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Claudia Unterweger

Moderiert FM4 Connected und FM4 Homebase.

5. 2. 2015 - 16:27

"I versteh bis heut' nicht, wie so was passieren kann"

Erinnerungen an das Rohrbomben-Attentat auf die Roma in Oberwart.

Oberwart, Hauptstraße. Der Tag vor der Gedenkveranstaltung. Nach zwei Stunden im Bus aus Wien steige ich zerknittert aus und treffe Manuela Horvath. Eine junge Frau, rötliche lange Haare, sorgsam geschminkt, schaut mich mit wachem Blick, aber ein wenig zurückhaltend an. Um uns herum Durchzugsverkehr, ein paar Schulkinder, sonst ist an diesem Vormittag wenig los in der verschlafenen 7000-Einwohner-Bezirkshauptstadt im Burgenland.

Oberwart

Radio FM4

Diese Stadt hat viele Namen. Oberwart steht auf der Tafel bei der Ortseinfahrt. Und darunter, auf ungarisch: Felsőőr. Für die Burgenland-Kroaten hier heißt die Stadt Borta, und auf Romanes Erba.

Vier Roma wurden bei dem Anschlag in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 ermordet. Es war der bis dahin schwerste politisch motivierte Anschlag in der Geschichte der Zweiten Republik. Manuela Horvath war damals zehn Jahre alt, zwei ihrer Cousins waren unter den Toten. Heute forscht sie zu den Ereignissen von damals. Ich habe Manuela Horvath in Oberwart besucht und erfahren, wie sie bis heute mit den Geschehnissen lebt.

Manuela Horwath

Radio FM4 / Claudia Unterweger

Manuela Horvath ist eine der GestalterInnen der Ausstellung Romane Thana. Orte der Roma und Sinti. Eine Ausstellung vom 12.2. bis 17.5.2015 im Wien Museum Karlsplatz.

Manuela Horvath ist eine Burgenland-Romni, 30 Jahre alt und aufgewachsen in der Roma-Siedlung von Oberwart. Sie hat bei dem Anschlag 1995 zwei ihrer Cousins verloren und setzt sich seit ihrer Jugend mit dem Erinnern an das Attentat auseinander. Schon in ihrer Schulzeit hat sie mit anderen Roma- und Nicht-Roma-Kindern bei den Gedenkfeiern Fürbitten gelesen, Kerzen angezündet, Lieder gesungen.

Um die jährliche Gedenkfeier kümmert sie sich nach wie vor, mittlerweile geht ihr Engagement jedoch viel weiter. Für die bevorstehende Ausstellung im Wien-Museum „Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“ gestaltet sie den Ausstellungsteil über das Attentat von Oberwart und interviewt Zeitzeugen und Angehörige. Keine leichte Aufgabe, gibt sie zu: „Es erdrückt einen irgendwie. Es ist ein belastendes Thema. Wenn jetzt jemand aus der Volksgruppe keine Interviews geben will, dann ist es sein gutes Recht. Es gibt kein richtig oder falsch beim Weg der Trauer.“

Razzien zuerst bei den SiedlungsbewohnerInnen

Manuela war zur Zeit des Attentats zehn Jahre alt, sie erinnert sich.
„In der Siedlung ist ziemliches Chaos ausgebrochen, keiner wusste, was passiert ist. Überall Polizei, Reporter. Dann hat man gemerkt, bei der älteren Generation, bei meinem Großvater, dass er Angst hat, ob es eine erneute Verfolgung geben wird. Mein Opa war ja im KZ. Das war ein Schock für ihn, zwei seiner Enkel tot auf der Straße liegen zu sehen.“

Der Bombenanschlag von Oberwart in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 war der erste rassistisch motivierte Mord in Österreich nach 1945. Erst zwei Jahre nach dem Attentat wurde der Täter Franz Fuchs verhaftet und zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach dem Attentat ging die Polizei jedoch von einer Fehde innerhalb der Roma-Siedlung aus, führte wochenlang Razzien in den Häusern der BewohnerInnen durch. Manuela Horvath fragt sich heute noch, wie es sein konnte, dass das die erste Annahme war, wo doch am Tatort ein Schild mit der rassistischen Aufschrift "Roma zurück nach Indien" gefunden wurde:

