Erstellt am: 4. 2. 2015 - 15:21 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 04-02-15.
#medienpolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Ich hatte es schon fast vergessen; und das obwohl mich die Marketing-Bemühungen im Vorfeld dieses durchaus aufsehenerregenden Medienstarts auch persönlich erreicht hatten. Ich hatte mich zu sehr auf die üblichen Medien-Nachrichtendienste verlassen; die ließen aber aus. Absichtlich: denn natürlich ist das Vergessenmachen und die Nicht-Berichterstattung derer, die dafür zuständig wären (die heimischen Medienjournalisten), schiere Absicht, befohlene Strategie ihrer Chef-Etagen, deren Ethos und deren Wissen um die Nutzbarkeitsmachung von Konkurrenz gegen Null geht. Ohne Ingrid Brodnigs Vorpreschen hätte mein privates bookmarking-System versagt.
Seit 21. 1. (also seit genau zwei Wochen) ist nämlich der erste seriöse Versuch, Online-Journalismus im Bezahlmodell anzubieten auf dem Markt: nzz.at - ein für alle Nicht-Abonnenten sinnloser Link, ich weiß. Es gab einen langen und szeneerregenden Vorlauf, viel Neugier um eine kursierende Beta-Version, mit dem Veröffentlichungs-Termin riss aber alles schlagartig ab: es wird grad noch über die wirtschaftliche Seite des Projekts berichtet, eine inhaltliche Auseinandersetzung findet (aus den oben erwähnten Gründen) nicht (oder nur im Ausland statt, Hintergründe werden sowieso nur in der deutschen Qualitätspresse ausgeleuchtet.
Klassische Totschweigestrategien der Medien-Konkurrenz
Dabei geht es - und Brodnig sagt das vielleicht noch zu dezent höflich - nicht nur um das Auftauchen eines neuen österreichischen Players im Qualitätsjournalistischen Segment (der - würde er, egal wie unbedeutend seine Auflage auch wäre, im Print daherkommen - flächendeckend abgefeiert worden wäre), sondern auch um einen echten Erstversuch. nzz.at, dieses Baby des Berserkers Michael Fleischhacker setzt ein offensives Zeichen gegen die Gratis-Mentalität, versucht das Tabu des Online-Bezahlmodells aufzubrechen. Und stellt eine der großen Fragen des Journalismus und seines Existenzkampfes: was ist die geleistete Arbeit des Kuratierens, Aggregierens, Recherchierens, Hinterfragens und Provozierens wert?
Das gilt es sich sehr genau anzuschauen - und zwar ohne die doch sehr primitiven Medien-Stammhirnreflexe ein- und dann nie wieder auszuschalten.
Natürlich ist nzz.at ein Nischen- und Special Interest-Produkt. Daran kann auch der erste der drei angebotenen Kanäle (Nachrichten vom Service Updatemi) nicht hinwegtäuschen. Das ist ein schöner Service, der sicherstellt, dass man nichts an Aktuellem versäumt, wenn man sich auf der Site umsieht. Dieser Plan geht allerdings von der Annahme aus, dass die User nur eine Seite offen haben - was wohl selbst am Smartphone nie passiert - und offenbart eine altbacken-papierene Denke. Die News sind zwar mit alle paar Stunden upgedateten (hübsch zusammengefassten) Briefings und der userfreundlichen (wenn auch starren) 6-Items-Form der Meldungen schick strukturiert, aber schlicht überflüssig.
Die Nische zwischen Analyse, Kommentar und Vertiefung
Die beiden anderen, tatsächlich relevanten Angebote (das Schwerpunkt-Scrolldown Phänomene und die Kommentarleiste Club) bieten zwar auch viel Füllmaterial (zum einen zu wenig austrobearbeitete Original-NZZ-Artikel, zum anderen Hauptschulaufsatz-Level-Blogs von Parteifunktionären und unausgewiesenen No-Names), lassen aber eine (inhaltliche) Linie erkennen.
Die mag jedem unterschiedlich sympathisch sein (aktuell etwa ist die Syriza der Teufel, die Pegida ein gruseliges Forschungs-Objekt und die EU ein Problemfall) bietet aber im Rahmen des offen gepflegten neoliberalen bis neokonservativen Nagelschuh-Kurses von Verlags-, Redaktionsleitung und per Quasi-Eid verpflichteten Redaktion das (ideologisch) Erwartbare zu teilweise unerwarteten Themenblöcken. Und das auf einem vertiefenden Anspruchs-Niveau, das die snackartige Rezeption (jede Geschichte hat eine Lesezeit-Angabe, damit sich die gestresste Kundschaft keine Angst um verlorene Lebenszeit haben muss) mit - in den meisten Fällen - anspruchsvoller Information (die im besten Fall analytisch, im schlechten polemisch gebraucht wird) verbindet.
