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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

4. 2. 2015 - 18:27

Ja, Gelassenheit

Luftiger Folk-Pop über das wohlige Leben in der guten Stube: "Chromatics", das neue Album des englischen Ein-Mann-Unternehmens Diagrams.

Das Altern in Würde – selten ein Lebensmodell, das prickelnde Kunst gebiert. Die Kunst braucht Rebellion, Wahnsinn und Präpotenz. Sonst könnte man ja gleich notarielle Beglaubiger idolisieren.

Dem englischen Songwriter und Multiinstrumentalisten Sam Genders, einst Teil der hibbeligen Experimental-Folker Tunng, ist mit dem zweiten Album seines Solo-Projekts Diagrams dennoch eine schöne, rotweinmilde Platte geglückt: "Chromatics" nennt sich das Album, es ist eine Platte über das Älterwerden und das Vielleicht-schon-ein-bisschen-Vernünftiggewordensein.

diagrams

Chrissie Abott

Sam Genders, Diagrams

Sam Genders bewegt sich alterstechnisch irgendwo rund um den 40er, er ist verheiratet und lebt das beruhigte Leben. Man muss nicht mehr jedes Wochenende in die Disco. Davon singt der programmatische "Gentle Morning Song" – gentle ist auf "Chromatics" so einiges. Man liegt in den frühen Morgenstunden wach, man ist zuhause und im Bett geblieben und hört draußen auf der Straße das aufgekratzte Gejaule der heimkehrenden Partypeople.

Vielleicht wäre Tanzengehen doch so richtig fein gewesen, unter der Kuscheldecke war's dann doch wieder einmal viel wärmer. "The World Isn't Waiting For Us Anymore, Not Like When We Were Young" heißt es im Refrain des "Gentle Morning Songs" – das klingt zunächst deprimierend und nach versäumten Chancen, strahlt aber in Wahrheit eine Gelassenheit aus, das Wissen, dass man nichts verpasst hat.

"Chromatics" ist so eine melancholische, dabei optimistische Platte geworden. Ein abgeklärter Mann, der die Ups and Downs der Liebe, des Lebens und der Ehe kennt, zeichnet in leisen Folksongs eine vielschichtige Welt. Mal ist es schön, mal ist es nicht so schön. Eine Welt in vielen Farben, wie schon der Albumtitel "Chromatics" andeutet. Eine Welt, in der vieles geschieht, die man unaufgeregt beobachten kann, in der aber immer auch Zeit ist, um, nicht allzu vergrämt, über eigene Fehler nachzusinnen.

"Black Light" hat sich 2012 das Debütalbum von Diagrams genannt, war deutlich dunkler gefärbt, zermürbt und trist, musikalisch dabei verspielt, knisternd, vertrackt und auf eine klare Herausstreichung des Experimentierwillens gepolt. "Chromatics" ist inhaltlich vieldeutiger, sich der Ungereimtheiten der Existenz bewusst, musikalisch jedoch fließender, geschmeidiger, homogener und direkter angelegt.

Einiges ist hier los an akustischem Zierrat und Soundeinfällen, Genders verlässt sich aber auf "Chromatics" verstärkt auf die Kraft des Songs: Seine Reflexionen begleitet er mit gemächlichen Meditationen an der gezupften Gitarre, untermalt von weichem Orgelsummen und flauschiger Elektronik. Wohlig brummt und blubbert es.

Chromatics Diagrams Cover

Full Time Hobby

"Chromatics" von Diagrams ist via Full Time Hobby / Rough Trade erschienen.

Ab und an darf es beschwingter und elektrischer werden, im Album-Highlight "Dirty Broken Bliss" beispielsweise, das den Umstand beschreibt, dass die Liebe doch oft unperfekt und kaputt ist und das es gut so ist. Es gibt sachten Westküstensoftrock, zartbunte Psychedelik und in der unrepräsentativ aufdringlichen Leadsingle "Phantom Power" munteres Gepfeife. Pfeifen in Liedern – eine Sekunde lang supercatchy, beim zweiten Durchgang eventuell nervenaufreibend.

Da und dort werden die Songs mithilfe von Gästen mit Chören, Streichern und Bläser ausgekleidet, oder sind von subtilen Field Recordings von Straßenlärm oder Regentropfen durchsetzt, wiederum eine Verbildlichung der Alltäglichkeit, die die Platte transportiert.

"Chromatics" von Diagrams ist eine dünnhäutige, gute gelaunte, aber eben kaum überschwängliche Platte, die es sich bequem im Kaminzimmer eingerichtet hat. Eine Widerstreit zwischen Biedermeier und Geborgenheit, dem zufriedenen Wissen, jemanden zu haben, auf den man sich verlassen kann, und dem doch immer wieder hochlodernden Wunsch nach Abenteuer. Weiterleben heißt halt irgendwie weiterschaukeln. Doch Vorsicht: Die innere Ruhe des Songwriters kann sich beim Hörer in Gleichgültigkeit verwandeln.