Erstellt am: 3. 2. 2015 - 15:21 Uhr
"Ordentlich in den Sand gesetzt"
Gestern hat die PEGIDA Österreich also ihre erste Kundgebung veranstaltet: etwa 350 PEGIDA-AnhängerInnen sind in der Wiener Innenstadt nicht vom Fleck gekommen, ihnen sind ungefähr 5000 Gegen-DemonstrantInnen gegenüber gestanden. Nach der Blockade gestern wird die Polizei gegen 200 bis 300 Personen Anzeige erstatten wegen Verhinderung oder Störung einer Versammlung.
Aber nicht nur bei den GegendemonstrantInnen gibt es Anzeigen: Innerhalb der PEGIDA-Demo gab es rechtsextreme Ausfälle, Hitler- und Kühnengruß waren zu sehen. Die Polizei hat die Kundgebung schlussendlich aufgelöst. Mittlerweile werden Bilder und Videos ausgewertet und Anzeigen wegen Wiederbetätigung vorbereitet. Das Ergebnis der Ermittlungen wird laut Aussendung der Polizei auch Einfluss darauf haben, ob künftige Kundgebungen der PEGIDA Österreich untersagt werden.
Benjamin Opratko schreibt gerade seine Dissertation zum Thema "Aktuelle Artikulationsformen des antimuslimischen Rassismus in Österreich." Er ist außerdem Redakteur beim mosaik-blog.at.
Wir haben Politikwissenschaftler Benjamin Opratko um eine Einschätzung der PEGIDA-Bewegung in Österreich gebeten. Und ihn gefragt, warum sie sich denn von der in Deutschland unterscheidet.
Gestern gab es die erste PEGIDA-Demo in Österreich - laut Medienberichten gab es auf der Demo Neonazi-Symbole und Hitlergruß zu sehen. Besorgte BürgerInnen aus der gesellschaftlichen Mitte scheinen das nicht zu sein. Oder wie sehen Sie das?
Reinhard Lang
Benjamin Opratko: Es hat sich das bestätigt, was man im Vorfeld vermuten konnte, nämlich dass PEGIDA hier von einer Gruppe von Rechtsextremen als Label benutzt wird, um öffentlichkeitswirksam aufzutreten. Was wir gesehen haben, waren 300 Menschen, die sich versammelt haben und von denen ein großer Teil dem neonazistischen Lager, also neonazistischen Gruppen oder Fußball-Hooligans zuzurechnen sind - und ein paar FPÖ-ler.
Was sind das für Symbole, die da gezeigt wurden?
Wir haben den Hitlergruß gesehen, laut übereinstimmenden Berichten haben mehrere Leute, die dort waren, antisemitische Parolen gehört. Es wurden mehrere Menschen auf der PEGIDA-Demo identifiziert, die eindeutig der rechtsextremen und der Fußball-Hooligan-Szene zuzuordnen sind. Es dürfte also recht eindeutig sein, wer da gestern aufmarschiert ist.
Benjamin Opratkos Gatskommentar auf science.orf.at
Sie schreiben in einem Gastkommentar auf science.orf.at, dass es sich bei der PEGIDA in Deutschland um männliches Kleinbürgertum mit Abstiegsangst handle – können Sie diese These genauer erklären?
Ich denke, dass es sich bei PEGIDA in Dresden um ein anderes Phänomen handelt, als das, was wir gestern in Wien gesehen haben. In Dresden haben wir es mit 10.000 bis 15.000 Leuten zu tun, die regelmäßig jede Woche auf die Straße gehen. Das sind nicht einfach nur Neonazis und Rechtsextreme, dort handelt es sich tatsächlich um eine Art rechten oder rechtsextremen BürgerInnen-Protest. Und von dem was wir wissen - es gibt mittlerweile ein paar Studien zur Zusammensetzung dieser Proteste - sind das vor allem Leute, die eher ein leicht überdurchschnittliches Einkommen haben, die eher männlich sind, einen höheren Bildungsgrad haben – also das, was man gemeinhin die Mitte der Gesellschaft nennt. Die aber offensichtlich ein Bedrohungsszenario sehen und von Abstiegsangst betroffen sind, die soziale Ängste verspüren. Und diese Ängste und Befürchtungen werden dann von den Organisatoren von PEGIDA auf die "Ausländer" auf den Islam projiziert.
Das heißt, diese BürgerInnen können sich einigen in ihrer Ablehnung der Politik und den Medien, die sie als abgehoben sehen, und indem sie einen Sündenbock definieren - das sind in dem Fall die muslimischen MigrantInnen.
Genau. Wer sich vom sozialen Abstieg bedroht fühlt - das ist ja keine reine Paranoia sondern eine reale Erfahrung für viele Menschen gerade in Sachsen und im Umland von Dresden. In Deutschland, wo mit Hartz 4 und Rentenkürzungen schon seit langem Sozialabbau betrieben wurde, ist das eine reale Furcht. Das äußert sich häufig in einem Beharrungsbedürfnis, der Angst davor, dass irgendetwas anders werden könnte, und den Rückzug in etwas, das Halt und Sicherheit gibt. Und das ist in dem Fall das Abendland, Deutschland, das Christentum, was auch immer. Deswegen hat man wahnsinnige Angst vor Dingen, die absurd scheinen: Wenn man Interviews hört mit Teilnehmern von PEGIDA, sagen die, dass der Islam als Staatsreligion in Deutschland eingeführt würde, dass der Moschee-Besuch Zwang würde oder dass Weihnachtsmärkte abgeschafft werden würden. Das sind natürlich Hirngespinste, aber hier drückt sich eine tiefe Verunsicherung aus, die dann von rassistischen Demagogen - so würde ich das nennen - genutzt wird und in dem Fall vor allem gegen Muslime gewendet wird.