Im Schnitt erscheinen täglich zwei bis drei Kommentare und etwa fünf, sechs Einzelgeschichten zu stabilen (Grexit, Dschihad, Heldenplatz...) oder neu installierten (Geld) Schwerpunkten. Samstag/Sonntag sperrt man zu. Das ist zwar weniger als der fm4.orf.at-Output, aber mehr als ich erwartet hätte.
Wer durch kantiges Profil beeindrucken will, sollte es zeigen
Die Stärken liegen in der Intensität einzelner Themenspecials, was sich etwa bei Wirtschaftsthemen dann auszahlt, wenn einem am Freitag anschaulich früh erklärt wird, was eine Raiffeisen-Aussendung von Donnerstag Abend wirklich bedeutet.
Die Schwächen liegen im Formalen: die Phänomen-Beiträge strotzen vor Subjektivität und sind letztlich - bis hin zu den Korrespondentenberichten und den Reportagen - Kommentare; und zwar meist hochwertigere als die als Kommentare gezeichneten Äußerungen im Club-Bereich, deren Autoren (bis zur ersten Autorin muss ich schon ordentlich scrollen) nach dem maoistischen Motto der hundert blühenden Kraut-und-Rüben-Blumen vorgehen dürfen.
Ich habe mich in den letzten Tagen testlaufmäßig über Gebühr lang auf der Site aufgehalten - und kann so die Grundfrage, die sich die Kollegin Brodnig stellt nachvollziehen: warum man als User nach dem Probemonat verlängern sollte, wo sich der USP versteckt, was das Angebot unverzichtbar macht.
Ich würde auch sagen: nirgendwo und nichts. Das sind aber auch die Antworten auf die Frage warum ich mir etwa täglich fünf österreichische Tageszeitungen zu Gemüte führe. Auch dafür gibt es keinen Grund außer dem der demokratiepolitischen Stärkung der vierten Gewalt. Deswegen werde ich gar nicht anders können als am Ball zu bleiben.
Es gibt eine mediale Bürgerpflicht der Zivilgesellschaft
Der nzz.at-Versuch spricht ohnehin nicht the general public, sondern eine an Politik und Medien interessierte Teilmenge der Zivilgesellschaft an - also ohnehin Menschen, die sich nicht deshalb an der Bezahl-Hürde stoßen sollten, weil sie 14 Euro im Monat beträgt. Wenn man sich das NYT-Abo (das allerdings auf einem gänzlich anderen Modell basiert) ansieht, dann mag das viel sein. Wenn man den Preis für jede dahergelaufene heimische Tageszeitung nimmt, und ehrlich durchcheckt, was dort wirklich lesbar ist, dann ist es ein Schnäppchen. Da sich das Kauf/Konsum/Medienverhalten auch der selbsternannten Elite der Zivilgesellschaft aber der geharzten Billig-Mentalität unterordnet, ziehen die, die ein solches Projekt tragen könnten, gleich eine Schranke ein. Es sind wohl dieselben Menschen, die bei der klassischen Armin-Wolf-Gleichung (dass die ORF-Gebühren mit cirka 70 Cent pro Tag für ihr umfassendes Angebot deutlich günstiger kommen - und auch besser sind - als jegliches Print-Produkt) die Finger zum Nachzählen herausholen.
An der inneren Greißler-Mentalität vieler wird die Ambition des Projekts (10.000 Abonnenten) scheitern - sofern dieses Ziel das einzige ist bzw überhaupt ernstgemeint war.
Wenn es darum ging einen zähen Diskurs durch einen Praxis-Versuch zu ersetzen, damit eine Machbarkeits-Studie am lebenden Objekt durchzuführen, wenn man flexibel genug ist, alle Fehler und Sackgassen ohne Hektik, aber zügig zu reparieren, wenn man Maßnahmen wie etwa eine Gratis-Freischaltung für alle Studierenden in den Medienbereichen durchführt und so zumindest innerhalb einer einzelnen Gruppe Themenführerschaft und Vorbildwirkung erzielt, wenn man es schafft die öffentliche Angst vor der Bezahlwand durch demokratiepolitische Relevanz zu minimieren, dann kann nzz.at einmal ein richtungsweisendes Projekt gewesen sein. Wenn es sich auf dem aktuellen Stand weitertreiben lässt und außer ernsthaftem Profitstreben keine Substanz aufweist, dann nicht.