„Obwohl da diese Tafel am Tatort war, hats bei uns Hausdurchsuchungen gegeben... Irgendwie ist das total widersinnig. Das kennt man nicht, dass die Polizei das Kinderzimmer durchsucht. Das war ein ganz ungutes Gefühl.“

Zum Begräbnis, am 11. Februar 1995 kamen viele Menschen aus der Stadt und demonstrierten Solidarität mit den Roma. „Der Großteil der Oberwarter Bevölkerung hat sich entsetzt gezeigt. Es gab zwar auch Leute, die gesagt haben: ‚waren eh nur vier, hätten ruhig mehr sein können‘. Aber das waren zum Glück nur wenige. Der Bürgermeister und die Gemeindevertreter sind zu uns gestanden."

In den Jahren nach dem Attentat wollten manche der BewohnerInnen nicht mehr mit den Geschehnissen konfrontiert werden, zogen weg aus der Siedlung. In Manuela Horvaths Familie hingegen wurde mit den Kindern immer wieder über das Attentat gesprochen.

„Mein Opa hat uns darüber erzählt. Und auch die Begriffe ‚KZ‘ und ‚Mauthausen‘, wir haben gewusst, was das ist... Aber das war so weit weg, dass man nicht geglaubt hat, dass es so was auch wieder geben kann. Mit dem Attentat ist die Angst wiedergekommen. Nicht nur bei den Alten, auch auf uns ist das übertragen worden. Meine unbeschwerte Kindheit war damit eigentlich vorbei.“

Auch in der Schule gab es das Bestreben, die Gewalttaten von 1995 in einen historischen Zusammenhang zu stellen. Auch über die Verfolgung und Ermordung der Roma und Juden während der NS-Zeit wurde gesprochen. Nicht einmal die Hälfte der elftausend Roma und Sinti aus Österreich überlebte die Konzentrationslager.

"Natürlich hat man gewusst, dass ich aus der Siedlung komme, aber ich hab nie Probleme gehabt"

Für die Gedenkveranstaltung mit dem Bundespräsidenten hat Manuela Horvath noch viel zu tun, aber sie nimmt sich Zeit für unser Gespräch. Wir sitzen inmitten einer Ansammlung von Postern, Stapel von Zeitschriften und Broschüren und trinken Tee in Manuelas Büro, im „Referat für ethnische Gruppen der Diözese Eisenstadt“. Seelsorge und Unterstützung für Roma und Sinti wird hier geboten, Manuela organisiert seit Jahren Roma-Wallfahrten nach Mariazell. Sie drückt mir einen Folder in die Hand: „Kein Gegeneinander sondern ein Miteinander“ steht da zu lesen. Und: „Der Nächste ist nicht der, den ich mag, es ist jeder, der mir nahe kommt, ohne Ausnahme.“

Manuela Horvaths Büro

Radio FM4 / Claudia Unterweger

Wie erlebt sie das Miteinander von Roma und Nicht-Roma (Gadsche) in Oberwart, frage ich sie. Früher wurden Roma nicht in die Disco hineingelassen, aber das war vor ihrer Zeit, erzählt Manuela Horvath. „Ich hab während meiner Schulzeit nie das Gefühl gehabt, aufgrund meiner ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert zu werden. Weder von den Lehrern noch von den Schülern. Ich hab mich auch nicht anders gefühlt als Romni. Natürlich hat man gewusst, dass ich aus der Siedlung komme, aber ich hab nie Probleme gehabt.“

Für andere wolle sie jedoch nicht sprechen.

In den letzten Jahrzehnten besserte sich vieles an der Lebenssituation der Roma. 1993 wurden sie als Volksgruppe anerkannt. Mittlerweile werden Roma-Kinder nicht mehr automatisch in Sonderschulen gesteckt, mithilfe von Lernbetreuung schließen mehr und mehr Roma-Kinder höhere Schulen ab. Auch Manuela Horvath konnte sich damals mithilfe der Lernbetreuung auf den Unterricht und auf Schularbeiten vorbereiten. Als junge Erwachsene hat sie später die Berufsreifeprüfung nachgeholt und studiert nun Soziologie.

