snow, Rivers Cuomo von Weezer, Benny Blanco (Jessie J, Katy Perry) und noch einige mehr.

Charli XCX hält das an allen Ecken überschäumende Teil zusammen, singt Songs über die Feierei, das gute wilde Leben, Liebe, Sex und jugendliches Revoluzzertum. Das ist immer plakativ und auf sloganhafte Mitsingbarkeit hingebaut, oft schlicht dämlich: "I Don't Wanna Go To School, I Just Wanna Break The Rules" heißt es im unsäglichen Hit "Break The Rules", anderswo "Yeah, Let's Rock!" – es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass viele, viele junge Menschen diese Zeilen mitschreien wollen.

Der Song, der gut zusammenfasst wovon die Platte "Sucker" handelt, ist die Nummer "London Queen", auf der unter anderem, of all people, Ariel Pink mitgewirkt hat. Ein Brausepulver-Wave-Song mit Punk-Bass und lieb gemeintem Arroganz-Habitus. Ein Song, der nachschaut, was in den späten 70ern und den frühen 80ern so an den Kreuzungen von Punk und Disco los war, zwischen Gitarrenrock und Keyboard, der Song zehrt von Bands wie den Runaways, den Go-Go's und Blondie, der ersten Platte der Cars, präsentiert sich als synthetische Variante eines Ramones-Songs.

Der Inhalt von "London Queen" ist denkbar schlicht: Charli XCX, das englische Mädel, wollte es schaffen und sie hat es geschafft, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Sie lebt jetzt in Hollywood und erfreut sich an den kulturellen Unterschieden zwischen den USA und Großbritannien: "When I'm driving on the wrong side of the road / I feel like JFK you know".

Baseball spielt sie mittlerweile auch, man muss sich bloß trauen und ein bisschen aufmüpfig sein, dann haut das schon hin. Damit es auch alle verstehen, dass Charli tough und London ist, schiebt sie immer wieder ein deftiges "Oi!" nach. Charli XCX verkauft die Rebellion als Euphorie und leicht zu konsumierende Einkaufszentrum-Outsider-Musik, das ist ja nichts Neues, jede Generation braucht solche Musiken, so stehen die Zeichen auf Success.