Erstellt am: 4. 2. 2015 - 16:17 Uhr
Ballforschung
Andrea Kretschmann
Andrea Kretschmann ist Kriminologin und Soziologin an der Uni Bielefeld und forscht gerade zu Demonstrationen, dem Umgang der Polizei damit sowie der Transformation von Rechtsstaatlichkeit. Sie hat die Demos vergangenen Freitag beobachtend begleitet und analysiert im FM4-Interview die Polizeiarbeit.
Vergangenes Jahr gab es Vorwürfe gegen die Polizei, sich falsch verhalten und eine Eskalation geradezu provoziert zu haben. War das denn auch so? Und was hat sich heuer geändert?
Ja, man kann tatsächlich einen großen Unterschied sehen. Wenn man sich letztes Jahr anschaut, dann hat es ganz viele Polizeikessel gegeben, es hat Pfeffersprayeinsätze gegeben, es hat große Knüppeleinsätze gegeben. Das haben wir dieses Jahr fast gar nicht gesehen. Ich würde sagen, dass die Polizei dieses Jahr eine eher de-eskalative Strategie gefahren hat. Natürlich haben Demonstrierende über einzelne Polizeiübergriffe berichtet, über Vorfälle, die sie subjektiv als unrechtmäßig eingestuft haben. Aber man muss sagen, dass die Polizei de-eskalative Strategien angewendet hat.
Zum Thema Polizeikessel, um ein Beispiel zu nennen: Die Polizei hat zwar für sie unliebsame Protest-Dynamiken - etwa Rennen – unterbunden, indem sie die Rennenden umgrenzt hat, aber dabei sind keine Kessel entstanden, sondern diese Umgrenzungen sind jederzeit offen gewesen. Es ging der Polizei eher darum, solche Lauf-Dynamiken stillzustellen und die Situation zu beruhigen, aber ohne zu kriminalisieren, ohne Menschen festzuhalten, ihre Identitäten festzustellen und sie wegen Verwaltungsdelikten festzunehmen.
Was dieses Jahr neu war, war der Einsatz von Hundestaffeln, das wurde in sozialen Medien als besonders bedrohlich und brutal kritisiert. Wie siehst du das?
Ich habe diese Hundestaffeln auch gesehen, als ich den Protest beobachtet habe. Ich habe gesehen, dass die ganze Zeit die Maulkörbe aufgeblieben sind, das heißt, es hat keine Gefahr bestanden, dass jemand von Hunden gebissen wird. Es war aber eine sehr imposante Szenerie, muss ich sagen, ein Aufzug, der sicherlich Respekt hervorgerufen hat. Die Hunde haben ununterbrochen gebellt, es war ein ungewohntes Bild, man kannte das so noch nicht und aus meiner Sicht war das eine Inszenierung des staatlichen Gewaltmonopols. Man versucht hier Stärke zu demonstrieren.
Du sagst einerseits, dass die Polizei eine sehr deeskalierende Strategie hatte, andererseits meinst du, dass die Polizei trotzdem sehr repressiv vorgegangen ist – heuer halt mehr im Vorfeld und im Umfeld. Wie meinst du das?
Ja, Repression gab es auch dieses Jahr, damit meine ich rechtliche Maßnahmen, die die Polizei vorher setzen kann und die sie möglicherweise auch noch nachher setzen könnte. Damit sind Einschränkungen der Versammlungsfreiheit gemeint, die Größe der Sperrzone ist da zu nennen. Die Sperrzone war heuer ähnlich groß wie vergangenes Jahr. Und 2014 ist das noch massiv kritisiert worden und es ist gesagt worden: Warum braucht es eine größere Sperrzone als beim Besuch des US-Präsidenten Bush im Jahr 2006? Dieses Jahr ist das schon fast normal gewesen, es ist aber nicht minder problematisch, weil einige der angemeldeten Demonstrationen nicht in der Lage waren, in Sicht- und Hörweite des Akademikerballs kund zu tun, und das ist versammlungsrechtlich problematisch.
APA/ROLAND SCHLAGER
Ein anderer Punkt ist, dass auch dieses Jahr Kundgebungen verboten worden sind. Und es sind auf dem Weg zur Demonstration auch Busse aufgehalten worden, durchsucht worden und teilweise rechtswidrig zur Grenze zurückgeschickt worden. Teilweise sind bei diesen Bus-Anhaltungen rechtswidrig Identitätsfeststellungen vorgenommen worden. Wenn die Polizei Busse kontrolliert, braucht sie einen konkreten Verdacht bezogen auf konkrete Personen in diesen Bussen. Wenn man aber bei einem ganzen Bus Identitätsfeststellungen vornimmt, ist eher nicht zu erwarten, dass in Bezug auf jede Person ein konkreter Verdacht vorliegt.