Seit den Achtziger Jahren sind die Burgenland-Roma in diversen sozialen und politischen Vereinen organisiert. Auch Manuela Horvath ist engagiert, sie erzählt bereitwillig von ihren Aktivitäten. Bis vor kurzem arbeitete sie bei einem Caritas-Projekt für langzeitarbeitslose Roma. Sie war beteiligt an der Rombas-Studie über den Zugang zur Bildung für Roma und Sinti. Neben Job und Studium ist sie Mitglied im Pfarrgemeinderat und bei den ÖVP-Frauen der Stadt aktiv.

Gedenkstätte am Ortsrand

Zum Abschluss unseres Gesprächs zeigt mir Manuela Horvath auf dem Stadtplan, wo die Roma-Siedlung liegt, in der sie aufwuchs. 1,5 Kilometer von der Ortschaft entfernt. Gleich nebenan liegt die Gedenkstätte. Bis heute lebt ein Teil der Oberwarter Roma-Community hier draußen.

Gedenkstätte

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Als Manuelas Großvater als einer der wenigen Überlebenden Roma nach 6 Jahren im KZ nach Oberwart zurückgekehrt war, hatte man ihre Siedlung dem Erdboden gleich gemacht. Niemand rechnete mit der Rückkehr der Roma. Irgendwann wies ihnen Gemeinde doch noch ein Areal und ein paar Holzbaracken zu – erneut außerhalb der Stadt. Und selbst von dort mussten die Roma wieder weg, noch weiter Richtung Umfahrungsstraße. Der Bau des Krankenhauses hatte Vorrang.

Manuela Horvaths Vater fährt uns mit dem Auto und Manuelas kleiner Nichte am Rücksitz durch den Ort hinaus zur Gedenkstätte. Wir rumpeln dahin über eine gatschige Straße, steigen aus, blicken über den verschneiten Acker auf die Stadt in der Ferne. Vor uns das Mahnmal. Manuelas Vater zeigt auf ein Marterl, mit verwelkten Blumen auf der anderen Seite des Weges. „Da wars. Da hab ich sie gefunden damals.“

Da taucht der Bürgermeister von Oberwart bei der Gedenkstätte auf. Organisatorisches wird besprochen, dann beklagt sich der ÖVP-Politiker über einen Journalisten, der Unwahrheiten über die Stadt verbreite und behaupte, Roma hätten schlechtere Beschäftigungschancen in Oberwart. „Dabei haben wir alle hier ein gutes Miteinander“, sagt er.
Wir steigen ein und fahren zurück in den Ort.

Auf dem Weg zur Bushaltestelle grüßt Manuela Passanten, Vorbeifahrende im Auto hupen, sie grüßt zurück. „Ich fühl mich als Oberwarterin, das ist meine Heimatstadt. Hier wohnen meine Freunde und meine Familie. Und ich erlebe die Menschen, die in Oberwart leben, als sehr engagiert. Viele leisten ehrenamtliche Arbeit und unterstützen Hilfsorganisationen wie die Caritas mit ihren Spenden."

Gedenktafel

Radio FM4 / Claudia Unterweger

Und zugleich betont sie: „Ich bin Burgenland-Romni.“ Ihre Sprache zu pflegen und weiterzugeben, sei ihr wichtig. Erst im Zuge der Anerkennung als Volksgruppe wurde das bis dahin mündlich weitergetragene Romanes verschriftlicht, ab 1999 dann erstmals an einer Schule unterrichtet. Damit konnten zumindest ihre jüngeren Schwestern in der Oberwarter Volksschule Romanes als Freigegenstand belegen und ihre Grundkenntnisse aus dem Elternhaus verbessern.

Manuela Horvath freut sich, dass mittlerweile daheim auf romanes aus der Kinderbibel vorgelesen wird. „Die Sprache ist das Wenige, das uns geblieben ist. Zu Weihnachten sing ich ‚Leise rieselt der Schnee‘ auf romanes“.

Heute in FM4 Connected

Vor 20 Jahren, in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995, sind bei einem Bombenanschlag in Oberwart vier Roma ermordet worden. Es war der bis dahin schwerste politisch motivierte Anschlag in der Geschichte der Zweiten Republik.

Manuela Horvath war damals zehn Jahre alt, zwei ihrer Cousins waren unter den Toten. Wie sie bis heute mit den Geschehnissen lebt könnt ihr heute, Deonnerstag, ab 18 Uhr in FM4 Connected und gleich im Anschluss unter fm4.orf.at/7tage hören.