Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Verteidigen und vernichten"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

2. 2. 2015 - 16:22

Verteidigen und vernichten

"League of Legends" und "DOTA 2" sind zwei der meistgespielten Computerspiele überhaupt. Ihre Ursprünge kamen nicht aus der Games-Industrie, sondern von den Usern selbst.

Die zweite Hälfte der 90er Jahre war bahnbrechend für die Entwicklung von Computerspielen. First-Person-Shooter, ein paar Jahre zuvor gerade erst pixelig und in rechten Winkeln geboren, sind innerhalb kurzer Zeit schnell, schön und kompetitiv geworden. Strategiespiele, die vormals aus kleinen, unscheinbaren Figuren bestanden, die man als Quadrate hakelig über das Spielfeld lotsen musste, waren nun weitgehend flüssig animiert und schweißtreibend zu spielen. Am einflussreichsten waren aus heutiger Sicht aber nicht die Spiele selbst, sondern ihre mächtigen Editoren. Erstmals war es ein Feature in einigen Egoshootern und Strategiespielen, dass ein sogenannter Map Editor mitgeliefert wird, ein Programm also, mit dem man sich selbst seine eigenen Levels, Spielfelder, Held/innen und Geschichten gestalten konnte.

Aus "Half-Life" entstand dank zwei geschickter Modder bereits 1999 - ein Jahr nach der Veröffentlichung des Spiels - die von Usern erstellte Modifikation "Counter-Strike", die sich schon bald anschickte, den Standard für Team-basierte, kompetitive First-Person-Shooter zu stellen. Bis in die Jetztzeit ist "Counter-Strike" ein E-Sport-Standard und war für viele heute 30- bis 35-jährige ein relevanter Bestandteil ihrer Jugend. Doch was aus den Strategiespielen entwuchs, toppt sogar den Erfolg von "Counter-Strike", auch wenn der durchschlagende Erfolg erst etwas später kam.

Bildschirmfoto des "Starcraft Campaign Editor"

Blizzard Entertainment

Dreh- und Angelpunkt war zunächst der "Starcraft Campaign Editor" (Bild oben), der dem populären Strategiespiel aus 1998 beigelegt war. Von Beginn an wurde er genutzt, um einerseits neue Karten für das reguläre Spiel zu erstellen und bereits existiente Maps in Details zu verbessern. Modder begannen aber auch bald, mit dem Editor Geschichten zu erzählen und neue Spielideen zu probieren, die mit den üblichen Weltraumschlachten zwischen Zerg, Protoss und Menschen nur noch wenig gemeinsam hatten. Eine davon hieß "Aeon of Strife", die auf das Bauen von Gebäuden und Basen sowie das "Rauspumpen" von vielen Kampfeinheiten verzichtete. Stattdessen konzentrierte man sich auf eine Heldenfigur, die gemeinsam mit anderen Spielern den "Core" des computergesteuerten gegnerischen Teams zerstören musste. Als 2002 "Warcraft 3" erschienen ist, wurde die Idee von den Moddern für dieses neue Spiel umgesetzt. Der Name: "Defense of the Ancients", kurz "DOTA".

Wilde Mischung

Es ist ein verblüffend vielseitiger Hybrid aus Computerspielgattungen, den "DOTA" bietet: Es spielt sich wie ein Action-Rollenspiel à la "Diablo" mit Strategie- und Taktikelementen aus den Ursprungsspielen "Starcraft" und "Warcraft". Weil neben den Held/innen-Figuren immer wieder auch automatisierte Kampfeinheiten im Spiel aufpoppen und auf die jeweils gegnerische Basis zulaufen (die sogenannten Creeps), ist das Ganze mit einer starken Prise von Tower Defense gewürzt.

"DOTA" war von 2003 bis 2008 ein durchschlagender Community-Erfolg. Es stellte sich heraus, dass es keine Phase war, durch die gelangweilte Spieler/innen gingen, bis das nächste große Game am Markt erscheint. "DOTA", die usergenerierte Spielmodifikation, hatte für viele die meisten anderen Spiele ersetzt gehabt. Zu diesem Zeitpunkt springt - etwas verspätet - die Industrie auf: 2009 erscheint "League of Legends", und Branchenprimus Valve ("Half-Life", "Portal") beginnt die Entwicklung an "DOTA 2", das zwei Jahre später bereits in einer frühen Fassung spielbar ist und bei einem Turnier die erste Dollar-Million für den ersten Platz bietet.

Bildschirmfoto aus "League of Legends"

Riot Games

"League of Legends"

Von der Mod zum Massenphänomen

Mehr MOBAs:

Neben den unangefochtenen Marktführern "DOTA 2" und "League of Legends" versuchen freilich auch andere Hersteller, ein Teil des MOBA-Kuchens abzukriegen. Zwei der Konkurrenztitel sind "Smite" und das noch in der Betaphase befindliche "Heroes of the Storm".

