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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

31. 1. 2015 - 18:37

Unaufhaltsam

Die heurige transmediale hat unsere freiwillige Selbstüberwachung zum Thema.

transmediale

Am Mittwoch wurde im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) die diesjährige transmediale

Unter dem Titel „Capture All“ (Erfasse alles) geht es dieses Jahr um das obsessive Sammeln von Daten und die umfassende Quantifizierung aller Bereiche, vor allem der drei großen Felder Arbeit, Spiel und Leben.

transmediale

https://www.flickr.com/photos/transmediale/

transmediale Opening Night (Bild: transmediale/CC BY-NC-SA 2.0

Die transmediale kommt ja stets wie ein Fachkongress daher, und das Programm, die Ausstellungen, Konferenzen, Screenings, Performances und Workshops scheinen auch dieses Jahr auf den ersten Blick für Medienkünstler, Computernerds, die Digitalavantgarde und andere Interneteuphoriker gestrickt zu sein. Dabei verhandelt man in diesem Jahr unter „Capture All“ doch ein Thema, das fast alle angeht.

"Capture All – dabei geht es global um die Quantifizierung von allem, also um Daten, die produziert und gesammelt werden", erklärt Kristoffer Gansing, künstlerischer Leiter der transmediale. "Das Festival fixiert sich dabei aber nicht auf Überwachung, sondern untersucht Quantifizierung als Symptom auch für andere Bereiche."

Und es braucht ja gar nicht die staatliche Massenüberwachung durch NSA und Co, der Mensch vermisst und quantifiziert sich ja freiwillig permanent selbst, gibt Statusmeldungen bei Facebook ab, nutzt Apps die Körperfunktionen aufzeichnen und Smartphones, die tracken mit wem wir kommunizieren. Die freiwillige Selbstüberwachung wird zum riesigen Geschäft für einzelne Unternehmen – und man hat den Eindruck, dass dieses Sammeln der eigenen Daten den Smartphone-NormalbenutzerInnen gar nicht so problematisch erscheint.

Dem Datensammeln steht man auch in der Quantified-Self-Bewegung positiv gegenüber, denn das Erfassen von Daten über Schlafrhythmen, Ernährung und Bewegung verspricht ja eine Optimierung des eigenen Lebens.

Aber was bringt uns dazu, ständig Daten über uns anzulegen und diese zu evaluieren? Brauchen wir eine Abgrenzung zwischen Leben und Arbeit? Gibt es alternative Strategien zur digitalen Welt und ihrer Datensammelwut? Diese Fragen will das Festival stellen.

Die transmediale 2015 will diese „Capture-All-Logik“ der digitalen Kultur herausfordern und fragt nach alternativen Lebensstilen, die sich dem Imperativ der extensiven Datenerfassung im digitalen Kapitalismus widersetzen. Verhandelt werden diese Fragen bis am Sonntag noch in zwei Ausstellungen, Symposien und einer Reihe von Workshops.

Im Ausstellungsteil geben Jennifer L. Morone, Heather Dewey-Hagborg und andere spielerische künstlerische Antworten auf die „datafizierte“ Welt. Die von dem amerikanischen Künstler, Autor und Kurator Zach Blas entwickelten Gesichtskäfige stellen ein Projekt zum Thema Predictive Control im Bereich der Biometrik dar.

unMonasteray

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unMonastery (Foto: transmediale/CC BY-NC-SA 2.0)

Kollektive wie unMonastery stellen mithilfe verweltlichter Mönchsphilosophie lokale und alternative Lösungen außerhalb der Cloud für das Leben im 21. Jahrhundert vor. In der süditalienischen Stadt Matera bewohnen Aktivisten, Künstler und Programmierer ein leerstehendes Klostergebäude und arbeiten gleichzeitig an Projekten, die dem Wohl der Gemeinde dienen sollen. Das „un“ in unMonastery bedeutet: An die Stelle von Religion, Hierarchien und Geschlechtertrennung tritt der Ethos der Open-Source-Bewegung, mit ihrem Fokus auf Zugänglichkeit, Dokumentation und Transparenz. So wie die Klöster im Mittelalter ein Licht der Zivilisation darstellten, so soll unMonastery als Gegenstück zur scheinbar unaufhaltsamen Privatisierung des Internets wirken.

Das Film- und Videoprogramm präsentiert aktuelle und historische Arbeiten von 1937 bis 2014, darunter zehn nationale und europäische Premieren. So stellt Christian von Borries in seinem abendfüllenden Essayfilm IPHONECHINA die Frage, „Stell Dir vor, Apple wäre ein Staat – würdest Du lieber in Apple oder in China leben?“ und untersucht die Rolle des kalifornischen Konzerns im Reich der Mitte nicht nur als Produzent, sondern auch als Vorreiter eines neuen Lebensstils, der die Lücke des zerfallenden Kommunismus zu füllen scheint.

In den Workshops geht es vor allem um Alternativen und Anonymisierung im Netz. Mit "Fire Chat" wird ein Handy-zu-Handy-Netzwerk vorgestellt, das von den Demons¬tranten in Hongkong genutzt wurde, mit der Pirate Box eine lokale Alternative zum Internet, die unter anderem von der Occupy-Bewegung eingesetzt wird. Beide Technologien ermöglichen eine Anonymisierung der Kommunikation.

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Das Publikumsinteresse an der transmediale war schon bei der Eröffnung sehr groß, im weitläufigen Foyer des HKW stauten sich die Besucherströme, da war im Auditorium schon die recht rätselhafte Installation „Sovereign Sisters“ der britischen Otolith Group zu bestaunen, ein 3D-Scan des UNO-Weltpostdenkmals in Bern, welches als Vorläufer globaler Kommunikation und Welterfassung steht.

Sehr lustig ging es im Theatersaal zu, wo das YouTube-Mashup „Hoax Canular“ des kanadischen Videokünstlers Dominic Gagnon als Loop gezeigt wurde. Darin dokumentiert er allerlei seltsame Clips von Teenagern über den angekündigten Weltuntergang 2012. Das ist nicht nur lustig, sondern erzählt auch viel über den Emotionshaushalt der Digital Natives, über ihre Lust, sich selbst offensiv zu präsentieren und gegenseitig runterzumachen und über verschiedene Stile und Ästhetiken der Webcam-Videos.