Fehlt in Österreich dieses unmittelbare Gefühl des sozialen Abstiegs - würden Sie das als den Hauptunterschied ausmachen, warum PEGIDA hier anders zusammengesetzt ist, als in Deutschland?
Nein, der Hauptunterschied ist, dass wir in Österreich mit der FPÖ eine sehr rechte Volkspartei haben, die dieses Thema schon lange Jahre besetzt. Weshalb es hier auch schwieriger ist, so zu tun, als würden man überhaupt nicht gehört werden vom politischen Establishment. PEGIDA in Dresden sagt ja „Ich bin das Volk“ und „Die Lügenpresse und die politischen Eliten – niemand hört uns zu, deswegen müssen wir auf die Straße gehen“. Das ist in Österreich schwieriger zu vermitteln, wo die Partei, die seit über eine halben Jahr auf Platz eins in allen Umfragen liegt, genau diese Themen sehr intensiv bearbeitet.
Die Abstiegsängste gibt’s natürlich auch in Österreich: Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit seit 1945 und wir haben ein tief verankertes Misstrauen gegenüber Politikern und Eliten. Immer, wenn die Bevölkerung gefragt wird, wer die unbeliebtesten Berufsgruppen sind, dann kommen verlässlich Journalisten und Politiker auf die ersten Plätze. Das ist der Vorstellung einer einheitlichen Elite, die gegen das Volk arbeitet, nicht ganz unähnlich.
APA/HERBERT P. OCZERET
So eine breite PEGIDA-Bewegung hat in Österreich also - noch - keinen Platz, weil dieser Platz ohnehin von der FPÖ ausgefüllt wird. Wäre es denkbar, dass die FPÖ auch mehr auf die Straße geht? Oder braucht sie das eigentlich gar nicht, weil sie erfolgreich genug sind - in Umfragen zum Beispiel?
Ich glaube, die FPÖ ist wahlstrategisch darauf nicht angewiesen. Sie ist in den Umfragen komfortabel vorne. Gleichzeitig muss die FPÖ aber auch Signale setzen an ihren eigenen rechtsextremen Flügel - manche würden sagen, an ihren rechtsextremen Kern. Sie muss auch Leuten, die zu PEGIDA-Demos gehen oder damit sympathisieren, signalisieren: Wir sind eh halbwegs auf eurer Seite. Deswegen auch der Auftritt von Martin Graf gestern auf der Demo. Das war kein Zufall, sondern der ist genau der Verbindungsmann in diese Szenen als alter Herr der rechtsextremen Burschenschaft Olympia. Das ist auch der Grund, warum der gestern bei Puls 4 sich neben diesen kuriosen Herrn Nagel (ANM.: Georg Immanuel Nagel, PEGIDA-Organisator) gestellt hat und sich mit ihm fraternisiert hat.
Wie sehen Sie die Zukunft von PEGIDA in Österreich - die Polizei erwägt ja, die Demos nicht mehr zu genehmigen, wegen der Verstöße gegen das Verbots-Gesetz. Würde das der PEGIDA einen Aufschwung geben? Und glauben Sie, wird die in dieser eindeutigen Szene bleiben?
Meine Einschätzung wäre, dass es keine großen Möglichkeiten mehr gibt für PEGIDA in Österreich. Die haben den ersten Versuch ordentlich in den Sand gesetzt. Und sie haben ihn nicht nur in den Sand gesetzt, sie wurden auch effektiv konfrontiert von einer breiten Demonstration, von Blockaden, die nicht zugelassen haben, dass da diese Banden von Rechtsextremen und Neonazis durch die Innenstadt marschieren. Es dürfte sich auch schon Frust breitgemacht haben unter Anhängern der PEGIDA in Wien - also ich sehe nicht, wo da neues Mobilisierungs-Potenzial entstehen würde. Selbst die Behörden sind ja inzwischen darauf aufmerksam geworden, dass es hier mehrere Verstöße gegen das Verbotsgesetz gegeben hat. Da wird es rechtlich nicht mehr so einfach sein, Kundgebungen oder Demonstrationen anzumelden.
Radiotipp: Die neue Lust am Demonstrieren
Woher rührt der aktuelle Aufwind zum alten Protestmittel Demonstration? Welche gesellschaftlichen Verhältnisse regen den Protest derart an in den letzten Monaten? Was bringt die Straßendemo? Und in welchem Verhältnis stehen Proteste, Massenlikes oder Shitstorms in den sozialen Medien derzeit zur Straßendemo? Wann transferiert sich Aufruhr vom Netz auf die Straße und wann nicht? Und wie geht der Staat mit den Demonstrationszunahmen um? Claus Pirschner diskutiert darüber mit DemoteilnehmerInnen und BeobachterInnen im Studio und mit AnruferInnen.
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