Erstellt am: 8. 2. 2015 - 14:00 Uhr
Das Glück der Dieselgeneratoren
Irgendwann funkelt er dann doch, der Sonnenstrahl, nachdem der Erzähler so lange gesucht hat im Moloch Lagos, der größten Stadt Afrikas mit ihren glitzernden Banktürmen, ihren weltberühmten Internetbetrügern und dem täglichen chaotischen Überlebenskampf. Er weist sein Licht in einen Musik- und Buchladen, in dem sich Bücher von Philipp Roth genauso finden wie Musik von Ali Farka Toure. Eine Oase.
Lagos: Eine harte und eine faszinierende Stadt. Man könnte den Ich-Erzähler, der von den USA nach Nigeria aufgebrochen ist, um die Stadt seiner Jugend nochmals mit neuen Augen zu erkunden, beinahe mit dem Autor Teju Cole verwechseln. Das erzählende Ich, sagt Cole, hat den Vorteil, dass es impulsiver und ungerechter, beschämter und entsetzter sein darf als ein stets bedachter Autor.
Teju Cole
Roh und unverstellt soll sein Held also sein, meint Cole. Der Erzähler darf deshalb kalt notieren, dass die chronischen Versorgungsengpässe in dem ölreichen Land für ihn „unerklärlich“ sind. Er darf, geschult von der Museum Mile auf der 5th Avenue in Manhattan, feststellen, dass das nigerianische Nationalmuseum eine einzige Enttäuschung ist. Er kann sich (wie auch Nigel Barley in seinem ethnographischen Roman „Die traumatischen Tropen“) über die allgegenwärtige Korruption und ihr Regelwerk erregen, ohne wie Barley den Zorn darüber wenigstens noch milde zu verwitzeln. Und er darf voller Angst und Wut im Bauch den Gangstern in der Stadt den Tod wünschen. „Ich halte mich für einen Pazifisten, aber ich will Blut vergießen, ich will verletzen oder verletzt werden. Die Endlosigkeit der Situation macht mich wahnsinnig, ich erkenne mich selbst nicht wieder.“
Teju Cole/Tim Knox
Teju Cole wurde 1975 in den USA geboren, wuchs in Nigeria auf und verließ Afrika mit 17 Jahren, um seitdem in New York zu leben. Seine Interessen sind vielseitig, er ist Kunsthistoriker, Fotograf, liebt Gustav Mahler und John Coltrane. Cole ist das, was man heute einen Afropoliten nennt, einen Kosmopoliten mit afrikanischen Wurzeln. Als Schriftsteller, sagt Cole, gehe es ihm darum, mit der Vergangenheit ins Gespräch zu kommen. In seinem Fall: mit der Vergangenheit von Städten, die durch Kolonisation und Migration geprägt sind .
In seinem zu Recht vielgelobten und mit den historischen Tiefenbohrungen von W.G. Sebald verglichenen Debüt „Open City“ von 2011 schickte Cole einen Flaneur durch die Straßen New Yorks und ließ ihn die Stadt entziffern wie ein riesiges Palimpsest. Schon 2007 erschien eine frühere Version von „Jeder Tag gehört dem Dieb“ in Nigeria. Nun wird dieser nachbearbeitete, vielschichtige Reisebericht auf Deutsch nachgereicht. Die Raffinesse entsteht aus dem Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz, Identifikationswunsch und Unterscheidungswille, Erinnerungen an die Jugend und der Erfahrung der Fremde durch den verwestlichten Blick auf eine Stadt voller unverständlicher Glaubensformen. Lagos ist voller unauflöslich erscheinender Konflikte und versinkt täglich in zermürbendem Chaos. Aber zugleich wird die Stadt moderner und öffnet sich dem Markt und Menschen von anderswo. Sie zelebriert ihre Widersprüche.
Teju Cole
„Open City“, das war für Coles Buch über New York ein fast perfekter Titel: die weltoffene Stadt, aber auch die offene Stadt im Sinne des Kriegsrechts, die nicht verteidigt wird – etwa gegen die Kräfte des Kapitals. Beide Bedeutungen treffen, vielleicht sogar noch mehr auf Lagos zu, das in Coles Betrachtungen als eine Stadt erscheint, die im Würgegriff einer gefräßigen Gegenwart erscheint. Erinnerung verschwindet. Im Museum wirkt eine Mitarbeiterin wie tot, dabei schläft sie nur. „Warum gibt es hier keine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit? Keinen Streit über Begriffe? Um mich herum der unwissende Wald flimmernder Gesichter. Das Vergangene ist nicht einmal vergangen.“
Hanser Verlag
Der Erzähler ist schwarz, er kennt die Sprache und giert nach Menschen und Erfahrungen. Und dennoch ist und bleibt er distanziert. Einem jungen Mann, der von Amerika träumt, wird er nicht helfen, obwohl er es ihm verspricht. Stattdessen studiert er das Land auf der Suche nach etwas, was ihn als Erinnerung antreibt und für die Zukunft bereichern könnte. Doch es gibt eben doch die Momente, in denen sich der als Literaturzitat des schwedischen Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer ausgewiesene, gespiegelte Sonnenstrahl wieder zeigt. Dann entfaltet die Stadt eine Magie, die jede Strapaze als lohnenswert erscheinen lässt.
Am Ende kehrt der Erzähler wie Cole selbst nach New York zurück. Er hat Fieber, es geht ihm schlecht, dagegen hilft kein Schmiergeld. „Das bedeutet Fremdsein: Wenn man geht, hinterlässt man keine Lücke.“
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Kaum ist er zurück in New York, denkt er wieder an Lagos, sein Lagos. Er sieht eine Straße vor sich, in der Särge gebaut werden. Einer davon ist aus weißem Satin: „eine Einladung zum Schlafen“.