Die Anzeige wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung – der berühmte Paragraph 278 – kam schon vor Beginn der Demos. Wie schätzt du das ein, warum?
Ich würde auch sagen, das gehört zu diesem Package Repression im Umfeld des Protests. Man nimmt hier eine Einschränkung von Grundrechten vor, indem man Strafparagraphen anwendet. Das ist nicht selbstverständlich: Die Polizei operiert eigentlich auf Demonstrationen mit dem Sicherheitspolizeigesetz, wenn sie aber Anzeige stellt wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung – und das auch noch gegen unbekannt – dann operiert sie mit dem Strafrecht. Und dann hat sie viel, viel weitere Eingriffsbefugnisse, darf in viel intensiverem Maße ermitteln und sehr weite Netzwerke ausforschen. Auch wenn die Anzeige jetzt gegen das NoWKR-Spektrum ging, besteht theoretisch die Möglichkeit, über diesen engeren Kreis hinaus zu ermitteln.
Diesen Paragraph 278 kennt man schon von den Tierschützerprozessen, das waren ja Prozesse, die sehr lange geführt wurden und bei denen am Ende alle Personen freigesprochen wurden. Man hat aus diesem und anderen Fällen kritisiert, dass das eher ein Paragraph ist, der gar nicht so sehr darauf aus ist, Menschen auch zu verurteilen, sondern tatsächlich zum Ermitteln von Netzwerken, Strukturen verwendet würde.
APA/HERBERT P. OCZERET
Du sprichst im Zusammenhang mit der Polizeiarbeit bei Demos in den vergangenen Jahren von einer Transformation von Rechtsstaatlichkeit. Was hat sich denn da verändert?
Das ist etwas, das man in ganz vielen Bereichen der Polizeiarbeit sehen kann, das aber auch das Polizieren von Versammlungen betrifft. Man will nicht mehr alleine auf Straftaten reagieren, man wartet also nicht, bis etwas passiert ist, um dann die Straftäter, Straftäterinnen zur Rechenschaft zu ziehen. Sondern man will versuchen, etwas zu verhindern, noch bevor es passieren kann, Straftaten verhindern, bevor sie stattfinden können.
Man orientiert sich nicht mehr an konkreten Anhaltspunkten für Straftaten, sondern auch schon diffuse Faktoren, Risikofaktoren, können da eine Rolle spielen und für den Bereich der Versammlungsfreiheit hat das zur Folge, dass auch relativ diffuse Gefahren schon zu Beschränkungen der Versammlungsfreiheit führen können.
Haben die Anzeigen vergangenes Jahr wegen Landfriedensbruch und heuer wegen Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung etwas mit dieser Verschiebung zu tun?
Der Landfriedensbruch-Paragraph ist auch ein Paragraph, der als diffus bezeichnet werden kann, weil er Verhalten in den Blick nimmt, das für sich gesehen nicht strafrechtlich relevant sein muss, aber in dem Zusammenhang, in den es gestellt wird, dann eben relevant wird: Landfriedensbruch bedeutet, es kann schon strafbar sein, wenn man sich einer Gruppe anschließt, von der man weiß, dass sie Straftaten begehen will. Man selbst muss keine Straftaten begangen haben, um wegen Landfriedensbruches verurteilt zu werden.
Bei der kriminellen Vereinigung ist das ähnlich, Hier geht es der Polizei auch ganz stark darum, zu sehen, wie agiert die angebliche kriminelle Organisation. Da kommen auch ganz viele Verhaltensweisen und Handlungen in den Blick, die für sich gesehen noch gar nicht strafbar sind, aber insofern sie von der Polizei in einen gewissen Kontext gerückt werden, strafrechtlich relevant werden können.
Ich sehe hier eine Kontinuität, möglicherweise sogar im Bereich Abschreckung von Demonstrierenden. Die Polizei hat nach den Anti-Akademikerball-Demonstrationen vergangenes Jahr gesagt, sie ermittelt gegen etwa 500 Personen wegen Landfriedensbruches, meines Wissens nach sind dabei aber bis heute nur zwei Prozesse herausgekommen – einer davon hat mit einem Freispruch beim Vorwurf von Landfriedensbruch geendet und der andere ist der sehr breit kritisierte Prozess gegen Josef S. Auch für dieses Jahr bleibt abzuwarten, was die Polizei mit dieser Anzeige machen wird, was dabei herauskommen wird.