2010 erscheint der lang ersehnte Nachfolger von "Starcraft", und zunächst scheint es so als ob das schnelle Strategiespiel aus der Zeit um die Jahrtausendwende eine glorreiche Rückkehr macht. Die ersten Jahre ist es auch so: "Starcraft 2" belebt die E-Sport-Szene, die dazugehörige, runderneuerte Online-Plattform Battle.net bietet Ligen, Bestenlisten und ein ausgeklügeltes Gegnerzuweisungssystem. Die alten Tugenden scheinen wieder zu erstarken.

Doch die nunmehr kommerzielle Welle der Action/Taktik/Tower Defense-Hybride holt schnell auf: "League of Legends" wird im Westen als auch in Asien als eines der ersten gut funktionierenden "Free to Play"-Spiele gefeiert: Das Game selbst ist gratis, man zahlt jedoch für einzelne Held/innen und ihre Features. Als 2013 endlich "DOTA 2" als fertiges Spiel erscheint und zu selben Zeit die Games-Streaming-Plattform Twitch.tv immer populärer wird, beginnt sich die Aufmerksamkeit schnell zu drehen. "Starcraft 2" verliert an Einfluss, die schnelleren, Team-basierten MOBAs, wie sie mittlerweile genannt werden, stürmen die Kinder- und Jugendzimmer. 2014 haben die zwei großen MOBA-Spiele aktive User in zweistelliger Millionenhöhe. Das Gewinnerteam der E-Sport-Turnierreihe "The International" erhält in diesem Jahr ein Preisgeld von über 5 Millionen US-Dollar.

Unangenehme Stimmung

Verhaltensforschung:

Riot Games, die Firma hinter "League of Legends", hat derzeit ein Programm laufen, dass toxisches Verhalten im Spiel verringern soll. Bei 27 Millionen täglich aktiven Usern kommt da einiges an Daten zusammen.

So schnell und dynamisch sich MOBAs für viele als Freizeitbeschäftigung Nummer 1 etabliert haben, so konservativ ist weitgehend die Wesensart der Spiele und ihrer Spieler/innen. Ganz der alten Gaming-Tradition entsprechend, sind ein Großteil der MOBA-Player männlich und zwischen 16 und 30 Jahre alt. Dementsprechend sind die Spielfiguren gestaltet. MOBAs gelten zu Recht als nicht einsteigerfreundlich. Das liegt weniger im Spielprinzip an sich begründet sondern in der Tatsache, dass man alle Heldinnen und Helden (bei "League of Legends" und "DOTA 2" sind es jeweils über 100) mit ihren jeweiligen Fähigkeiten kennen muss um annähernd eine Chance auf siegreiche Partien zu haben. Dieser Prozess ist oft mit Monaten bis Jahren an intensivem Spielen verbunden. Darüber hinaus sind MOBAs Teamspiele. Wer keine Freunde und Bekannte hat, die auch spielen oder Teil eines Clans ist, tut sich schwer, Teil einer ausbalancierten Gruppe zu werden. Das wiederum führt mitunter zu toxischem Online-Kommmunikationsverhalten seitens der "Profispieler": Beschimpfungen und Harassment, gespickt mit sexistischen und rassistischen Äußerungen stehen an der Tagesordnung. Auch, wenn etwa kluge und spielaffine Eltern das zu ihren und den Gunsten ihrer Kinder zu verwerten wissen und gut geschriebene Einsteiger-Guides helfen, über diese Hürden hinwegzukommen: Eine inklusive, freundliche Gemeinschaft besteht innerhalb vieler MOBAs trotz ihres bemerkenswerten Erfolges nicht.

Alle Helden und Heldinnen aus "DOTA 2".

Valve Corporation

"DOTA 2"-Curriculum: Wer gut werden will, hat viel Lernarbeit und Übung vor sich.

Für alle Lebenslagen

MOBA zwischendurch:

In den letzten zwei Jahren hat sich das Spielen gegen CPU-Gegner etabliert, was vor allem von vielen Gelegenheitsspieler/innen praktiziert wird und für den weiteren Anstieg der Userzahlen verantwortlich ist.

Doch die, die spielen, wollen natürlich mehr. Und die, denen die gängigen MOBAs spielerisch zu komplizierte und sozial zu aufreibende und unangenehme Orte sind, würden vielleicht Varianten probieren, die einfacher spielbar und besser vor schlechtem Benehmen geschützt sind. Kein Wunder also, dass immer mehr Hersteller (siehe auch "Mehr MOBAs" weiter oben rechts) versuchen, dem Spielprinzip neue Aspekte zu entlocken und auch Angebote für unterwegs (Tablet, Smartphone) produzieren. Auch Österreichs größer Computerspielentwickler Sproing versucht mit dem Spiel "Sigils" am lukrativen jungen Markt mitzunaschen.

Was die Faszination an MOBAs ausmacht und wohin die Reise des populären Hybrids aus Action, Taktik und Tower Defense in den nächsten Jahren gehen wird, darüber spreche ich heute Abend mit Botond Nemeth, ehemaliger E-Sportler, MOBA-Auskenner und Gamedesigner. Ab 19 Uhr in der FM4 Homebase.